Zu viele Fälle und zu wenig Zeit
26.09.2021 FricktalDer Gemeindeverband Bezirk Laufenburg weist von Jahr zu Jahr höhere Fallzahlen aus. Mit der Folge, dass immer mehr Fälle auf einem einzelnen Berufsbeistand lasten. Der Einsatz von privaten Beiständen könnte eine gewisse Entlastung bringen.
Simone Rufli
Maximal 60 bearbeitete Mandate pro 100 Stellenprozent pro Jahr – so lautet die im Januar 2021 veröffentlichte Empfehlung der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (Kokes). Ein Richtwert, der im Gemeindeverband Bezirk Laufenburg mit über 70 Fällen derzeit überschritten wird; noch überschritten wird. Denn geht es nach der Kokes, wird sich die Situation in sämtlichen Regionen der Schweiz innert der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre wesentlich verbessern. Unter anderem durch den Einsatz von privaten Beiständen in Fällen, wo psychisch gesunde, erwachsene Personen in übersichtlichen Vermögensverhältnissen und ohne Sucht- und Gewaltprobleme zu betreuen sind. Sicheres Auftreten im Umgang mit Sozialversicherungen, Finanzinstituten und Amtsstellen wird aber immer verlangt. Und so kommt der Rekrutierung und Schulung von Privatbeiständen eine zentrale Bedeutung zu. Die Eignung einer privaten Person entscheidet letztlich darüber, welchen Fall sie übernehmen kann.
An der Fachtagung zum Thema «Beistände – Einsatz, Rekrutierung und Schulung privater Beistände in Abgrenzung zu den Berufsbeiständen» vom Mittwoch in Aarau (und online) wurde von den fünf Referenten nicht bestritten, dass vielen Berufsbeiständen schlicht die Zeit fehlt, um jedem Fall gerecht zu werden und eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung zur betreuten Person zu pflegen. Es wurde aber auch deutlich, dass es unterschiedliche Wege geben wird, um die Situation zu entschärfen.
Im Aargau das Familiengericht
Im Bezirk Laufenburg ist es die Kesb (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde), die Beistandschaften anordnet. Im Kanton Aargau wird die Kesb auch Familiengericht genannt. Das Familiengericht entscheidet über die Errichtung von Beistandschaften, ist in der Folge auch Aufsichtsbehörde über die Fallführung und entscheidet über allfällige Anpassungen von bestehenden Massnahmen. Die Berufsbeiständinnen und -beistände sind gegenüber der Kesb rechenschaftspflichtig.
Die Mandate betreffend Kindesschutz werden beim Gemeindeverband vorwiegend durch die Jugendund Familienberatung (JFB) geführt. Ein Mittel, die Berufsbeiständinnen und -beistände nachhaltig zu entlasten, sei das Angebot von vorgelagerten Dienstleistungen, betonte JFB-Stellenleiterin Sandra Wey. Sie wies darauf hin, dass es dank der Mütterund Väterberatung, der Kinder- und Jugendberatung, Schulsozialarbeit und anderen vernetzten Beratungsangeboten, in den letzten neun Jahren gelungen sei, die Anzahl zivilrechtlicher Massnahmen und damit der staatlichen Eingriffe, um die Hälfte zu reduzieren.
Gute Erfahrungen und Kritik
Bereits über Erfahrung im Einsatz von Privatbeistandschaften verfügt die Stadt Luzern. Dort kümmert sich eine spezielle Fachstelle erfolgreich um die Rekrutierung, die Schulung und den Einsatz der sogenannten Primas (private Mandatsträger), wie die ehemalige Fachstellen-Leiterin Susu Rogger ausführte. Ein dreiteiliger, obligatorischer Einführungskurs und begleitende Beratung durch die Fachstelle garantiere die nötige Kompetenz, so Rogger.
An der Fachtagung gab es aber auch kritische Stimmen. So warnte Oliver Kley, Fachrichter am Bezirksgericht Aarau davor, den Berufsbeiständen ausschliesslich die komplexen, problembehafteten Fälle zu überlassen. «Auch die Berufsbeistände brauchen angenehme Fälle, die Freude bereiten, da sie sonst noch mehr Gefahr laufen, auszubrennen.»
Jürg Lienhard, Oberrichter und Präsident der Kammer für Kindesund Erwachsenenschutz meinte zum Schluss: Wir dürfen uns nichts vormachen. Gratis gibt es diese Entlastung der Berufsbeistände nicht.» Die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer werden sich in den nächsten Tagen in Workshops weiter mit dem Thema befassen.