SALZIGES
07.10.2022 KolumneKein Verlangen nach Halt
In der europäischen Literatur gehören die Kolumnen über die Deutsche Bahn zu einer der grössten Gattungen. Wobei die Abgrenzung zum Abenteuerroman und zur Groteske häufig schwierig ist, da es viele Überschneidungen gibt. Fachleute vermuten gar, dass der Ausspruch «Wer eine Reise tut, hat viel zu erzählen» in direktem Zusammenhang mit dem Wirken der Deutschen Bahn steht. Dies im Gegensatz zu «Der Kluge reist im Zuge».
Kürzlich wollte es das Schicksal, dass ich mit dem Zug von Frankfurt nach Basel fahren musste. Sagen wir mal so: Es war ein abwechslungsreiches Erlebnis. Kurz vor Offenburg standen die Passagiere auf, die in Offenburg auszusteigen gedachten. Doch sie mussten unverrichteter Dinge an ihre Plätze zurückkehren, denn der Zug hielt entgegen dem Fahrplan einfach nicht. Das war auch der Schaffnerin aufgefallen: «Ich bin sprachlos, wir haben den Halt verpasst. Es tut mir leid. Er ging vergessen. Sie können in Freiburg aussteigen», erklärte sie über Lautsprecher. Einige Minuten später war wieder eine Stimme zu hören, diesmal der Zugführer: «Alle Zugbegleiter bitte sofort mit den F-Geräten in den Wagen 14». Die Passagiere diskutierten daraufhin angeregt, was ein «F-Gerät» wohl sein könnte, als die Zugbegleiter mit Feuerlöscher in einem Affentempo durch die Gänge rannten. Damit war diese Frage beantwortet und der Zug stand still. Später meldete sich wieder die Schaffnerin: «Bitte in den Toiletten keine Haar- oder Deosprays verwenden, sie können einen Feueralarm auslösen.» Der Zug fuhr weiter – und es gab nochmals eine Durchsage. Diesmal wurde ein Dieb freundlich gebeten, ein entwendetes Portemonnaie wieder zurückzugeben.
Irgendwann kamen wir tatsächlich in Basel an – zwar 45 Minuten zu spät, aber irgendwie bestens unterhalten.
DER SALZSTREUER salzstreuer@nfz.ch