Der grosse Wolkenbruch von 1748

  07.08.2021 Magden

Am 6. August 1748 entlud sich über Magden, Nusshof und Wintersingen ein Jahrhundert-Unwetter, das viele Menschenopfer forderte, nämlich 6 in Wintersingen, 44 in Magden und 33 im Kunzental vor Rheinfelden. Der Bach war innert weniger Minuten um über 12 Fuss (3,6 Meter!) angeschwollen und hatte alles, was ihm im Weg stand, fortgerissen.

Werner Rothweiler

Der Magdener Pfarrer, Johann Jacob Mayer, berichtet darüber im Totenbuch:

Dieser schreckliche Wolkenbruch, oder genauer diese irdische Sintflut, die kürzlich am 6. August in der helvetischen Nachbarschaft unmittelbar vor Österreich niedergegangen ist, hat die Dörfer Wintersingen, Nusshof und Magden ruiniert. Etwa um viertel vor neun abends stürzten die Wassermassen von den Bergen durch die engen Täler in unsere Ebene und in die Vorstadt von Rheinfelden. Dies geschah mit solcher Wucht, mit wirbelnder Gewalt und Getöse, dass im andauernden Wolkenguss, unter Blitzen und Donnern, alles, was sich in der Nachbarschaft befand, im Strudel verschwand. Alles, was dem Wasser im Weg stand, wurde umgestürzt, zerstört und in den Rhein oder sonst irgendwohin geschwemmt.

Darunter sind drei vielgebrauchte Mühlen vor Rheinfelden und zwei in unserer Gemeinde; sie sind alle zerstört. Viele Häuser, Ställe, Speicher, Scheunen und andere Gebäude, die den Menschen und dem Vieh Schutz boten oder die Feldfrüchte aufnahmen, sind eingestürzt. Ganze Familien mit ihren Angehörigen, Knechte und Mägde, alte Frauen, das Zugvieh und der ganze Hausrat, sind aufs jämmerlichste in den Fluten versunken, sind erdrückt, verschüttet, zerbrochen und zerstört, ohne dass jemand hätte zu Hilfe kommen können. Zudem sind die Wiesen, die Gärten und die Äcker so überschwemmt und überschüttet mit Schwemmholz, Sand, Steinen und Schlamm, dass sie dem Beschauer auch jetzt noch einen widerlichen Anblick bieten. Indessen hat man unter all den verschütteten Dingen zahlreiche Menschen- und Tierleichen verschiedenen Alters und Geschlechts gefunden, und zwar überall, hier und dort, in den Feldern, auf den Strassen und Wegen, in den Gärten und Äckern, oder in Mulden, Löchern und Gräben, oder in den Räumen der zerstörten Häuser. Man hat Leichen gefunden, an Ästen gefallener Bäume hängend, sich an ein Stück Holz, ein Brett oder einen Stein klammernd; Leichen zermalmt, unkenntlich, entblösst, vom Wasser aufgebläht, die Gliedmassen verstümmelt und vollkommen entstellt. So viel Kummer und Schmerz, so viel Leid, Opfer und unermesslichen Schaden, haben Menschen schon lange nicht mehr erdulden müssen.

Die Zahl der Verschütteten beiderlei Geschlechts in unserer Gegend errechnet sich leicht zu achtzig oder noch mehr. Denn für diejenigen und das, was im Rhein oder an anderen uns unbekannten Orten verschwunden ist, kann man keine Zählung machen, bis man davon genaue Kenntnis bekommen hat, vor allem nicht für das Vieh und den Hausrat aller Art. Wir versuchen eine Schätzung zu machen, eher als eine genaue Zahl zu ermitteln. Niemand der uns bekannten Leute ist alt genug, sich an ein solches  Hochwasser erinnern zu können. Wir haben es gewiss der besonderen Barmherzigkeit Gottes zu verdanken, dass wir nicht auch mit unserem Dorf verschwunden sind in einer so grausamen Situation. Also sei es durch die unendliche Gnade unseres unermesslich guten und grossen Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. P.S. Dieses – selbst in einer solchen Verwirrung –scheint mir überaus wert zu sein, zum Gedächtnis unserer Nachfahren aufgezeichnet zu werden:

Die entfesselten Wasser haben sich mit ungestümer Wucht aus dem engen Tal ins Gebiet der nahen Stadt gestürzt, solcherart, dass sie in kurzer Zeit eine ungeheure Kluft von 1/8 Jucharte Ausdehnung weggespült haben. Gleichzeitig, man höre und staune, haben sie die Reste einer unterirdischen sehr alten und unbekannten Kirche freigelegt. In der Umgebung des Altars, der Sakristei und der Kapelle kann man noch jetzt mit eigenen Augen wie ein Wunder Ablagerungen, Gräber, Grabinschriften und Knochenreste sehen, die hier und da verstreut herumliegen. Sehr alte Dokumente des Rheinfelder Priesterkollegiums bezeugen und machen uns glauben, dass dieses Gotteshaus, das während so vielen Jahren verschüttet war, früher den Rittern gehörte. Doktor Joseph von Eggs, der achtzigjährige Küster und Domherr zu Rheinfelden, hat dieses Zeugnis eigenhändig niedergeschrieben. Ich wollte jedoch diese Schilderung hier wiedergeben, damit man sich ihrer für immer erinnert. (von Johann Jakob Mayer, Pfarrer).

Nach diesem, in lateinischer Sprache verfassten Bericht, folgen die Namen derer, die in diesem Elend ums Leben gekommen sind. Besonders vermerkt ist auch folgendes: Agnes Hauss fand man mit dem Rosenkranz in den Händen, den sie wie eine Krone über den Kopf gestülpt hatte, bis zu den Ohren und dem Kinn. Sie ist mit ihrer ganzen Familie umgekommen. Wilhelm Lützelschwab wurde von einer eingestürzten Mauer begraben. Elisabeth Clauser war während der Flut in einem Baum hängen geblieben und dann zusammen mit ihren Söhnen und Töchtern dahingegangen. Engelhard Hasler hatte die ganze Nacht auf einem Baum zugebracht, bald darauf sitzend bald darin hängend, um den Fluten zu entkommen. Er hatte geschrien bis am Morgen ohne Unterbruch. Er hatte um Hilfe gerufen, bis er endlich von einigen Rheinfeldern geborgen und in die Stadt getragen wurde, wo er verstarb.

Magden bittet um Hilfe
Schon drei Tage nach dem Unglück schickt das Oberamt Rheinfelden drei Abgeordnete, darunter Hans Heinrich Tschudin von Magden, auf die Reise, um in den Ortschaften entlang des Rheins das dort angeschwemmte Strandgut einzusammeln und wieder nach Hause zu bringen. Die mitgeführte Bittschrift , die im Staatsarchiv aufbewahrt ist, schildert das Unglück so: ... sind gegen die 90 Persohnen erbärmlich ersaüffet, und samt all ihren Hausmobilien in den Rhein geworffen worden, mithin der Menge sowohl Menschen als Trög, Kisten, und ander Haussgeräthschaften an dem Ufer des Rheins aussgestossen erfindlich seyn mögen. Die befreundeten Städte und Stände werden gebeten, sie möchten nicht nur allein was dort gelendet seyn möchte den Überbringern der Bittschrift zurückgeben, sondern ihnen auch sonst all nöthige Hilff angedeyen lassen. Die drei Emissäre sind fünf Tage unterwegs. Sie lassen die Bittschrift jeweils von den Stabhaltern der besuchten Orte visieren zum Beweis, dass sie den Auftrag ordnungsgemäss erfüllt haben. Ferner verfassen sowohl die Magdener Behörden wie der Rheinfelder Rat Bittgesuche (sog. «Suppliken»), mit denen Abgeordnete in die Nachbarlande geschickt werden, um eine beysteüer zu sollicitieren. Das Magdener Bittgesuch ist nicht überliefert, aber es dürfte jenem der Stadt Rheinfelden sehr ähnlich gewesen sein. Dieses verweist zunächst auf die Not, welche die Stadt ohnehin schon erlitten hat durch: 5 Jahre Kriegslasten und ausgedehnte Zerstörungen an Brücke, Stadtwerken und Gebäuden infolge des Österreichischen Erbfolgekriegs (1740-1748), eine Viehseuche die alles Hornvieh hinwegraffte sowie Missernten wegen Hochgewittern und Hagelschlägen. Dann wird der aktuelle Schaden u.a. so beschrieben: Das Wasser habe im Dorfe Magten 16 Häuser samt Ställen und Scheünen weggeschwemmt, danebst 51 personen als entselte leichnahm mit einer grossen quantitet ertrunken sehr vil vich einem sundfluss glich daher gefüehrt, vor allhiesiger statt 3 mahlmühlen und scheuren, auch ein saagi, und ribe (=Hanf-/Flachsmühle), wie nicht weniger die darinnen befindlich geweste 33 personen und, ohne an gerätschaften und vich etwas retten zu können, auf einmahl hingerissen und die ertrunkene körper lengs dem Rhein nach fast in die Gegend Strassburg fortgetriben ... und an der Stadt selber einen Schaden von über 25000 Gulden verursacht... Die Rheinfelder schicken den Chirurgus Antoni Meier ins Elsass und ins bischöflichbaselische Gebiet und den Stadtrat Anthoni Römer in die 13 Orte der Eidgenossenschaft, aus der die Wasserflut gekommen ist. Aus dem Bericht eines Rheinfelder Gesandten erfahren wir, dass sich Rheinfelder und Magdener Bittsteller beim Sammeln in der Eidgenossenschaft in die Quere gekommen sind. Er erwähnt, dass die Magdener in Zürich 20 Gulden bekommen hätten (die Rheinfelder bekamen 300 Gulden), dass er sie auch in Schaffhausen getroffen und alljetzo noch an 40 orth mit ihnen zusammengekommen wäre und einer dem andern die Sach verdorben habe.

Die Magdener Bittsteller, Stabhalter Georg Stäuble, Gemeindeschaffner Joh. Jak. Jakoberger sowie Heinrich und Johann Tschudi und M. Rüde suchen Unterstützung beim Markgrafen von Baden-Durlach, beim Bischof von Konstanz, sowie bei Behörden und Corporationen da und dort. Ausser, dass die Stadt Basel 200 Gulden beigesteuert hat, ist über den Erfolg der Hilfegesuche nichts bekannt.

Wie der Wintersinger Pfarrer das Unwetter beschreibt
Im Gemeindearchiv finden sich keine Akten über die Unwetterkatastrophe. Umso interessanter ist die Predigt des Wintersinger Pfarrers Samuel Grynaeus, die, mit einem Anhang versehen, von der Basler Buchdruckerei Thurneysen noch im selben Jahr gedruckt wurde. Im Anhang erfahren wir von sonderbahren Merckwürdigkeiten, welche bey dem ausserordentlichen Wasserguss sich begeben: Allhier in Wintersingen sind 6 Personen, nämlich 2 Mütter, eine jegliche mit 2 Töchtern, ertrunken. Diese allesamt hat man gleich des folgenden Tags, und zwar des Schneiders zwei Töchter in der Österreichischen Nachbarschaft, wieder gefunden. 3 Häuser, samt 1 Scheuer, 1 Stallung und noch 2 geringere Gebäude, mit allem, was darin gewesen, sind zu Grund gegangen. 1 Kalbele, 1 Ziege, 1 Schwein und 8 Schafe sind verloren gegangen. Die Menschen flüchteten auf Scheiterbeigen, Heuböden und Öfen, um sich vor der Sturzflut in Sicherheit zu bringen. Eine Mutter war mit ihrer jüngsten Tochter in der Stube, als das Wasser die Fenster eindrückte und die Stube füllte. Sie stiegen auf den Ofen. Als ihnen das Wasser auch dort bis an die Hälse reichte erwarteten sie nichts anderes als den Tod und führten in dieser Gefahr ein erbärmliches Geschrei. Der Mann und Vater, welcher in die obere Stube geflohen, da er dies Weheklagen gehöret, hat, so geschwind er konnte, mit grösster Mühe ein Loch in den Boden gemacht, durch welches er seine Frau und Tochter aus der Todesnot, in deren sie gestecket, erretten können. Ein über achtzig Jahre alter Mann wurde im Stall vom reissenden Wasser überrascht und konnte mit Glück einen Holznagel in der Wand fassen, an dem er sich über eine Stunde festhielt. Aber nirgendwo ist der Schade und hiemit der Jammer grösser, als zu Magden, einem Österreichischen Dorf, eine kleine Stund von hier gelegen. Zwar hat es allda, wie man vernommen, nicht gar stark geregnet; aber die Gewässer von Buus, von Wintersingen, und von dem Nusshof, allwo der Regen auch sehr stark gefallen, haben zu Magden sich vereinbart, und daselbst erschröcklich gewütet: Denn 23 oder 24 grosse Gebäude, teils Häuser, teils Scheuren mit ihren Ställen sind völlig über einen Haufen geworfen und dermassen weggespült worden, dass man von einigen den Ort nicht mehr kennt, wo sie gestanden. Mehr als 20 andere Häuser sind zum Teil niedergerissen, oder gar mächtig beschädigt worden. 44 Personen sind zu Magden ertrunken, darunter sollen 5 schwangere Weiber gewesen sein. Von diesen ertrunkenen Leuten sind 19 bald wieder gefunden, und auf dem dortigen Kirchhof zusammen in ein Grab gelegt worden. Ausserdem sind mehr als 30 Rinder, 52 Schweine, 49 Schafe und 12 Ziegen verloren gegangen.

Hochwasser im 20. Jahrhundert
Immer wieder verursachten Unwetter Hochwasser. Wenn es auch nie mehr so schlimm kam wie 1748, so wurde doch immer wieder grosser Schaden angerichtet. Zu den grössten Überschwemmungen kam es in den Jahren 1910, 1937 und 1953, wobei die Hauptstrasse vom Ausserdorf bis zum Unterdorf jeweils zum Bach wurde. Das Wasser stand so hoch, dass die Brunnentröge der Schwefel-, Kreuz- und Alti-Gass-Brunnen nicht mehr zu sehen waren.

(Dieser Beitrag erschien erstmals in der Magdener Dorfgeschichte 2004)


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