Der Grösse des Heliumkerns auf der Spur

  02.02.2021 Nordwestschweiz

Erfolg am Paul Scherrer Institut

In Experimenten am Paul Scherrer Institut PSI hat eine internationale Forschungszusammenarbeit den Radius des Atomkerns von Helium fünfmal präziser gemessen als jemals zuvor.

VILLIGEN. Helium ist nach Wasserstoff das zweithäufigste Element im Universum. Rund ein Viertel der Atomkerne, die in den ersten Minuten nach dem Urknall entstanden, waren Heliumkerne. Diese bestehen aus vier Bausteinen, nämlich zwei Protonen und zwei Neutronen. Für die Grundlagenphysik ist es entscheidend, die Eigenschaften des Heliumkerns zu kennen, unter anderem um die Vorgänge auch in anderen Atomkernen, die schwerer als Helium sind, zu verstehen. «Der Heliumkern ist ein sehr fundamentaler Kern, den man als magisch bezeichnen könnte», sagt denn auch Aldo Antognini, Physiker am PSI und an der ETH Zürich. Sein Kollege und Mitautor Randolf Pohl von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Deutschland ergänzt: «Unser bisheriges Wissen über den Heliumkern stammt aus Experimenten mit Elektronen. Wir haben jedoch am PSI erstmals eine neuartige Messmethode entwickelt, die eine viel bessere Genauigkeit erlaubt.» Mithilfe des neuen Werts lassen sich fundamentale physikalische Theorien testen und Naturkonstanten noch genauer bestimmen. Für ihre Messungen benötigten die Forschenden Myonen – diese Teilchen ähneln Elektronen, sind aber rund 200-mal schwerer. Das PSI ist weltweit der einzige Forschungsstandort, an dem genügend sogenannte niederenergetische Myonen für solche Experimente produziert werden. Der internationalen Forschungszusammenarbeit ist es damit gelungen, die Grösse des Heliumkerns rund fünfmal genauer zu bestimmen, als dies in bisherigen Messungen möglich war. Danach beträgt der sogenannte mittlere Ladungsradius des Heliumkerns 1,67824 Femtometer (1 Billiarde Femtometer ergeben 1 Meter, also 0.000’000’000’000’001678 Meter). Die Gruppe veröffentlichte ihre Resultate im renommierten Fachmagazin «Nature».

Kompliziertes Lasersystem
Die Myonen werden am PSI mithilfe eines Teilchenbeschleunigers produziert. Die Spezialität der Anlage: Es werden Myonen mit niedriger Energie erzeugt. Diese Teilchen sind langsam und lassen sich in den Apparaturen für Experimente stoppen. Nur so können die exotischen myonischen Heliumionen gebildet werden, bei denen ein Myon die Elektronen aus ihren Bahnen wirft und ersetzt. Schnelle Myonen würden dagegen durch die Apparatur hindurchf liegen. Die PSI-Anlage liefert weltweit mehr niederenergetische Myonen als alle anderen vergleichbaren Anlagen. «Deshalb kann das Experiment mit dem myonischen Helium nur hier durchgeführt werden», sagt Franz Kottmann, der seit 40 Jahren die nötigen Vorstudien und technischen Entwicklungen für dieses Experiment vorangetrieben hat.

Die Myonen treffen auf eine kleine, mit Heliumgas gefüllte Kammer. Stimmen die Bedingungen, entsteht myonisches Helium, bei dem sich das Myon in einem Energiezustand befindet, in dem es sich häufig im Atomkern aufhält. «Nun kommt der zweite, wichtige Baustein für das Experiment zum Zuge: das Lasersystem», erklärt Pohl. Das komplizierte System schiesst einen Laserpuls auf das myonische Heliumion. Hat das Laserlicht die richtige Frequenz, und nur dann, so regt es das Myon an und befördert es in einen höheren Energiezustand, bei dem seine Bahn praktisch immer ausserhalb des Kerns verläuft. Wenn es aus diesem in den Grundzustand hinunterfällt, sendet es Röntgenlicht aus. Detektoren registrieren diese Röntgensignale.

«Unsere Messung kann auf verschiedene Weise genutzt werden», sagt Julian Krauth, Erstautor der Studie: «So ist der Radius des Heliumkerns ein wichtiger Prüfstein für die Kernphysik.» Die Atomkerne werden durch die sogenannte starke Wechselwirkung zusammengehalten, eine der vier Grundkräfte der Physik. Mit der Theorie der starken Wechselwirkung, Quantenchromodynamik genannt, möchten Physiker den Radius des Heliumkerns und anderer leichter Atomkerne mit wenigen Protonen und Neutronen voraussagen können. Der äusserst präzise gemessene Wert des Heliumkern-Radius stellt diese Voraussagen auf die Probe. Damit lassen sich auch neue theoretische Modelle der Kernstruktur testen, um Atomkerne so noch besser zu verstehen. Während die Messung des Protonenradius erst nach langwierigen Versuchen gelungen war, klappte das Heliumkern-Experiment auf Anhieb. «Wir hatten Glück, dass alles reibungslos verlief», erzählt Antognini, «denn mit unserem Lasersystem sind wir an der Grenze der Technologie, da kann leicht etwas kaputtgehen.»

Das jetzige Ergebnis ist das Resultat einer 20-jährigen, bewährten Zusammenarbeit zwischen international renommierten Instituten. Gefördert wurde die Arbeit unter anderem vom European Research Council, dem Schweizerischen Nationalfonds und der Deutschen Forschungsgemeinschaft. (nfz)


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