Dann kam der Tag der offenen Tür

  01.04.2021 Gipf-Oberfrick

Von der Vorfreude auf fröhlich-buntes Treiben

«Ostern hat das Zeug, unsere Fantasie zu wecken, uns ins Kopfkino zu locken», schreibt Matthias Jäggi und erzählt davon, was ihm mit Blick auf den «Hirschen» in Gipf-Oberfrick so alles durch den Kopf geht.

Wenn ich aus dem Fenster meines Studierzimmers blicke, sehe ich einen knorrig-strubbeligen Apfelbaum und etwas weiter weg – auf der anderen Seite des Bruggbachs – die symmetrischweisse Front des Restaurants «Hirschen». Diese Aussicht gefällt mir sehr.

Als wir letzten Oktober in Gipf-Oberfrick eingezogen sind, habe ich rasch gegoogelt. Spannend! Der «Hirschen» sei von etwa 1930 bis 1950 ein Kurhaus gewesen, mit Solbad, Parkanlage und dem ersten öffentlichen Freibad in der Region. Seitdem ich das weiss, startet beim Schweifen-Lassen des Blicks gelegentlich das Kopf kino. Im Programm: Mal ein Liebesfilm, mal ein Spionagethriller. Ich sehe einen Bauernsohn aus dem Dorf im Schutz der Nacht das «Strandbadwegli» hochgehen, im Kurhaus vorsichtig die Treppen hochsteigen und oben leise an die Tür einer Fabrikantentochter aus Basel klopfen. Ich sehe im Salon Sergei vom KGB und Bob vom CIA, wie sie nach dem siebten Kirsch eine internationale Krise abwenden. Ich sehe bunte Sonnenschirme, fröhliche Menschen – und einen Geistlichen, für den das bunte Treiben in der gemischten Badi zu bunt ist und der deshalb, wie in der Dorfchronik vermerkt, vor diesem Ort des Müssiggangs und des Lasters warnt.

Seit einigen Jahren ist der «Hirschen» geschlossen. Wie zurzeit so vieles. Andere Restaurants, Kulturlokale, auch die Türen der Kirchgemeinde-Mitglieder: Zu! Wir leben in Zeiten der geschlossenen Türen. Und die Menschen, denen ich als neuer Pfarrer doch da oder dort begegne, sind alle maskiert, alle bis über die Nase verhüllt.

Damals in Jerusalem waren die Türen auch zu. Die engsten Freunde und Freundinnen von Jesus hatten sich in ihren Häusern eingeschlossen. Vor kurzem herrschte noch fröhlich-buntes Treiben. Die Auftritte des Hoffnungsträgers der Armen gerieten zu Volksfesten, tolle Reden, Brot und Fisch für alle – kostenlos, ein triumphaler Einzug in die Stadt.

Jetzt hatten ihn die Machthaber umgebracht. Dann kam der Tag der offenen Tür. Ostern. Der Stein vor dem Grab weggerollt, die Grabkammer leer. Nicht dass die, die Jesus nahegestanden waren, sich gleich wieder raus getraut hätten. Sie blieben skeptisch, setzten sich zum Teil an den See Genezareth ab, wo sie früher als Fischer tätig waren. Aber der Tag der offenen Tür führte bei ihnen zu vorsichtigen Öffnungsschritten. Raus aus der Angst, wieder rein ins fröhlich-bunte Leben. Erst mal den Kopf rausstrecken, dann einen ersten Schritt vor die Türe. Dann einen zweiten. 50 Tage später, an Pfingsten, riskierten sie wieder einen ersten Grossevent.

An Ostern 2021 gehen nicht alle Türen wieder auf. Aber es sagt auch niemand, dass wir uns in unserem Frust über das, was im Moment nicht möglich ist, einigeln müssen oder dass wir uns von unseren Ängsten einschliessen lassen müssen. Ostern hat das Zeug, unsere Fantasie zu wecken, uns ins Kopfkino zu locken. Im Programm: «Tage der offenen Türen». Die Geschichte handelt vom Neuen, das sich jeden Tag entdecken lässt – beim Beobachten der Knospen am Apfelbaum vor dem Fenster, beim genauen Hinhören auf das, was mir jemand erzählt, bei einem virtuellen Ausflug in ein Museum, bei einem Spaziergang durchs Quartier … In der Hauptrolle von «Tage der offenen Türen»: Sie! Ostern hat so das Zeug, unsere Vorfreude zu wecken auf ein neues, vielleicht anderes, aber ganz bestimmt wieder fröhlich-bunt-lebendiges Treiben.


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