hesch gwüsst?

  06.05.2021 Kolumne

Der Stein des Anstosses und ein kulinarisches Kulturgut

Robert Conrad

Die im Mittelalter angelegten Fahrwege waren nicht befestigt und durch Regen und Wind sind sie oft beschädigt oder gar weggeschwemmt worden – entsprechend unsicher waren diese Wege zu befahren. In den Ortschaften kam noch hinzu, dass die Wege durch Küchenabfälle und Fäkalien in Verbindung mit den Niederschlägen zu einer recht sumpfigen und übelriechenden Angelegenheit wurden. So war es irgendwie verständlich, dass sich die Fuhrmänner mit mehr oder weniger grossen Alkoholmengen den notwendigen «Schutzpegel» zulegten. Was beim Lenken mit Alkohol im Blut passieren kann, ist auch heute noch allgemein bekannt. Und so passierte es in den Dörfern und Städten immer wieder, dass die Fuhrmänner und ihre Karren mit den massiven, herausstehenden Radnaben an den Hausecken hängenblieben und diese beschädigten. Die Hausbesitzer waren natürlich nicht wirklich «amused» und begannen ihre Häuser mit Abwehrsteinen zu schützen. Mit sogenannten «Steinen des Anstosses» und so «kratzten die Wagen die Kurve» mit ihren Radnaben an den Steinen und nicht mehr an den Häusern. Diese Steine helfen uns heute noch in mittelalterlichen Altstädten genau zu erkennen, wo die Routen der Fuhrwerke damals durchführten – man muss nur schauen, in welchen Strassen solche Steine die Häuser schützen.

Das Problem «alkoholisierte Fuhrmänner» gab es in ganz Europa – vor allem in warmen, südlichen Ländern war der Durst entsprechend gross – speziell auf der iberischen Halbinsel mit grossen Distanzen und langen, staubigen Strassen, war das Bedürfnis zu trinken, unbedingt «lebensnotwendig». Dies wurde insofern kritisch, weil die Fuhrmänner ausschliesslich in den leeren Magen tranken, ohne etwas zu essen, und das kam selten gut. Man überlegte, wie dies gelöst werden könnte. Den Alkohol zu verbieten war chancenlos – dessen war man sich bewusst – aber, wie wäre es, wenn man die Leute zwingen würde, vor dem Trinken etwas zu essen? Und so entstand ein Gesetz, das den Wirten vorschrieb, dass jedes Glas Alkohol mit einem Deckel bedeckt werden müsse, auf dem sich kleine Speisen befanden. So musste erst der Deckel leergegessen werden, bevor man zum Inhalt des Glases gelangte. Man nannte diese mit Speisen belegten Deckel ganz einfach «Tapas».


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