«Das Risiko Blackout ist real»
06.09.2022 Rheinfelden, WirtschaftStromsicherheit war das aktuelle Thema am Wirtschaftsforum
Eine Rekordzahl von Besuchern interessierte sich am Wirtschaftsforum Fricktal in Rheinfelden für Lageberichte und Diskussionen über die Stromsicherheit und Massnahmen, sollte es doch zum Stromausfall kommen.
Boris Burkhardt
Das Risiko eines Stromausfalls sei in der Schweiz real, erklärte Lukas Küng, Leiter der Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen (Ostral), den über 200 Besuchern des diesjährigen Wirtschaftsforums Fricktal im Bahnhofsaal in Rheinfelden. Das Thema «Droht uns ein Blackout?» hatte der Planungsverband Fricktal Regio als Veranstalter bewusst aktuell gewählt. Die Besucherzahl war laut Präsident Christian Fricker ein Rekord. Küng stellte die Massnahmen im Falle eines Blackouts vor; Marc Ritter von der AEW Energie AG erklärte, wie Strompreise entstehen und wie die Stromversorgung in Zukunft sichergestellt werden kann. Ein moderiertes Gespräch zwischen Nationalrätin Florence Brenzikofer (Grüne) und Ständerat Hansjörg Knecht (SVP) rundete die zweistündige Veranstaltung ab.
«Enorme Konsequenzen»
Unter einem Stromausfall verstünden die Fachleute nicht einen ausgefallenen Strommasten, nicht einmal den Stromausfall in einem Quartier, erklärte Küng: «Wir sprechen von einer langfristigen Mangellage über mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate.» Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz sehe ein «grosses Risiko mit enormen Konsequenzen». Die Ursachen dafür könnten vielfältig sein: Aktuell sorge das Klima dafür, dass die Speicherseen im Tessin bereits sehr tief stünden und die französischen Atomkraftwerke wegen des warmen Wassers nur eingeschränkt produzierten. Ausserdem beeinträchtige bekanntermassen der Ukraine-Krieg den Energiesektor. Andere denkbare Faktoren könnten ein sehr kalter Winter in Europa mit enormem Stromverbrauch oder auch eine Cyberattacke sein.
In einer Strommangellage könne der Bund im vierten und höchsten Bereitschaftsgrad den Strombezug regulieren, etwa alle acht Stunden den Strom für vier Stunden unterbrechen, wie es Küng laut eigener Aussage in afrikanischen Ländern als Normalfall kennenlernte. Um diese drastische Massnahme zu vermeiden, habe die Ostral den dritten Bereitschaftsgrad der Kontingentierung vorgeschaltet. Dann hätten die Grossabnehmer ab einem Jahresverbrauch von einer Megawattstunde nur noch eine bestimmte Menge Strom zur Verfügung; auch im privaten Bereich könne die Nutzung nicht lebensnotwendiger Stromgeräte wie Saunen, Rolltreppen, Klimaanlagen und Schaufensterbeleuchtung verboten werden. Derzeit befinde sich die Schweiz im «Bereitschaftsgrad 1,5»: noch keine Verbote, aber bereits Sparappelle des Bundesrats. Die Ostral wurde 1990 vom Bund und dem Verband Schweizerischer Stromunternehmer (VSE) gegründet und ersetzte die bis dahin geltende «Kriegsorganisation der Elektrizitätswerke».
Ob sich die Betriebe an die Stromeinsch rän ku ngen halten würden und wie der Bund private Saunen kontrollieren wolle, wollte Moderator Patrick Rohr von Marc Ritter wissen, der als CEO der AEW Energie AG die Stromnetzanbieter vertrat. Welche Elektrogeräte im Privathaushalt benutzt würden, könnten die Netzwerkanbieter nicht überprüfen, sagte Ritter; er sei aber zuversichtlich, dass die Industrie im eigenen Interesse und allein aus Imagegründen die Sparmassnahmen einhalten werde, die öffentliche Hand sowieso.
Hansjörg Knecht, SVP-Ständerat für den Aargau und Besitzer der Knecht-Mühle in Leibstadt mit 24-Stunden-Betrieb, zeigte sich im anschliessenden Gespräch mit Grünen-Nationalrätin Florence Brenzikofer allerdings nicht wirklich bereit, in der Produktion Strom zu sparen. Bei Stromunterbrüchen sei die Lieferkette nicht mehr gewährleistet; er müsste dann Generatoren einsetzen. Brenzikofer stimmte mit Knecht überein, dass es abgesehen von Einrichtungen wie Spitälern auch strukturell notwendigen Ausnahmen für gewisse Wirtschaftsbranchen wie die Lebensmittelindustrie geben müsse. Sparmassnahmen seien aber überall zum Beispiel bei der Leuchtreklame zumutbar. Leider verloren sich die beiden Politiker dann im Parteiengeplänkel über den richtigen Weg zur Energiesicherheit, der erwartungsgemäss rechts über mehr Atomkraft und links über mehr erneuerbare Energien führte.
Die Winterlücke
AEW-Geschäftsführer Ritter erklärte ausserdem, wie seine Firma versuche, den Strompreis relativ niedrigzuhalten, indem sie gestaffelt bis zu drei Jahre im Voraus Strom einkaufe. Zu den derzeitigen Schwierigkeiten gehöre die extreme Preisschwankung beim Stromeinkauf von 200 bis 300 Franken täglich. Die EU habe sich zu sehr auf Gas konzentriert: Die geplanten riesigen Photovoltaikanlagen in Nordafrika seien nicht realisiert worden; für die Windkraft von der Nordsee fehlten die Leitungen in den Süden. Die Schweiz sei beim Strom weiterhin vom Ausland abhängig: Dem Export von Strom im Sommer stehe ein Import im Winter gegenüber; die Bilanz sei leicht negativ. «Diese ‹Winterlücke› gibt es seit 2000», sagte Ritter: «Und sie wird sich verstärken, wenn keine Gegenmassnahmen ergriffen werden.»