Der Zustand ist kritisch

  16.06.2022 Gesundheit, Möhlin

Vielen Fricktaler Samaritervereinen geht es nicht gut; einige sind nicht mehr

Tendenz sinkend, kämpfen die Samaritervereine ums Überleben. Anlässlich einer Regio-Übung gewährte der Samariterverein Möhlin Einblicke.

Ronny Wittenwiler

Früher, ja früher, da war sicher nicht alles besser. Doch gefühlt jedes zweite Fricktaler Dorf organisierte ein Grümpelturnier und nach der obligaten Blutgrätsche auf dem Rasen kamen abseits vom Feld die Helfer vom lokalen Samariterverein zum Einsatz. Auf sie war Verlass. Heute sind sie längst nicht mehr überall vertreten, die Samaritervereine, mangels Mitglieder sind sie aus- und weggestorben, haben sich in Luft aufgelöst. Rheinfelden? Hat keinen mehr. Wallbach und Mumpf dürfte dasselbe Schicksal ereilen. Magden ebenso. Viele andere: Existenz höchstens noch auf Papier. Solche Zerfallserscheinungen lösen eine gewisse Besorgnis aus, denn die Frage wird sich Edy Söder im Laufe dieser Geschichte noch stellen: Wer übernimmt dann einmal unsere Aufgaben?

Einer verliert das Bewusstsein
Söder ist Vizepräsident im Samariterverein Möhlin und zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen Gastgeber für die Regio-Übung. Es ist, wenn man so will, ein Treffen der letzten Mohikaner aus dem unteren Fricktal. Samariter aus Obermumpf, Schupfart, Magden, Kaiseraugst und Möhlin sind an diesem Abend rund ums Samariter-Vereinslokal zugegen und sie alle wollen vor allem eines: Gelerntes auffrischen, Neues dazulernen. Geprobt wird an unterschiedlichen Posten, Figuranten simulieren den Ernstfall, einer verliert beim Baggern das Bewusstsein, eine andere erleidet nach einem Insektenstich einen allergischen Schock und eine Dritte zieht sich eine Augenverletzung zu. Alles nur gespielt und doch: Gerade solche Fälle in der Realität haben schon manchen Samariter hervorgebracht – zumindest frü- her. Edy Söder etwa machte diese Erfahrung. Ganz in der Nähe seines Arbeitsorts in Rheinfelden zogen sich Velofahrer nach einem Sturz, beim Überqueren von Transportschienen, immer mal wieder Verletzungen zu. «Diese Leute landeten immer zuerst bei mir», sagt Söder. «Irgendwann habe ich mich als Betriebssanitäter gemeldet und alle Kurse gemacht.» Um sein Wissen vertiefen zu können, trat er dann 2006 in den Samariterverein Möhlin ein. «Ich wollte in kritischen Situationen richtig reagieren können, das gab mir Sicherheit.» Heute enden mehr Samariter-Karrieren, als dass welche beginnen. «Der Samariterverein Möhlin zählt noch rund fünfzehn Mitglieder, auch wir brauchen unbedingt Nachwuchs», sagt Söder. Schreibe man einen Kurs aus, kämen zwar immer mal welche vorbei, oft Frauen zwischen zwanzig und vierzig, meist Mütter von Kleinkindern. Was fehlt sind Personen, die sich via Mitgliedschaft binden. Dabei, so Söder, sei der Aufwand überschaubar. Einmal im Monat werde eine Übung mit konkreten Fallbeispielen abgehalten, «daneben werden die Mitglieder je nach Verfügbarkeit für den Postendienst an Anlässen eingeteilt.»

«Das könnte ein Problem werden»
Fünfzig Samariter sind an der jüngsten Regio-Übung in Möhlin mit dabei, hinzu kommen fünfzehn Figuranten. Freiwilligenarbeit in Reinkultur. Doch was, wenn sowohl die einen als auch die anderen plötzlich keine Lust mehr haben? Edy Söder sagt: «Ohne Samaritervereine wären viele Veranstalter gezwungen, halbprofessionelle oder professionelle Rettungsdienste aufzubieten. Sowas würde einiges mehr kosten.» Viele Vereine etwa könnten eine solche Investition gar nicht stemmen und eine Folge davon wäre, dass sie je nach Veranstaltung von den Behörden keine Bewilligung erhalten. «Das könnte künftig ein Problem werden.» Heute schon leistet der Samariterverein Möhlin Einsatz in Rheinfelden, in den nächsten Tagen wird er sein Zelt am Rhein aufschlagen am Schlagruder-Wettfahren für den Wasserfahrverein Ryburg-Möhlin und im Herbst werden die Samariter für die Möhliner Gewerbeausstellung auf Platz sein.

Institution seit bald 100 Jahren
«Wir probieren vieles», sagt Edy Söder. «Wir schreiben Kurse aus, Neuzuzüger informieren wir über einen Prospekt, aber es ist schwierig.» Für Söder selber ist klar, weshalb sich ein solches Engagement lohnen würde: «Du kannst dir Wissen aneignen und im Notfall handeln. Das kann daheim sein, im Geschäft, auf der Strasse. Und ja – unter Umständen kann das Leben retten.»

2025 wird der Samariterverein Möhlin 100 Jahre alt. «Wir hoffen, dass es uns dann noch geben wird.» Söder sagt das nicht resigniert, aber mit mahnendem Ton. Betont haben möchte er allerdings, dass vieles auch mit einem guten Vorstand steht und fällt. «Wir haben ein sensationell gutes Team.» Nachdem an diesem Dienstagabend die fünfzig Fricktaler Samariter ihre Übungs-Posten absolviert haben, sitzen sie bei Sandwich und Getränken beisammen und unerwähnt bleiben soll das nicht: Auch Geselligkeit hat im Samariterverein seinen Platz. «Ungeniert reinschauen, vielleicht mal an eine Übung kommen», wünscht sich Edy Söder zum Schluss von Einwohnerinnen und Einwohnern. Nicht, dass sich sonst auch noch die letzten Fricktaler Samaritervereine mangels Mitglieder in Luft auflösen. Sie würden wahrscheinlich fehlen. Weil sie im Notfall gebraucht werden.

Nach wie vor organisiert der Samariterverein Möhlin Blutspende-Aktionen. Die nächste findet am 17. Oktober statt. Weitere Infos zum Verein und Kontaktdaten im Internet. www.samariter-moehlin.ch


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