«Ich möchte die Menschen hören und spüren»

  03.04.2022 Fricktal

Ein Fricktaler ist Spitaldirektor in Zürich

Marc Widmer ist in Hornussen aufgewachsen und seit einigen Monaten als Spitaldirektor des Stadtspitals Zürich tätig. Im Gespräch mit der NFZ gibt er Einblick in seine Tätigkeit in einem herausfordernden Berufsumfeld und er erzählt von schönen, aber auch schwierigen Momenten.

Karin Pfister

NFZ: Wie geht es Ihnen?
Marc Widmer:
Sehr gut. Heute ist ein sehr erfreulicher Tag. Die Zürcher Gesundheitsdirektion hat die neue Spitalliste veröffentlicht und sieht für unser Spital Leistungsaufträge in allen bisherigen Fachgebieten vor. Der Kanton Zürich bestätigt damit die strategische Neuausrichtung des Stadtspitals Zürich als standortübergreifendes Zentrumsspital. Ausserdem werden weitere Bereiche wie eine geriatrische Reha aufgebaut.

Was war Ihr Traumberuf als Kind?
Nicht Spitaldirektor. Eine Zeitlang wäre ich gerne Pilot geworden, aber wirklich erinnern tue ich mich nicht. Mein vierjähriger Sohn weiss aber schon, was er werden möchte: Spitaldirektor.

Wie sind Sie Spitaldirektor geworden?
Ich habe das Spital seit dem Sommer 2021 zusammen mit Andreas Zollinger geleitet. Ich war ein Quereinsteiger in der Branche; er war seit rund 20 Jahren im Stadtspital tätig. Er ist dann aber überraschend im Herbst 2021 verstorben, was ein Schock war.

Die Berufung erfolgte mitten in der Coronakrise. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Die Coronakrise dauerte damals schon eineinhalb Jahre; zu diesem Zeitpunkt war Corona quasi schon zu einem «normalen Geschäft» geworden. Es war nicht mehr ganz neu. Wir standen damals vor der vierten Welle und wussten nicht genau, was auf uns zu kommt. Das grösste Problem war dann, dass wegen Omikron viele Mitarbeiter ausfielen. Vorher waren die Intensivstationen überlastet wegen zu vielen Coronapatienten, ab Januar fehlten plötzlich viele Mitarbeiter wegen Omikron. Das war wieder eine andere Situation.

Welches war der schwierigste Moment seit sie Spitaldirektor sind?
Der Tod meines Stellenpartners. Er verstarb plötzlich und unerwartet, rund eineinhalb Jahre vor der geplanten Pensionierung. Die Beerdigung fand in der Fraumünsterkirche statt. Rund 1000 Menschen waren da. Das war ein harter Tag und ein schwerer Abschied. Dieser Tag hat mich sehr geprägt.

Was waren/sind die grössten Herausforderungen?
Die Wirtschaftlichkeit. Ein Spital dieser Grösse muss permanent schauen, dass es rentabel bleibt. Alle 4300 Mitarbeitenden sind mit viel Motivation und Einsatz dabei und Ende Jahr ist das Geld dann doch knapp. Das ist anstrengend. Zudem sorgen viele Grossprojekte für viel Bewegung: Die Zusammenführung der beiden Standorte Waid und Triemli ist noch nicht ganz abgeschlossen, am Triemli steht der Bezug des umgebauten Turms bevor und nächstes Jahr soll ein neuer Standort an der Europaallee für ambulante Behandlungen eröffnet werden.

Wann beginnt Ihr Arbeitstag und wie lange dauert er?
Ich stehe früh auf und bin früh im Büro. Es sind lange Tage mit vielen Herausforderungen, aber ich bin nicht alleine. Ich habe ein Team um mich und kann auch vieles delegieren; vieles wird für mich erledigt. Ich muss nicht alles selber durchdenken, sondern kann mich auf Berichte meiner Mitarbeitenden verlassen. Mir ist es sehr wichtig, dass meine Frau Katrin und ich die Familienarbeit aufteilen. Ich möchte abends so oft es geht, Zuhause sein, damit ich meine Kinder selber ins Bett bringen kann. Vieles kann ich dann auch danach noch im Homeoffice erledigen. Meine Frau ist ebenfalls berufstätig und dank Kita und Grosseltern sind wir ziemlich gleichberechtigt unterwegs.

Was macht ein Spitaldirektor den ganzen Tag?
Reden. Ich habe viele Besprechungen; auch ausser Haus mit den Behörden und Politikern des Kantons. Einmal pro Woche besuche ich eine Abteilung unseres Spitals. Ich bin gerne vor Ort und spreche mit den Mitarbeitenden; ich möchte wissen, wie es ihnen geht und was sie beschäftigt. Mit den meisten bin ich per Du. Natürlich kann ich nicht jedes Anliegen gleich aufnehmen und auf der Stelle lösen, aber es interessiert mich, was im Haus läuft.

Wie viele der Mitarbeitenden kennen Sie persönlich?
Ich kenne inzwischen so um die 400 bis 500 Mitarbeitende persönlich. Mich kennt umgekehrt vermutlich mittlerweile jeder.

Was sind die nächsten Ziele/Pläne für das Stadtspital Zürich?
Momentan geht es darum, die bereits gestarteten Projekte wie beispielsweise den Umbau des Turms im Triemli oder die Zusammenlegung des Triemli und des Waids zu einem guten Abschluss zu bringen.

Wie gefällt Ihnen Zürich? Was gefällt Ihnen am besten?
Ich habe in Zürich studiert und arbeite schon länger hier. Die Stadt ist attraktiv und hat Charme. Mir gefällt sie zum Beispiel an einem schönen Frühlingstag, wenn viele Menschen draussen sind, besonders gut. Die Innenstadt finde ich etwas hektisch, die Altstadt ist gemütlich. Aber ich bin ein Landei. Ich hatte noch nie den Wunsch, nach Zürich zu ziehen. Wir wohnen in der Nähe von Aarau, gleich neben einer Kuhweide.

Wie oft sind Sie im Fricktal und welchen Bezug haben Sie zu Hornussen?
Seit meine Eltern in Frick wohnen, bin ich nur noch in Frick. Zu Hornussen habe ich deshalb keinen Bezug mehr. Einige meiner ehemaligen Fricktaler Schulfreunde wohnen inzwischen auch im Raum Aarau; mit ihnen habe ich regelmässig Kontakt.

Was sind Ihre Lieblingserinnerungen an Ihre Jugendzeit im Fricktal?
Die Natur und das Grüne.

Wie schalten Sie abends ab?
Man muss sich in so einer beruflichen Position schon abgrenzen können. Es gibt in diesem Spital 1000 Probleme, um die ich mich kümmern könnte, aber das ist gar nicht möglich. Man darf nicht alles zu nah an sich heranlassen, sonst frisst es einem auf. Ich schlafe immer gut. Wenn ich das nicht könnte, wäre ich wohl am falschen Ort. Guter Schlaf ist wichtig. Natürlich gibt es auch Momente, in denen ich etwas mit nach Hause nehme, das mich beschäftigt.

Welches war der schönste Moment bisher?
Vermutlich heute. Heute ist wirklich ein schöner Tag. Die Spitalliste des Kantons ist eine Bestätigung für jahrelange Arbeit. Der Entscheid zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Eines meiner Anliegen ist, dass unsere Mitarbeitenden Familie und Beruf gut in Einklang bringen können. Damit bleiben wir auch als Arbeitgeber attraktiv. Das ist wichtig, da es im Gesundheitssektor an Fachkräften mangelt. Es hat ein Kulturwandel stattgefunden; für junge Männer ist es heute selbstverständlich, dass sie an der Familienarbeit aktiv teilnehmen möchten. Früher war es für Männer in meiner Position normal, dass sie fast Tag und Nacht im Büro sind und die Frau zu Hause die Kinder alleine betreut; auch das hat sich inzwischen geändert, wie ich auch bei meinen Kollegen in andern Spitälern sehe. Es ist auch als Chef möglich, die Arbeit so zu planen und zu erledigen, dass noch Zeit bleibt, um die eigenen Kinder zu sehen und zu betreuen. Ich möchte in diesem Bereich auch ein Vorbild für junge Männer sein und zeigen, dass es geht.


Von Hornussen nach Zürich

Marc Widmer ist in Hornussen aufgewachsen. Nach der Bezirksschule in Frick hat er die Kantonsschule in Aarau besucht. Er hat in Zürich Wirtschaftswissenschaften studiert und ist diplomierter Wirtschaftsprüfer. Nach über zehn Jahren bei einer grossen Beratungsgesellschaft baute er 2018 die strategische Unternehmensentwicklung im Stadtspital Zürich auf und übernahm später die Führung des ganzen Direktionsstabs und des Departements Finanzen. Seit 2019 ist er als Leiter Strategie und Finanzen des Stadtspitals Zürich tätig und Mitglied der Spitalleitung. Privat lebt er mit seiner Frau Katrin und den beiden Kindern Selina (7) und Jonas (4) in Küttigen. Viel Zeit für Hobbies habe er neben Familie und Beruf nicht mehr; wenn, dann koche er gerne mit Freunden.


640 Millionen Franken Umsatz, 4300 Mitarbeitende

Das Stadtspital Zürich ist das zweitgrösste Spital im Kanton Zürich; der Umsatz beträgt rund 640 Millionen Franken pro Jahr, das Spital verfügt über rund 4300 Mitarbeitende. Das Stadtspital Zürich ist eine Dienstabteilung des Gesundheits- und Umweltdepartements der Stadt Zürich. Es besteht aus zwei grossen Spitälern, dem Waid und dem Triemli. Während das Waid 1953 eröffnet wurde, gibt es das Triemli seit 1970. «Das Stadtspital Zürich hat bereits heute den zweitgrössten stationären Versorgungsanteil im Kanton Zürich. Jeder dritte Patient aus der Stadt Zürich und jede zehnte Patientin aus dem Kanton Zürich lässt sich bei uns behandeln», so Marc Widmer.

Laut dem aktuellen Strukturbericht des Kantons (Spitalliste) sollen alle altersmedizinischen Eingriffe schwerpunktmässig am Standort Waid erbracht werden, alle komplexen und spezialisierten Eingriffe werden primär am Standort Triemli erbracht. Im Jahr 2023 soll mit dem Ambulanten Zentrum an der Europaallee ein dritter, auf ambulante Medizin fokussierter Standort in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs eröffnet werden. Am Waid baut Zurzach Care ab Mitte Juli 2023 gemeinsam mit dem Stadtspital Zürich ein spezialisiertes Angebot in geriatrischer Reha auf. Am Triemli werden die Kliniken Valens (SG) ab Mitte 2023 zeitlich gestaffelt ein breites Reha-Angebot aufnehmen.


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