«Es wird Dir keiner vor die Türe gestellt»

  22.03.2021 Gansingen

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2014 führt Carmen Pfrunder die «Pfrunder Wildfarm» in Gansingen selber weiter. Zudem hat die vierfache Mutter wieder einen Lebenspartner gefunden, der ihre Leidenschaft für nachhaltige Landwirtschaft und die Natur teilt.

Bernadette Zaniolo

Unterhalb der Laubbergkapelle liegt – inmitten von Wiesen und zahlreichen Bäumen – der Rindelhof. Das ist das Zuhause der heute 43-jährigen Carmen Pfrunder und ihrer vier Kinder. Ein schöner Ort; mit Blick auf Gansingen, den Cheisacherturm und weitere umliegende Höfe und Dörfer. Sieben Jahre ist es her, seit ein Schicksalsschlag die Familie traf. Peter, der Ehemann von Carmen und Vater ihrer Kinder, verstarb 2014 nach längerem Krebsleiden kurz vor seinem 40. Geburtstag. Die Dankbarkeit, dass sie den Hof übernehmen und weiterführen konnte, ist bei Carmen Pfrunder gross. Für alle Betriebszweige – ausgenommen der Obstbäume – hatte die ausgebildete Krankenschwester und alleinerziehende Mutter – innert kurzer Zeit eine Lösung gefunden.

«Es wird Dir keiner vor die Türe gestellt» (eine gängige Floskel), sagt Carmen Pfrunder schmunzelnd, als sie sich zusammen mit der Journalistin zu Fuss unterhalb des Hofes begibt. Dort ist Christoph Schnetter am Schneiden einer der 430 Hochstammbäume. Der Zufall wollte es, dass der Baumpfleger im Jahr 2015 zum ersten Mal auf dem Rindelhof vor der Türe stand. Hier ist der heute 53-Jährige «hängengeblieben. Sein selbstständiges Geschäft (Baumpflege, Schnittkurse und Streuobst-Nebenerwerbsbetrieb) führt er in der Nähe von Heidelberg. Nun ist er dabei, seinen Lebensmittelpunkt als Teil der Familie und des Hofes ganz nach Gansingen zu verlagern.

Für Veränderungen offen
Von den insgesamt 25 Hektaren Grünland, die der Rindelhof bewirtschaftet, sind neun für die Damhirsche eingezäunt. Neben dem Hochstamm-Obstgarten besteht die restliche Nutzfläche je zur Hälfe aus Futterwiesen und Schafweiden sowie aus Ökoflächen an Hängen wie etwa der artenreichen «Blüemlimatten» am Laubberg. Nebst den gut 50 Damhirsch-Muttertieren gehören auch 15 Schafe, 13 Hühner, 4 Hasen, 6 Schildkröten, 3 Katzen und Hund Giorgio zum Hof. «Natürlich mache ich es nicht genau gleich wie der verstorbene Mann meiner Partnerin», sagt Christoph Schnetter. «Jedoch der Grundsatz der extensiven Bewirtschaftung und Förderung der Ökologie auf der Betriebsfläche bleibt das primäre Ziel.» So wurde die Zahl der Hirsche und Schafe als Folge der trockenen Jahren verkleinert, damit möglichst kein oder wenig Futter zugekauft werden muss. Das hochwertige Fleisch wird hauptsächlich an Privatkundschaft und ein paar Restaurants verkauft.

Beim Obst setzt der Baumpfleger («der Baum muss ‹erkletterbar› sein») Schnetter vermehrt auf Kernobst wie Äpfel und Birnen, anstelle von Steinobst (Zwetschgen, Kirschen usw.). Die Nutzung des Steinobstes ist aufgrund der arbeitsintensiven Ernte auf Hochstamm-Bäumen und der Problematik durch die Kirschessigfliege nicht mehr rentabel. Jedes Jahr werden zum Bestanderhalt zehn neue Bäume gepflanzt. Durch W i ld hecken bepf la n z u ng w i l l Schnetter für noch mehr Biodiversität sorgen.

Da aufgrund von Corona viele Wochenmärkte im letzten Jahr abgesagt werden mussten und damit den Verkauf der Wildfarm-Produkte erschwerte, holte Carmen Pfrunder ihre Kundschaft vermehrt auf den Hof. Einmal im Monat findet im Herbst der Hofmarkt statt. Dabei hat die Kundschaft auch die Möglichkeit, sich von der naturnahen Bewirtschaftung des Hofes zu überzeugen, wo, nur wenn nötig, Biospritzmittel verwendet wird.

Tavolata, Trommelbaukurs und «Schule auf dem Bauernhof»
«Wir wollen das Ganzheitliche und die Natur in unseren Kursen transportieren», sagt Carmen Pfrunder zum weiteren Angebot wie etwa der Tavolata oder dem Trommelbaukurs. Bei der Tavolata können die Teilnehmer aktiv mitmachen beim Sammeln der Kräuter und der Zubereitung des Gerichtes. Je nach Kurs wird eine Meditation mit einer Fachperson angeboten. Beim Trommelbaukurs erfahren die Teilnehmer, wie die Felle zur Rohhaut präpariert und zum Trocknen aufgespannt werden, und sie stellen die Trommel selbst her. Auch ein gemeinsames Essen und ein schamanischer Abend sind Bestandteil dieses Kurses. Gemäss Carmen Pfrunder gab es vor Corona, im Rahmen der «Landschaftsmedizin», auch eine Zusammenarbeit mit der Rehaklinik Bad Zurzach im Bereich Schmerz-Therapie.

«Beide helfen immer noch mit»
«Wir holen die Welt zu uns», sagen Carmen Pfrunder und Christoph Schnetter unisono auf die Frage, dass sie mit dieser Lebensart «ortsgebunden» sind und daher die Welt nicht bereisen können. Während wir unser Gespräch auf der Terrasse neben dem Haus weiterführen, fällt auf, dass da ein weiterer Mann aktiv am Arbeiten ist. «Das ist Paul, mein Schwiegervater», sagt Carmen. Der 88-Jährige wohnt mit seiner Frau Silvia im unteren Teil des Hauses. «Beide helfen noch immer mit. Darüber hinaus hat meine Schwiegermutter Freude an der Verarbeitung der Schafwolle gefunden. Sie hat ein Spinnrad und sie strickt leidenschaftlich gerne.»

Sich lebendig fühlen
Bei so viel Idylle und Harmonie klingen die Worte «wir sind beides Emotionshaufen» fast ein bisschen schräg. Damit meinen sie, dass beide im Sternzeichen des Skorpions geboren sind. «Skorpione gelten als energiegeladen und manchmal explosiv», sagt Carmen Pfrunder mit einem Lächeln im Gesicht und den Blick auf ihren neuen Lebenspartner. Für beide ist jedoch wichtig, dass Peter weiterhin seinen Platz hat, beziehungsweise kein Tabu-Thema ist. «Dies ist vor allem auch wichtig für die Kinder.» Überhaupt: Carmen und Christoph freuen sich über die positiven Erfahrungen, die sie im Umgang mit jungen Menschen machen. Im Rahmen von «Schule auf dem Bauernhof» haben teilnehmende Kindergarten- und Primarschulklassen die Gelegenheit, selbst Hand anzulegen, unter anderem zum Beispiel beim Filzen, Äpfel auflesen und Mosten. Im letzten Oktober wurde der Betrieb von Carmen Pfrunder in diesem Zusammenhang von Landwirtschaft Aargau zum Hof des Monats gewählt. Auch Agriviva-Praktikantinnen und Praktikanten (Landdienst) kommen gerne an diesen Ort und sind willkommen. Carmen und Christoph freuen sich bereits wieder auf Pavel, einen Medizin-Studenten aus Tschechien. «Auch die Kinder freuen sich», ergänzt Carmen Pfrunder.

Just in diesem Moment kommen zwei Kinder nach draussen. Barfuss. Man merkt, dass die beiden «kälteressistent» sind. Ihr Lachen und ihre Freude ist ansteckend. «Die Landwirtschaft, so wie wir sie betreiben, ist krisensicher», sagt Christoph Schnetter. Er und Carmen Pfrunder sind dankbar für diese Lebenssituation, sprich dass sie ihren Alltag selbstbestimmt gestalten und Gutes für Menschen, Tiere und Pflanzen bewirken können. Der Betrieb beschäftigt auch einen landwirtschaftlichen Mitarbeiter (im Teilpensum) und seit zehn Jahren hilft Carmens Bruder Florian bei der Heuernte mit.


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