«Während Corona habe ich sehr mitgelitten»

  08.05.2022 Hornussen, Persönlich

Die Pfarrerin Corinne Dobler aus Bremgarten ist im ganzen Aargau als reformierte Seelsorgerin speziell für die Gastrobranche zuständig. Zu ihren langjährigen Gesprächspartnern gehört Arthur «Thuri» Eiholzer, der Wirt des «Feldschlössli» in Hornussen.

Boris Burkhardt

Wirt Arthur «Thuri» Eiholzer hat Corinne Dobler gebeten, an seinem Seniorenmittagstisch im «Feldschlössli» in Hornussen einen Impulsvortrag zu halten. Das Essen organisiert er auf eigene Kosten jeden zweiten Dienstag; gelegentlich gibt es Vorträge über das Kochen oder über Musik. «Heute hatte ich die Auswahl zwischen Pamela Anderson und Corinne Dobler», blödelt der Wirt über die 44-Jährige, die nach der Veranstaltung neben ihm am Tisch im Gastraum sitzt. Klar, dass sich Eiholzer gegen Anderson für Dobler entschieden hat; die beiden kennen sich bereits seit sechs Jahren.

Dobler hat eine zierliche Statur, trägt Nasenpiercing und die dichten orangenen Haare nur ab dem rechten Seitenscheitel lang. Pfarrer ist nicht unbedingt der erste Beruf, der dem Aussenstehenden für Dobler einfallen will. Auf den zweiten Blick verrät aber der Schriftzug auf ihrem Pulli, dass sie ihren Beruf trotz ihres punkigen Auftretens sehr ernstnimmt: «Tough enough to be a woman pastor, crazy enough to love it», steht da: Hart genug, um eine Pfarrerin zu sein, verrückt genug, es zu lieben. Tatsächlich lernten sich Eiholzer und Dobler an einem Gottesdienst kennen, dem traditionellen ökumenischen Gottesdienst des Branchenverbands Gastro Aargau, der vor Corona regelmässig und heuer wieder erstmals im Rahmen der Generalversammlung am Dienstag in der Karwoche im Kloster Muri stattfand.

Neben der Gemeindestelle in Bremgarten und der Mitarbeit im Sozialwerk Pfarrer Sieber für Randständige in Zürich arbeitet Dobler seit 2013 als Gastroseelsorgerin für den Kanton Aargau. Seit über 40 Jahren gibt es diese Teilzeitstelle der reformierten Landeskirche; ausserdem gibt oder gab es Gastroseelsorger in Basel, Bern, Zürich und in der Innerschweiz. Im Aargau ist Doblers katholischer Partner beim Gottesdienst von Gastro Aargau der «Zirkuspfarrer» Adrian Bolzern, der sich schweizweit um fahrende Künstler kümmert. Dobler übernahm die Stelle von Andreas Pauli, mit dem sie in Bremgarten zusammenarbeitete: «Ich konnte bereits auf einen Kundenstamm zugreifen.»

Anfangs, erzählt Dobler, habe sie versucht, sich beim Besuch von Beiz zu Beiz vorzustellen: «Ich merkte aber schnell, dass ich eigentlich nur ungelegen kommen konnte.» Als beste Möglichkeit, in Kontakt zu kommen, hätten sich tatsächlich die Generalversammlung und der Gottesdienst erwiesen, wo Dobler unter anderem das Totengedenken hält, und die überbetrieblichen Kurse, in denen sie sich den Lehrlingen vorstellt. Heute habe sie die Fahrt von Bremgarten nach Hornussen genutzt, um unterwegs noch ein paar bekannte Gastronomen zu besuchen. In Bremgarten gibt es ausserdem schon seit Jahrzehnten einen Wirtechor, der dienstagsnachmittags probt, wenn die meisten Wirtschaften geschlossen haben. Dobler wurde im Tessin als Tochter eines Kochs und einer Kellnerin geboren. Dennoch wuchs sie nicht als typisches Wirtekind auf, weil ihre Eltern in verschiedenen Wirtschaften arbeiteten, später auch in Altersheimen. Ihre Schulzeit verbachte sie in Turbenthal ZH und in Winterthur, wo sie das Gymnasium mit den Schwerpunkten Naturwissenschaften, Mathematik und Latein abschloss. Schon bei ihren ersten Karriereentscheidungen bewies Dobler ihren eigenen Kopf: Sie liess sich einerseits beim Militär zum Hauptmann ausbilden und begann andererseits ihr Studium der Theologie in Zürich. Zum Militär zog es sie, weil sie «über ihre Grenzen hinausgehen und Führungserfahrung sammeln wollte – etwas ganz anderes machen».

Im Gegensatz zu anderen Geistlichen hat Dobler laut eigener Aussage ihren Beruf nicht aus Berufung ergriffen: Über ihr Interesse an Soziologie und Psychologie sei sie eher hineingewachsen. Dobler war zunächst katholisch aufgewachsen, fand aus eigenem Interesse als Jugendliche aber zu einer evangelischen Freikirche, wo sie in der Jungschar aktiv war: «Mich trieb die Frage: Was bleibt ewig?» Als Sozialarbeiterin arbeitete Dobler jedoch nie. Seit 16 Jahren wohnt sie in Bremgarten, wo sie ledige Mutter zweier 11 und 15 Jahre alter Kinder ist.

Corona war auch für Dobler ein «mega Schock»: «Ich habe sehr mitgelitten.» Wirte seien Macher, gibt die Pfarrerin zu bedenken. Sie schafften fünf bis sechs Tage in der Woche von 9 bis 24 Uhr und hätten keine Zeit für Hobbys oder ein soziales Netzwerk: «Sie mussten urplötzlich von 180 auf 0 runterfahren.» Mit selbstgebastelten Adventskalendern, Neujahrsgrüssen und Whatsapp-Nachrichten habe sie während der Lockdowns Zeichen setzen wollen, «dass die Wirte nicht vergessen sind». Manche hätten psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen, andere die Wirtschaft aufgegeben: «Einer wurde Politiker, der andere baute ein Boot, der dritte widmete sich seinem Wald.»

Vor Corona waren vor allem die Übergabe und Nachfolgeregelung Themen, über die Dobler mit den Wirtsleuten sprach. Natürlich steht sie auch bei Schicksalsschlägen in der Familie zur Seite. «Ich bin neutral, von keinem abhängig, reagiere aber gleichzeitig anders als Freunde», erklärt Dobler die Vertrauensbasis zwischen ihr und ihren Gesprächspartnern. Es gebe aber durchaus sehr katholische Wirte, die auf einem Gespräch mit Kollege Bolzern bestünden. Andererseits wurde sie zumindest vor Corona regelmässig für Beerdigungen, aber auch für Taufen und Hochzeiten angefragt.

«Feldschlössli»-Wirt Eiholzer ist katholisch getauft; laut eigener Aussage glaubt er an Gott, auch wenn er ihn bei Schicksalsschlägen «nicht immer verstanden» habe. Konfession spielt für Eiholzer aber keine Rolle. In Dobler sieht er eine gute Seelsorgerin: «Niemand kennt in Hornussen so viele Menschen wie ich; aber in näherem Kontakt stehe ich zu den wenigsten.» Eiholzer bleibt eine Frohnatur; im ersten Lockdown ging er erst einmal ins Ferienhäuschen und wanderte viel. Dennoch wird er nun nach zehn Jahren das «Feldschlösschen» verlassen. Corinne Dobler hat auch von den Wirten lernen können: «Humor ist wichtig. Wirte können gute Stimmung bringen.»


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