«Wenn ihr mögt – wir sind da»
24.04.2021 MöhlinZwischen Virus und Freiheit: die Jugend auf dem Prüfstand
Die offene Jugendarbeit Möhlin (JAM) ist nach über einem Jahr Corona eine andere geworden. Ein Gespräch mit den Verantwortlichen.
Ronny Wittenwiler
Gemeinsam sitzen sie auf der Couch. Benjamin Neale sagt irgendwann: «Natürlich haben auch wir Corona nicht als positiv erlebt. Aber die Art, wie wir in dieser Zeit zusammengearbeitet haben, war sehr positiv.» Neale ist Jugendarbeiter, genauso wie Bettina Ludwig. Beide sehen seit über einem Jahr, hier im Jugendhaus, dem Treffpunkt der offenen Jugendarbeit Möhlin, was Corona mit den jungen Menschen macht und was die jungen Menschen mit Corona machen. Laila Tota, Treffleiterin und Fachfrau Betreuung in Ausbildung, ist ebenfalls zugegen, genauso Geschäftsleiter Severin Schürch. Beim Gespräch fallen Sätze wie: «Man merkt, dass den Jugendlichen die Situation zu schaffen macht.» Oder: «Es geht ihnen nicht gut.» Oder: «Sie haben keine Lust mehr.»
Die Sache mit der Logik
Keine Lust? Nun, wer hat schon Bock auf Corona! Keine Lust, was womöglich etwas kurz greift, bedeutet vielleicht auch: Langsam geht den jungen Menschen der Schnauf aus. Die Erklärung dafür ist bemerkenswert differenziert. Gerade Jugendliche seien darauf angewiesen, dass das, was sie tun dürfen und was nicht, auch nachvollziehbar sei – findet Laila Tota. Doch in der aktuellen Situation sei nicht immer alles für alle gleich logisch. Ein Beispiel folgt auf dem Fuss: Die Jugendlichen können zwar Essen von zuhause mitnehmen oder sich gar eine Pizza hierher in den Treff liefern lassen. Demgegenüber erlaubt es die aktuelle Corona-Verordnung nicht, im Jugendtreff Snacks oder Getränke zu verkaufen. «Ich glaube, in diesem Alter ist es schwierig, solche Dinge einfach anzunehmen.» Trotzdem, findet Tota: «Die Jungen machen es super in dieser auch für sie mühsamen Zeit.» Und ja, die Unruhen in St. Gallen hätten auch die jungen Menschen in Möhlin mitbekommen. Der Tenor? «Dass Dinge kaputt gemacht werden, können sie nicht nachvollziehen.»
«Haben Erwartungen aufgebaut»
Die Frage drängt sich mit zunehmendem Gespräch auf: Sehen sich die JAM-Verantwortlichen manchmal als eine Art Anwälte der Jugend, gerade jetzt vielleicht besonders, in Zeiten von Corona? Manchmal bekomme er schon das Gefühl, für die Jugendlichen einstehen zu müssen, sagt Severin Schürch, und Bettina Ludwig bestätigt: Das Argument einer «verwöhnten» Jugend komme manchmal schnell auf den Tisch.
Für alle in der Möhliner Jugendarbeit aber ist klar: so einfach ist es nicht. Selbstverständlich sei die aktuell junge Generation sehr behütet aufgewachsen. Es schien eine Generation, meilenweit entfernt von möglichen Krisen und ausgestattet – gerade noch – mit sehr vielen Freiheiten, besonders hier in der Schweiz. «Und plötzlich kommt ein Hammer mit vielen Einschränkungen und klar gezogenen Grenzen», sagt Laila Tota, «das ist dann auch schwierig.» Benjamin Neale spinnt den Gedanken weiter: «All die Erwartungen der Jugendlichen haben doch wir aufgebaut. Wir haben zur Gesellschaft, wie wir sie jetzt haben, beigetragen. Auch wir Erwachsene sind in der Verantwortung. Darum sollten wir uns nicht beklagen, dass Jugendliche sich beklagen, weil sie jetzt plötzlich viel weniger tun können.»
Raus aus dem Jugendhaus
Daneben beschäftigten sich die Verantwortlichen der Jugendarbeit Möhlin auch mit konkreten Fragen, nachdem Corona im Frühling 2020 erstmals alles auf den Kopf gestellt hatte. «Wir mussten kreativ werden. Der erste Lockdown führte dazu, dass wir aktiv nach draussen gingen», sagt Bettina Ludwig, «aufsuchende Jugendarbeit» nennt sie es. Plötzlich zogen sie los, klapperten Orte ab, an denen sich die Jugendlichen auf hielten, als so vieles plötzlich nicht mehr ging und alles geschlossen war. «Wir wollten die jungen Menschen erreichen», blickt Severin Schürch zurück und sagt jetzt vorausschauend: «Wenn es die Jugendlichen zulassen, dann gelangst du auch zu jenen, die von allein nicht hierherkämen.» Doch wozu das Ganze? «Wir wollen uns sichtbar machen», sagt Bettina Ludwig, und dieses Sichtbarmachen ist verknüpft mit einer Botschaft an die Kinder und Jugendlichen: «Wenn ihr mögt – wir sind da.» Severin Schürch schmunzelt: «Wir haben nun zwei Velos gekauft. Im Sommer, wenn es wieder ruhiger wird im Jugendhaus, wollen wir wieder raus ins Dorf.»
Und dann fällt irgendwann eben dieser Satz: «Natürlich haben auch wir in der offenen Jugendarbeit Möhlin Corona nicht als positiv erlebt. Aber die Art, wie wir in dieser Zeit zusammengearbeitet haben, war sehr positiv.» Sie sitzen auf der Couch, mit Maske und ordentlich Abstand zueinander. Corona liess sie noch stärker zusammenrücken.