Bisweilen auf Biegen und Brechen

  25.11.2021 Möhlin, Politik

Morgen Freitag bestreitet Fredy Böni seine 33. und letzte Gemeindeversammlung: Rückblick auf eine Ära als Möhliner Gemeindeammann mit dem Menschen im Fokus.

Ronny Wittenwiler

Als Fredy Böni am 1. Januar 2006 von René Müller das Amt des Möhliner Gemeindeammanns übernimmt, ist vieles anders und Facebook, zwei Jahre zuvor erst gegründet, steckt noch in den Kinderschuhen. Heute sagt derselbe Böni: «Die Hemmschwelle für Anfeindungen ist durch die sozialen Medien kleiner geworden.» Ihm selbst, im Ton auch nicht immer zimperlich, machen die (tatsächlich vorkommenden) Anfeindungen zunehmend zu schaffen, vor allem gegen Ende seiner Amtszeit. Nicht mehr geht alles spurlos an ihm vorbei. Gleichzeitig sagt Fredy Böni aber auch: «Ich hatte grosse Freude an diesem Amt.» Im Vorwort zur letzten Gemeindeversammlung spricht er denn auch von einem lachenden und einem weinenden Auge.

Einiges in Bewegung gesetzt
Ohne Frage: Die Möhliner Politik hat Fredy Böni verändert. Fredy Böni aber hat auch die Möhliner Politik verändert. Vieles hat er angestossen und umgesetzt, eine vollständige Aufzählung gelingt nicht, in seine Amtszeit etwa fallen der Ausbau im Steinli zu einem modernen Sportzentrum mit Aussenplätzen und Dreifachturnhalle, die Zentralisierung der Oberstufe, der Neubau eines Jugendhauses, Umbau und Sanierung des Gemeindehauses zu einem modernen Dienstleistungszentrum. Die regionale Zusammenarbeit wird gestärkt, unter anderem durch die Fusion mit der Feuerwehr Zeiningen oder durch den Zusammenschluss mehrerer Reviere zum Forstbetrieb Region Möhlin. Während seiner Amtszeit endet allerdings auch das eine oder andere Vorhaben am Nein des Souveräns: Die Zentrumsplanung mit Tiefgarage zum Beispiel oder zuletzt die Testplanung für einen Entwicklungs- und Wohnschwerpunkt beim Bahnhof (Stichwort Mittelschule). «Wir scheiterten an ein paar Leuchtturmprojekten, die mir wehtun», sagt Böni. Es gehört zu seinem Wesen, dass er solche Enttäuschungen gar nie erst zu kaschieren versuchte. Dem vorausgegangen war jeweils ein einhundertprozentiges Engagement, bisweilen auf Biegen und Brechen. Als Fredy Böni Gemeindeammann wird, zählt Möhlin 9000 Einwohnerinnen und Einwohner. Heute sind es 11200. Er konnte es unmöglich allen recht machen. Jetzt tritt er nach sechzehn Jahren Amtszeit, in der ihm die Wählerinnen und Wähler das Vertrauen schenkten, per Ende Jahr ab. Zu behaupten, er habe während dieser langen Zeit der Gemeinde nicht den Stempel aufgedrückt, wäre gelogen. Wie heisst es so schön? Böni bewegt.


«Ich war oft nervös»

Er prägte eine Ära, liess niemanden kalt: der Möhliner Gemeindeammann Fredy Böni, 66, spricht über die letzten sechzehn Jahre und gewährt dabei auch sehr persönliche Einblicke.

Ronny Wittenwiler

NFZ: Fredy Böni, hätten Sie nochmal die Kraft für sechzehn Jahre Gemeindeammann?
Fredy Böni:
Von jetzt in die Zukunft? Nein.

Joe Biden ist gerade 79 geworden.
Er ist vermutlich ein anderer Typ. Ich könnte nicht mal mehr eine Amtsperiode machen. Das merke ich am Körper, am Geist. Man wird dünnhäutiger, mag nicht mehr so viel ertragen. Manchmal ist eine Leere da.

Waren Sie mehr Joe Biden oder Donald Trump?
Ich war Fredy Böni und versuchte, sachlich und fachlich zu argumentieren. Neunzig Prozent waren Sachgeschäfte, die nicht politisch gefärbt waren.

Mussten Sie manchmal einer sein, der Sie gar nicht waren?
Mehrfach. Letztlich muss der Gemeindeammann die meisten Entscheide persönlich unterschreiben, folglich auch unpopuläre; so bist du immer derjenige, der dafür gerade steht und manchmal eine unbequeme Rolle einnehmen muss.

Gewinnt man in sechzehn Jahren Amtszeit mehr Freunde oder verliert man mehr?
Für mich ist Zweites der Fall. Der Bekanntenkreis hat sich komplett verändert, viele haben sich abgewendet, neue kamen hinzu. Freunde sind ein noch engerer Zirkel. Doch auch dort gab es welche, ein paar wenige, die sich abgewendet haben.

Aufgrund von Sachentscheiden, die es zu fällen galt?
Das ist das eine. Freunde und Kollegen laden dich aber irgendwann auch nicht mehr ein, weil du keine Zeit hast oder weil sie denken: der hat sowieso wieder keine Zeit.

Fühlt man sich da auch mal einsam?
Das hat es ein paarmal gegeben. Ausser mit der eigenen Familie, die das alles hautnah mitbekommt, redet man nur wenig darüber. (Überlegt lange) Ich darf das schon sagen: Es gab auch einige Gemeindeversammlungen, nach denen ich bis 2 oder 3 Uhr nachts nicht einschlafen konnte. Der Adrenalinspiegel, die Argumente, die Attacken; verarbeiten musst du solche Dinge möglichst rasch, um sie nicht weiter mit dir herumzuschleppen.

Hat die Politik Sie sensibler gemacht?
Manchmal auch härter. Die Abwehr beginnt bereits bei den Argumenten, weil du weisst, worauf es hinausläuft. Diese Abwehrhaltung ist nicht gut. Ich hatte sie zu Beginn meiner Amtszeit nicht.

Sie sehen Ihre Wandlung als Fehler.
Sie ist einfach ein gewisser Schutz. Zuerst trägst du einen Rückenpanzer, am Schluss legst du dir eine Weste zu, dass die Schüsse und Angriffe, die dich treffen, nicht ganz hineingehen. Der Körper nimmt dennoch Schaden. Das will ich nicht mehr.

Kurz vor den Gemeinderatswahlen gab es eine anonyme Hetzkampagne gegen Ihre Person. Wieviel Solidarität haben Sie als Reaktion darauf erfahren?
Viel. Sehr viel! Auch von Personen, die politische Gegner sind.

Was hat Ihnen das gegeben?
Das hat wirklich gutgetan und bestärkt mich im Eindruck, nicht alles falsch gemacht zu haben. Das ist doch das Dumme am Menschen: In der Regel liest du stets nur das Negative über dich. Das Positive nimmst du einfach so hin.

Sie brauchten kaum je Handzettel, um abzulesen. Waren Sie nie nervös vor Gemeindeversammlungen?
Oft. Ich war oft nervös! Die grössten Herausforderungen waren die Gemeindeversammlungen zur Nutzungs- und Zonenplanung mit 1100 und 1400 Leuten.

Mir scheint, Sie konnten die Nervosität stets kaschieren.
Ich lernte früh: Je besser ich vorbereitet bin, desto einfacher geht es. Manchmal ist es mir geglückt, manchmal machte ich auch Fehler.

Zum Beispiel?
Gerade bei der letzten Gemeindeversammlung. Plötzlich hörst du: Gopferdori nomol, irgendwie wurde falsch gezählt. Da ordnete ich innert Sekundenbruchteilen eine Wiederholung der Abstimmung an. Diesen Entscheid kann man auch als Fehler bezeichnen. Du hast aber halt einfach keine Zeit.

Es war an der Gemeindeversammlung vom 24. Juni und es ging um die Frage, wie mit gemeindeeigenem Bauland in der Leigrube umzugehen sei: Verkauf oder Abgabe im Baurecht. Die Auszählung der Stimmen und damit das Abstimmungsprozedere sorgten gleich im Anschluss für Diskussionen. Man hatte zuerst versäumt, die Stimmen des Gemeinderats miteinzurechnen (die Gemeinderäte bezeugten ihre Stimmabgabe beim Abstimmungsprozedere nicht durch Handerheben). Die angeordnete Wiederholung der Abstimmung stellte dann das Resultat noch einmal auf den Kopf – zumal einzelne Exponenten die Chance für ein Taktieren zu nutzen wussten. Das Vorgehen sorgte für rote Köpfe bei den bürgerlichen

Parteien. Die NFZ berichtete.

Fühlten Sie sich von den Medien stets gerecht behandelt?
Dass Medien kritisch hinterfragen dürfen und auch müssen, war mir von Anfang an bewusst. Die Medien gingen fair mit mir um. In einzelnen Berichten habe ich mich vielleicht nicht immer einhundertprozentig richtig verstanden gefühlt. Das habe ich dann aber auch am Telefon mitgeteilt, sei das Ihnen, sei das anderen. Ich bekam dann auch stets eine Antwort und für mich war es jeweils erledigt.

Sie sind nicht nachtragend?
Ich würde mich nicht als nachtragend bezeichnen. Vielleicht sehen mich andere Leute anders.

Gerade im Hinblick auf Menschen, die sich abgewendet haben: Würden Sie sich freuen, wenn Ressentiments Ihnen gegenüber nachlassen, sobald Sie nicht mehr Gemeindeammann, sondern einfach Fredy Böni sind?
Da führen Sie mich aufs Glatteis (lächelt).

Zuviel verbrannte Erde?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe mit niemandem Krach.

Haben Sie nicht?
Nein. Mit niemandem! Vielleicht haben andere Krach mit mir, weil sie nicht gleicher Meinung sind. Möglicherweise habe ich einzelne Bürger mal so behandelt, dass ich schroff zu ihnen war, zu direkt. Ich weiss, da habe ich Fehler gemacht; Zurückhaltung, oder auch gar nichts sagen, wäre manchmal besser gewesen. Ich kann mich aber auch nicht «verdrehen». Ich freue mich einfach aufs Zusammensein mit Leuten, mit denen ich es lustig habe, mit denen ich diskutieren kann als Fredy Böni und nicht mehr nur als Gemeindeammann.

Und wann schreiben Sie Ihren ersten Leserbrief als alt Gemeindeammann?
Ehemalige verfügen über viel Erfahrung. Diese Erfahrung aber auf eine negative Art einbringen: vorher hatten wir es doch so und so gemacht, warum macht ihr es jetzt so? Das macht man nicht. Ich werde in den nächsten Jahren auch nicht an einer Gemeindeversammlung teilnehmen. Dieser Abstand muss jetzt sein.

Was machen Sie am 31.12.?
Wenn es Corona zulässt, bin ich mit meiner Frau in einem Wellness-Hotel im Südtirol. (Lacht)

Und um Mitternacht heisst es: Markus Fäs, übernehmen!
Ja. In der Nacht auf den 1. Januar stossen meine Frau und ich miteinander an. Mir hat die Aufgabe sehr viel Spass gemacht. Das Schöne überwiegt bei weitem.


Über 600 Gemeinderatssitzungen

Nach seiner Zeit als Gemeindeammann wird Fredy Böni 33 Einwohner-Gemeindeversammlungen geleitet haben, an denen über 240 Geschäfte behandelt wurden. Hinzu kommen 32 Ortsbürger-Gemeindeversammlungen (über 120 Geschäfte). In sechzehn Jahren leitete Böni über 600 Gemeinderatssitzungen, an denen über 2500 Geschäfte traktandiert waren; hinzu kommen rund 600 Geschäftsleitungssitzungen (über 3500 Geschäfte). Wie bereitet man sich seriös vor? «Lesen. Lesen. Lesen.» Sagt Fredy Böni. Das, so erklärt der abtretende Gemeindeammann, habe er sich stets zu Herzen genommen, für jede Sitzung, für jede Gemeindeversammlung. «Ich bin froh und dankbar darüber, dass es dank der guten Vorbereitung in den letzten sechzehn Jahren nie zu Beschwerden beim Gemeindeinspektorat zu den gefällten Gemeinderatsbeschlüssen gekommen ist.» (rw)


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