Medikamenten-Versuche auch in Königsfelden

  09.01.2021 Aargau

Studie beleuchtet Zeit zwischen 1950 und 1990

Eine kürzlich von der Regierung präsentierte Studie bestätigt die Vermutung, dass in Königsfelden – wie in anderen psychiatrischen Kliniken der Schweiz – Versuche mit nicht zuge - lassenen Präparaten an Patientinnen und Patienten durchgeführt wurden.

Seit knapp 150 Jahren befindet sich auf dem Areal Königsfelden in Windisch eine psychiatrische Klinik, die für die Bevölkerung des Kantons Aargau die psychiatrische Versorgung weitgehend sicherstellt. Die Studie über Medikamentenversuche an der Psychiatrischen Klinik Königsfelden von 1950–1990 wurde vom Institut für Medizingeschichte der Universität Bern im Auftrag des Regierungsrats des Kantons Aargau durchgeführt. Es sind 31 Präparate nachgewiesen worden, die als Versuchsmedikamente bezeichnet werden können. Grösstenteils handelt es sich um Präparate, die zur Zeit der Verschreibung (noch) nicht zugelassen waren. Zwei Präparate gelangten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zum Einsatz. Die Medikamentenversuche erstreckten sich über den ganzen Untersuchungszeitraum von 1950 bis 1990. Besonders häufig kamen Medikamententests in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre vor. Der Anteil der Patientinnen und Patienten, die ein Versuchspräparat erhielten, dürfte sich im tieferen einstelligen Prozentbereich bewegt haben. Dieser Anteil ist mit demjenigen anderer Kliniken vergleichbar. Schätzungsweise wurden in Königsfelden mehrere Hundert Patientinnen und Patienten mit Medikamenten behandelt, die damals nicht zugelassen waren. Behandlungen mit Psychopharmaka waren vielfach von Nebenwirkungen begleitet. Traten diese in massiver Form auf, wurden Versuchsbehandlungen in der Regel abgebrochen. Todesfälle in direkter Folge von Medikamententests sind nicht bekannt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass bestimmte Patientengruppen bezüglich Alter, sozialer Herkunft und Aufnahmestatus besonders häufig von Medikamentenversuchen betroffen waren. Betroffene von fürsorgerischen und medizinischen Zwangsmassnahmen waren zwar in Medikamentenversuche involviert, sie bildeten aber keine Gruppe, die gezielt dafür ausgewählt wurde.

Keine Vorinformationen
Klinische Studien fanden vereinzelt auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie statt. Vor den 1980er-Jahren gibt es keine schriftlichen Belege dafür, dass die Patientinnen und Patienten umfassend über klinische Versuche informiert wurden und die Möglichkeit hatten, ihr Einverständnis zu geben oder eine Behandlung abzulehnen. Wie an anderen Kliniken fanden die Medikamentenversuche in Königsfelden in einem rechtlichen Graubereich statt. Erst ab den 1970er-Jahren erfolgte eine zunehmende Regulierung. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass die Versuche aus damaliger Sicht unproblematisch waren. Vielmehr stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten Patientinnen und Patienten in psychiatrischen Institutionen hatten, um ihre Rechte und ihre Selbstbestimmung tatsächlich wahrzunehmen.

Kein Geheimnis
Dass in Königsfelden nicht zugelassene Medikamente getestet wurden, war weder innerhalb der Fachöffentlichkeit noch in Verwaltung und Politik ein Geheimnis. Gleichzeitig zeigt sich, dass die kantonalen Instanzen ihre Kontrollaufgaben in medizinischen Belangen zumindest bis in die 1980er-Jahre äusserst locker und oberf lächlich interpretierten, der Klinikleitung grösstmögliche Autonomie zugestanden und im Gegenzug auf deren Kompetenz vertrauten. Die Pilotstudie formuliert drei Empfehlungen. Sie empfiehlt, die Archivsituation bezüglich der historischen Unterlagen der Psychiatrischen Klinik Königsfelden zu verbessern, die Forschungsanstrengungen im Zusammenhang mit Medikamentenversuchen in der Psychiatrie gesamtschweizerisch zu bündeln und einzelne Aspekte zum Kanton Aargau in weiterführenden Projekten vertieft zu untersuchen, insbesondere die Medikationspraxis in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie auch ausserhalb der Psychiatrie in sonder- und sozialpädagogischen Einrichtungen.

Wie es in der Medienmitteilung heisst, hat der Aargauer Regierungsrat von den Ergebnissen der Studie Kenntnis genommen und bedauert, wenn Betroffenen ein Unrecht widerfahren ist, und die mangelnde Wahrnehmung der Aufsichtspflicht durch die damalige Aufsichtskommission. Der Regierungsrat zeigt sich überzeugt, dass seither grosse Fortschritte bezüglich der Aufsichtspraxis gemacht wurden und man aus der Vergangenheit gelernt habe. Im Gegensatz zur Vergangenheit unterliegt die heutige Praxis zur Durchführung klinischer Studien zahlreichen Regelungen. Jeder klinische Versuch muss von einer kantonalen Ethikkommission bewilligt werden. Eine Behandlung kann auch nur vorgenommen werden, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung erteilt. (nfz)


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