Vom Mut, eine Gemeinde «umzukrempeln»
10.05.2022 RheinfeldenUnd was Laufenburg damit gewonnen hat
Zum Abschluss des zweitägigen Gemeindeseminars in Rheinfelden rief Hans A. Wüthrich am Donnerstagnachmittag die Führungskräfte auf, mutig zu handeln. Zuvor hatten Mettauertal, Rheinfelden und Laufenburg einen Blick hinter die Kulissen erfolgreicher und bisweilen gewagter Gemeinde-Gestaltung ermöglicht.
Simone Rufli
Laufenburg im Jahr 2015: Negative Gemeindefinanzen, der Wegzug eines grossen Steuerzahlers, eine hohe Sozialhilfequote, viele gewinnorientierte Immobilienhändler, welche die Liegenschaften in der Altstadt günstig erwerben und nach «Pinselsanierungen» den Wohnraum preiswert anbieten und damit neue Sozialhilfeempfänger anziehen.
Laufenburg im Jahr 2022: Nach Investitionen der Stadt in der Höhe von 12 Millionen ein spürbarer Rückgang bei den Sozialhilfebezügern, mehr Steuereinnahmen bei den natürlichen Personen und private L iegenschaftsbesitzer, die – nach dem Vorbild der Stadt – in die Sanierung ihrer Gebäude investieren. Wie diese Wende zum Guten gelang, erklärte Stadtammann Herbert Weiss am Donnerstagnachmittag den Vertreterinnen und Vertretern der Fricktaler Gemeinden im Musiksaal der Kurbrunnenanlage: «Indem die Stadt selber Liegenschaften kaufte, nachhaltig sanierte und jetzt vermietet, konnten wir verhindern, dass wir immer mehr zu einem Zufluchtsort für Sozialhilfeempfänger werden.»
«Froh, dass wir es gewagt haben»
Ganz so einfach sei es dann aber doch nicht gewesen. Die Kompetenzsumme des Stadtrates war auf 500 000 Franken pro Jahr begrenzt. Mit einer Abstimmung übertrug das Stimmvolk dem Stadtrat im 2016 schliesslich das Recht, Liegenschaften in der Altstadt und in der Dorfkernzone für 20 Millionen Franken zu erwerben. «Heute kann ich sagen, wir sind froh, dass wir das gewagt haben. Wir haben eine spürbare Dämpfung bei den Sozialhilfebezügern erreicht und gleichzeitig eine Steigerung bei den natürlichen Steuereinnahmen.»
Zuvor hatte Peter Weber, langjähriger Gemeindepräsident von Mettauertal, auf die Bedeutung des einheitlichen Auftritts hingewiesen. «Tritt der Gemeinderat gegenüber der Bevölkerung als Einheit auf, gibt das eine enorme Stärke.» Voraussetzung sei, dass im Gemeinderat Einigung über die Stossrichtung für die nächsten Jahre und die langfristigen Ziele erreicht werde. So gelang schliesslich auch der Zusammenschluss von fünf Gemeinden im Mettauertal.
Der Rheinfelder Stadtschreiber Roger Erdin erklärte die strategischen Führungsinstrumente der Stadt, angefangen beim Leitbild 2040, über das darauf aufbauende Räumliche Entwicklungskonzept bis zum pragmatischen Legislatu rprog ram m. Regelmässige Bevölkerungsumfragen dienten dazu, Massnahmen im Legislaturprogramm zu definieren. Am Beispiel der neugeschaffenen Stelle der City-Managerin erklärte Erdin, wie Rückmeldungen aus der Bevölkerung aufgenommen und umgesetzt werden.
Sich «empor irren»
Hans A. Wüthrich schliesslich, Stiftungsratspräsident der MBF und ehemaliger Hochschullehrer an der Uni der Bundeswehr in München und in St. Gallen, gab den versammelten Führungskräften eine Reihe von Denkanstössen mit auf den Heimweg. 15 Prozent der Zeit würden sie alle in Sitzungen verbringen. Damit diese nicht zu einem «Schaulaufen der Belanglosigkeiten» mutierten, gelte es ein paar Dinge zu beachten: Die Ausbildung präge unser Denken und Überzeugung dürfe nicht verwechselt werden mit Wissen. Viel zu wenigen sei es gegeben, zuzuhören, wenn andere ihre Ideen formulierten, doch Zuhören sei die Voraussetzung für einen Dialog. Aus Polit-Differenzenlogik – damit ist die Abgrenzung der eigenen von anderen Parteiprogrammen gemeint – wie in der Sendung «Arena» praktiziert, entstehe nie ein Dialog. Vielmehr sollte klar sein: nur Vielfalt und Dialog ermöglichten eine höhere Qualität von Lösungen. «Die absolut umfassende Lösung ist sehr schwer zu finden, das hat Corona gezeigt. Trotz extrem viel Expertenwissen hatten wir keine andere Chance, als uns emporzuirren.»
«Stellen Sie Leute ein, die nicht zu Ihnen passen», riet Wüthrich. Das Dümmste sei, Leute einzustellen, die wie ein Klon der eigenen Person seien. Er wünschte den Mut, zu handeln, zu lernen, in anderen Meinungen den Mehrwert zu erkennen, Zweifel als Stärke zu betrachten sowie die Souveränität nicht recht haben zu müssen.