Leise und trist, statt laut und bunt

  16.02.2021 Fricktal

Laut, schrill, bunt und ausgelassen sowie stets begleitet von grossen Menschenansammlungen: so zeigt sich normalerweise die Fasnacht im Fricktal. Nicht in diesem Jahr. Corona verhindert das närrische Brauchtum zu grossen Teilen. Nicht gesundheitliche, sondern ethische Gründe waren es, die vor 30 Jahren ebenfalls einen Ausfall der Fasnacht zur Folge hatten. Zumindest in einigen Orten. Grund war der Golfkrieg 1991. (nfz)


«Wir trauten uns nicht, das Wort Fasnacht in den Mund zu nehmen»

Vor 30 Jahren fiel die Fasnacht bereits einmal aus – aber nicht überall

Der Golfkrieg machte es 1991 zu einer Frage der Ethik, Fasnacht zu feiern oder abzusagen. Die Hochburgen im Fricktal trafen unterschiedliche Entscheidungen.

Boris Burkhardt

Genau 30 Jahre ist es her, dass die Fasnacht das letzte Mal abgesagt wurde. Damals ging es nicht um gesundheitliche Aspekte und nicht umsetzbare Hygienevorschriften; keine Fasnacht zu machen war 1991 eine Frage der Ethik – zumindest bei den deutschen Nachbarn. Der Einfluss der deutschen Meinung reichte aber bis ins Fricktal. Seit dem 2. August tobte der je nach Zählung Erste oder Zweite Golf krieg; Der Irak unter Saddam Hussein war in Kuwait einmarschiert und hatte die grösste Kriegskoalition seit dem Zweiten Weltkrieg gegen sich aufgebracht. Auch spielte die mediale Begleitung des Kriegs erstmals eine entscheidende Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung.

Frage der Ethik
Deutschland hatte zwar keine Soldaten im Kriegsgebiet wie viele andere europäische Länder, unterstützte die von der NATO angeführte Koalition aber finanziell und mit Kriegsgerät. In einer solchen Situation erschien es vielen in Deutschland unangebracht, ausgelassen Fasnacht und Karneval zu feiern, während am Persischen Golf US-Soldaten fielen – von den zivilen Opfern ganz zu schweigen. Dazu kam die diffuse Angst vor Terroranschlägen. Auch in den Fricktaler Hochburgen waren die Fasnächtler von dieser ethischen Frage betroffen; die Erinnerungen an die genauen Umstände vor 30 Jahren gehen aber auseinander.

So behaupten René Wendelspiess, ehemaliger Präsident der Fasnachtsgesellschaft Rheinfelden, und Felix Klingele von der Narro-Altfischerzunft beide, die Fasnacht sei 1991 in Deutschland vom Staat verboten worden, wie es 2021 der Fall ist. Ein Verbot im Sinne eines Gesetzes oder eines Verbots gab es 1991 auch in Deutschland nicht. Der öffentliche Druck wurde im Vorfeld der Fasnacht – der Dritte Faisse war damals der 7. Februar – aber so gross, dass zuerst die rheinischen Karnevalshochburgen die Rosenmontagsumzüge absagten und dann die Verbände der Schwäbisch-Alemannischen Fasnacht folgten. Gegen diese Absagen gab es auch in Deutschland Proteste.

Der älteste Verband, die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN), denen die Narro-Altfischerzunft in beiden Laufenburg angehört, sprach dennoch die «dringendste Empfehlung aus, auf öffentliche Fasnachtsveranstaltungen zu verzichten», wie sich Klingele erinnert. Auch die Narronen der mehreren Stadt hielten sich daran. «Wir hatten ein schlechtes Gewissen, wenn wir nur das Wort Fasnacht in den Mund nahmen», erzählt Klingele mit einer Spur Sarkasmus. Wer sich gegen die Absage geäussert habe, dem sei mangelnder Respekt vor den Opfern vorgeworfen worden.

Kaiseraugst und Möhlin feiern
Die Fasnächtler im Schweizer Rheinfelden hatten sich keinem Verband zu fügen; sie trafen aber die freie Entscheidung, auf die Strassenfasnacht in der eigenen Stadt zu verzichten. Das sei zum einen ein pragmatischer Entscheid gewesen, erklärt Wendelspiess: «Wir bilden nur einen kleinen Teil des grenzüberschreitenden Umzugs, sodass wir ihn ohne die badischen Kollegen nicht hätten durchführen können.» Zum anderen sei es aber auch echte Solidarität mit den Narren in Badisch-Rheinfelden gewesen, denn die Schweizer Rheinfelder Fasnächtler verzichteten laut Wendelspiess auch sonst auf die Strassenfasnacht. Es sei aber jeder Gruppe freigestanden, anderswo Fasnacht zu feiern, sodass viele am Sonntag in Kaiseraugst den Umzug mitliefen.

Die kleine Fasnacht im Nachbardorf fand nämlich 1991 ohne Einschränkungen statt, wie der heutige Obmann Mathias Hassler bei den älteren Fasnächtlern recherchiert hat. In der Chronik der Guggenmusik Grossschtadtchnulleri gibt es sogar einen Eintrag zu 1991, der den Golfkrieg mit keinem Wort erwähnt. Auch in Ryburg-Möhlin liessen sich die Fasnächtler nicht auf halten. Laut dem damaligen Elferrat Bruno «Chrusi» Mahrer wurde die Sache im Vorstand diskutiert, fand aber nicht einmal im Protokoll Erwähnung. «Wir hatten keine moralischen Bedenken wegen des Golfkriegs», sagt Mahrer: In Möhlin Kerzen anzuzünden, hätte den Kriegsopfern am Persischen Golf nichts genutzt. Mit Rheinfelden oder Laufenburg habe man sich damals nicht abgesprochen. Allerdings nahmen die Möhliner beim Umzug närrische «Flüchtlinge» aus Karsau auf, mit denen man in der Vereinigung Hochrheinischer Narrenzünfte verbunden war und ist.

Besonders war die Situation in Kaisten: Narrenvater Markus Zaugg war 1991 erst 17 Jahre alt; damals hatte sein Vater Roland Zaugg das Amt inne. Aber aus gegebenem Anlass hat der Sohn die Geschichte bereits vor der Anfrage der NFZ recherchiert. Er weiss deshalb, dass die Kaister Fasnächtler am Ersten Faissen noch unsicher waren und den Haldejoggeli noch nicht freiliessen. Auch seien die Figuren nicht beleuchtet gewesen. Ob die Tschättermusik stattfand, habe er nicht in Erfahrung bringen können. Vor dem Zweiten Faissen entschieden sich die Kaister aber, die Dorffasnacht wie gewohnt durchzuführen.


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