«Mit Lieder de Gedanke meh Gwicht gää»

  04.05.2021 Frick, Kultur

Schertenlaib und Jegerlehner begeisterten im Fricker Kornhauskeller

Die beiden Thuner Kabarettisten Michel Gsell alias Schertenlaib und Gerhard Tschan alias Jegerlehner eroberten mit den Programmen «Päch», Schwäfu» und «Zunder» die deutschsprachige Kabarett-Szene. Im Fricker Kornhauskeller präsentierten sie am Freitagabend das aktuelle Programm «Textur».

Clara Willers

«Es war noch nie so einfach, ausverkauft zu sein», sagte Kulturmanagerin Hedy Stalder schmunzelnd mit einem Blick auf das Publikum im Fricker Kornhauskeller. Mit Spannung erwarteten 50 Kulturbegeisterte Michel Gsell und Gerhard Tschan, alias Schertenlaib und Jegerlehner. Ihre musikalische Virtuosität ermöglicht es den Künstlern, ihrer Poesie die passende Note zu geben; im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Auf Punk in englischer Sprache folgte direkt ein Brass-Stück, wobei die Blasinstrumente mit dem Mund nachgeahmt wurden, sowie Samba-Rhythmen mit Schlagzeug und Mundharmonika. Mit dem Aneinanderreihen von Musikstilen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen entstanden sind, weisen die beiden Berner darauf hin, dass nichts beständig ist und es je nach Lebenslage einer anderen Lebenseinstellung bedarf. «Wir verweben sinnliche Stoffe zu einer Geschichte, bleiben aber nicht an der Oberfläche, sondern schauen hinter das Gewebe, hinter die Textur», schilderte Jegerlehner.

Zwischen Unsinn und Tiefsinn
Auch wenn sich das Duo über beliebte Anglizismen wie «All Inclusive» köstlich amüsieren kann, passt das Wort «Multi Task» zu den beiden 59-jährigen Thunern. So ist Jegerlehner in der Lage, gleichzeitig das Akkordeon und das Schlagzeug zu bedienen und Schertenlaib wiederum gelingt es, auf spontane Rhythmusänderungen seines Compagnons einzugehen, ob sprechend, singend oder musizierend. Der Klangteppich changiert dabei vom Blues über Tango und Samba bis zum Balkan Groove. Je nach Stück kommen die Melodika, die Ukulele, der Bass, das Schlagzeug, die Tuba oder die Mundharmonika zum Zug.

Ihr Sprachwitz pendelt zwischen Unsinn und Tiefsinn so, wie man es von Gesprächen zwischen vertrauten Freunden kennt. Während Jegerlehner zu jedem Thema eine passende Redewendung, ein passender Spruch einfällt, ist Schertenlaib stets darauf aus, diese als Plattitüden zu entlarven.

Vom grossen Glück träumen
«Man verpasst viel, wenn man ständig unter Strom steht und immer pressiert», ist Schertenlaib überzeugt. Jegerlehner dagegen meint, man bleibe stehen, wenn man alles verpasse und sich nie bewege. Einig sind sich beide darin, dass das «Pressiere», das Sich-Beeilen nicht garantiert, am Ziel tatsächlich anzukommen. «Chume auä nid, dänke, auä nid, chumen auä nid, wüu es längt mr auä nid», mockiert sich das Duo im Lied «Ha immer pressiert» über all jene, die ständig das Gefühl haben, etwas zu verpassen. Es gehe um Menschen, die nie wirklich laut schimpfen, aber weder eine Leiter zum Aufstieg, noch das grosse Los gezogen oder einen Horizont vor Augen haben. «Wie auf Fahrrädern ohne Bremsen und haltlos rasen einige durch das Leben.»

Alle träumen vom grossen Glück. Doch während Schertenlaib befindet, dass Träume Wünsche und Gedanken sind, die er sitzend an sich vorbeiziehen lassen will, thematisiert Jegerlehner klingende Lebensmottos wie «Lebe deinen Traum», die, einmal durchdacht, nichtssagend zerplatzen wie Seifenblasen. Versöhnlich wird das Duo beim Tango «Latte macchiato», da sich viele schlicht danach sehnen, in den Arm genommen zu werden, um die Angst vor der Zukunft oder unerfüllten Erwartungen nicht allein zu tragen.

Dass die Sehnsüchte nicht nur Künstler wie Schertenlaib und Jegerlehner, sondern auch Büezer oder Bürogummis teilen, thematisieren die beiden im Stück «E Stange für de Jüre» und im Blues «Jasmin». Die Sehnsucht oder der Traum vom grossen Glück ist nicht an einen realen, geographisch determinierten Ort gebunden, sondern an unseren Kopf und unsere Gedanken und die Personen, auf die wir sie übertragen. «Es git e Ort, ohni z’sueche, es git dr Ort, wo me scho isch», singen sie.

Mit dem «Lied vo de Texture», von den verschiedenen Stoffen des Lebens, möchte das Duo «de Gedanke meh Gwicht gää». Mit einem anerkennenden Applaus zeigte das Fricktaler Publikum, dass die beiden Künstler am Ziel dieses berührenden poetischen Liederabends angekommen sind.


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