«Kirche hat mit mir zu tun»

  19.07.2021 Frick

Christian Vogt fand übers Nokia 3210 zur Theologie

Christian Vogt hat schon manchen Brand gelöscht, als Feuerwehrmann und als Seelsorger. Im Gespräch mit der NFZ erzählt der neue Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Frick, wie er in einem Call-Center zur Theologie fand und dass er in der Seelsorge seine Berufung gefunden hat.

Simone Rufli

Geboren und aufgewachsen ist Christian Vogt in Illnau-Effretikon im Zürcher Oberland. Da sind die Erinnerungen an das Bräteln im Garten der Grosseltern, an eine unbeschwerte Kindheit und an die vielen Interessen. Geografie, Archäologie, Psychologie, Pädagogik, Geschichte, ja sogar Jurisprudenz standen zur Debatte. Nach der Matura drängte sich ein Zwischenjahr deshalb regelrecht auf, um Geld zu verdienen und vor allem Zeit zu gewinnen, «um mir klar zu werden, was ich wirklich wollte», so der 41-Jährige. Auf der Bühne im Fricker Kirchgemeindehaus erzählt er aus seinem Leben. «Am Ende war es die Arbeit im Call-Center eines grossen Telefonanbieters, die die Entscheidung zugunsten der Theologie brachte.»

Als Mobiltelefone hip waren
Es war die Zeit des Aufbruchs ins mobile, digitale Zeitalter. Die Zeit, als die Arbeit mit Mobiltelefonen so richtig hip war – «Ich interessierte mich für Computer und konnte nicht nur die Menu-Struktur des Nokia 3210 bald auswendig». Als Angestellter im Call-Center mit 24-Stunden-Betrieb fand er aber auch Zeit, in diverse Vorlesungen hineinzuschauen. Noch wichtiger aber seien die nächtlichen Telefongespräche gewesen. «Zwischen 22 Uhr und 6 Uhr waren die Anrufe nur noch vordergründig technischer Natur. Meistens riefen Leute an, die jemanden zum Reden brauchten und noch häufiger zum Zuhören.» Wenn es auch nicht gerade dem Kerngeschäft des Call-Centers entsprach: «Mich freute es, für Menschen da sein zu können.» Warum also nicht Theologie studieren und die Begleitung der Menschen zur Hauptaufgabe machen?

«Hätte der liebe Gott gewollt, dass ich nicht Pfarrer werde, hätte er mich durch die Prüfungen rasseln lassen», sagt Vogt und lächelt verschmitzt. Und so studierte er an der Uni in Zürich die Theorie während er als Mitglied der Kirchenpf lege und Freiwilliger in der Jugendarbeit Kirche lebte und so manches Konfirmandenlager begleitete.

Die Kirche versteht er als Ermöglichungsraum. «Ich möchte Kirche gemeinsam mit der Gemeinde erleben. Die Menschen durch meine seelsorgerische Tätigkeit befähigen, eigene Lösungen für ihre Probleme zu finden und damit auch eine Abhängigkeit von mir als Pfarrer vermeiden.»

In die Wiege gelegt wurde ihm das kirchliche Leben nicht. Sein Vater war Buchbinder, seine Mutter Verkäuferin, in erster Linie aber Hausfrau und Mutter. «Wie viele andere kam auch ich hauptsächlich durch Familienfeste in Berührung mit der Kirche.» Erst im Konfirmanden-Unterricht habe er Feuer gefangen, «realisiert, dass Kirche etwas mit meinem Leben, mit mir, zu tun hat».

Festhalten kann man die Jungen nicht
Jugendliche nach der Konfirmation mit aller Kraft an die Kirche binden zu wollen, «funktioniert nicht», sagt der Pfarrer und stellt fest: «Wir Jungen wurden damals nicht von der Kirchgemeinde festgehalten. Wir fanden im kirchlichen Umfeld einfach die Bedingungen vor, die es uns ermöglichten, zusammen Gemeinschaft zu erleben und auch immer wieder Grenzen auszuloten. Wir haben Gottesdienste organisiert, zu denen viele Kirchgänger keinen Zugang fanden, aber es wurde uns ermöglicht, weil die Kirchgemeinde Effretikon über die personellen und finanziellen Ressourcen verfügte.»

Vor Frick war er in der Kirchgemeinde Veltheim-Oberflachs tätig. In Veltheim war er der einzige Pfarrer im Dorf. «Von der Wiege bis zur Bahre, das volle Programm. Ja, das war schön und bereichernd, aber auch anstrengend.» Ein 24-Stunden-Job war das. Selten habe es geklappt, wenn er mit seiner Frau etwas Privates habe unternehmen wollen. Dabei mag er Museumsbesuche und meditatives Bogenschiessen. «Das ist wie Wandern und Pilgern», fängt Vogt den fragenden Blick auf. «Beim Pilgern hat man Zeit, zu sich zu finden, beim meditativen Bogenschiessen geht man in der Konzentration und Ruhe bei der Schussabgabe auf. Das Ziel ist nebensächlich.»

Dann erzählt der Pfarrer von den Seniorennachmittagen in Veltheim, bei denen er auch Werke von Anker, Hodler oder Segantini zum Thema machte oder die Bibel in der bildenden Kunst unter die Lupe nahm. «Es ist faszinierend zu sehen, was zu welcher Zeit wie dargestellt wurde.»

In der Phase des Kennenlernens
Soweit wie in Veltheim ist er in Frick noch nicht. Noch befindet er sich in der Phase des Kennenlernens. Christian Vogt schaut zum Fenster hinaus, der Regen macht gerade Pause. «Die Feuerwehren haben jetzt alle Hände voll zu tun», sagt er mit Blick auf die prekäre Hochwassersituation. «Ich wurde vor Jahren für den Militärdienst für untauglich erklärt und dafür bei der Feuerwehr mit Freude aufgenommen.» Acht Jahre war er in der Freiwilligenfeuerwehr in Effretikon tätig, bevor er in Veltheim die Ausbildung zum Offizier gemacht hat. Vogt lacht: «Man hat mir verziehen, dass ich nach einem nächtlichen Feuerwehreinsatz am Seniorennachmittag etwas schläfrig war. Wobei es unter der älteren Bevölkerung schon auch Menschen gab, die mir geradeheraus sagten, dass sie mich lieber im Talar sehen als in der Feuerwehruniform.» Dabei war es der Feuerwehrmann Vogt, der dem Pfarrer Vogt Türen öffnete zu Menschen, denen die Schwelle am Eingang zur Kirche sonst zu hoch war.

Die nächste Einführung ins meditative Bogenschiessen findet statt am Samstag, 4. September 2021.


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