«Richtig gelitten habe nicht ich, sondern meine Familie»

  21.11.2020 Hellikon, Persönlich

Der Helliker Silverbird erzählt von seiner Erkrankung am Coronavirus

Dieses 2020 hatte sich der Helliker Marcus Hasler anders vorgestellt. Neben der Geschäftsübergabe an seinen Sohn standen auch viele andere Dinge auf dem Plan. Nach seiner schweren Erkrankung an Covid-19 im Frühling ging es aber nur noch um eines: ums Überleben.

Janine Tschopp

«Ich hatte fünf Träume, vier davon weiss ich noch ganz genau. Einer war besonders schön.» Bei einem Traum sei alles sehr exklusiv, schön und hügelig gewesen, fast wie im Garten Eden habe es ausgesehen. Beim allerersten Traum habe er das Gefühl gehabt zu ertrinken. «Das war vermutlich dann, als die Ärzte den Beatmungsschlauch in meine Luftröhre einführten», erzählt Marcus Hasler. «Die Ärzte interpretierten diesen Traum so», ergänzt er.

Der 69-Jährige erzählt von Träumen, die er zwischen dem 24. März und dem 6. April 2020 hatte. Dann, als er aufgrund seiner Erkrankung an Covid-19 im Spital Aarau ins künstliche Koma versetzt wurde.

Marcus Hasler berichtet auch von der Zeit davor. Er erzählt vom 10. März 2020, als er an diesem Dienstag in Ischgl war und zusammen mit Kollegen an einem Geburtstagsfest musizierte. «Dort war noch alles in Ordnung.» Am Tag danach sei ihm auch noch nichts aufgefallen. Angefangen habe es am 12. März, als er und seine Kollegen nach einem halben Tag Skifahren starke Gliederschmerzen verspürten. Am Freitag, 13. März, beendete Marcus Hasler vorzeitig seine Ferien in Ischgl und reiste heim ins Fricktal. Zeitgleich wurde in Ischgl und im ganzen Paznaunertal die Wintersaison aufgrund der zahlreichen Corona-Fälle abrupt beendet.

Isolation im Gartenhäuschen
Bevor Marcus Hasler nach Hellikon fuhr, legte er im Spital in Rheinfelden einen Halt ein und liess sich auf das Coronavirus testen. Zu Hause angekommen quartierte er sich sofort im Gartenhäuschen ein, um sich vor seiner Familie zu isolieren. Einen Tag später erfuhr er vom Spital, dass der Test positiv ausgefallen war.

Vorerst wurden seine Gliederschmerzen erträglicher. Das Fieber ging aber nicht zurück, und am 19. März kam noch starker Husten dazu. Drei Tage später konnte er kaum mehr atmen, und sein Sohn brachte ihn nach Rheinfelden ins Spital. Von dort wurde er aufgrund der starken Corona-Symptome und Verdacht auf eine doppelte Lungenentzündung mit Blaulicht ins Kantonsspital Aarau verlegt. «Ich erinnere mich noch, wie sie mich in Aarau ins Haus 7 einlieferten. Dann weiss ich nichts mehr.»

Marcus Hasler wurde dann mit Sauerstoff versorgt. Dies reichte nicht aus. So wurde er am 24. März ins künstliche Koma versetzt und an die Lungenmaschine angeschlossen. Und es begann der Kampf um sein Leben. «Ich hatte nur noch zehn Prozent Überlebenschancen.» Bis zum neunten Tag im künstlichen Koma, gab es kein Medikament, das wirkte. Ein spezieller Mix aus verschiedenen Medikamenten war es, der nach neun Tagen Haslers Zustand leicht verbesserte. Am 6. April konnten ihn die Ärzte aus dem künstlichen Koma holen und einen Tag später vom Beatmungsgerät befreien. Zwei Tage später wurde er von der Intensivstation auf die normale Station verlegt, und am 15. April ging er auf die Barmelweid zur Rehabilitation. «Dort hätte ich vier Wochen bleiben müssen. Ich hielt es aber nicht mehr aus und wollte nach Hause zu meiner Familie und in meinen Garten. Statt vier Wochen blieb ich nur zehn Tage in der Reha.»

Leidtragend war die Familie
«Auch heute noch werde ich jeden Tag gefragt, wie es mir geht. Richtig gelitten habe aber nicht ich, sondern meine Familie», betont Marcus Hasler. Seine Frau, sein Sohn, seine Schwiegertochter, seine Enkel und seine Eltern waren es, die während zwei Wochen um Marcus’ Leben bangten. Und nicht nur die Familie, sondern auch seine Freunde und das halbe Fricktal waren in Gedanken bei ihm und drückten die Daumen, dass es irgendwann aufwärts gehen würde. Marcus Hasler erzählt von unglaublich vielen Briefen, Telefonanrufen, Whatsapp-Nachrichten und Meldungen über die sozialen Medien, die ihn erreichten, als er wieder zu Hause war.

Er musste wieder laufen lernen
«Als ich daheim war, kam ich erst auf die Welt», erinnert sich Marcus Hasler, der während der Zeit im Spital elf Kilogramm verlor. «Ich war eine richtige Ruine und musste wieder laufen und richtig atmen lernen.» Die Ärzte sagten voraus, dass es bis zu einem Jahr dauere, bis er sich von der schweren Krankheit erholen würde. «Ich glaubte das zuerst nicht. Jetzt weiss ich, dass sie recht hatten.»

Kaum von der Reha zu Hause setzte er sich mit seiner Handorgel vor das Gartenhäuschen und probierte, ob er noch Musik machen und singen kann. Das habe von Anfang an sehr gut geklappt. «Dass ich besser singen kann, hat mit der neuen Atemtechnik zu tun, die ich nach meiner schweren Erkrankung gelernt habe.»

Zwei Wochen nach seiner Heimkehr kam es aufgrund einer Infektion nochmals zu einem Rückfall, worauf Marcus Hasler nochmals sechs Tage im Spital verbringen musste.

Nun, rund ein halbes Jahr später, fühlt sich der Lebemensch schon wieder ziemlich gut. Es habe sich einiges verändert. «Ich achte viel besser auf meine Gesundheit, bewege mich viel mehr und habe mehr Freizeit. Zudem kann ich jetzt noch besser singen», lacht er. Mühe mit Atmen habe er nur noch bei speziellen Bewegungen und wenn er steil bergauf laufe.

Er findet, dass die Menschen das Coronavirus ernst nehmen sollten. Die Krankheit habe nichts mit einer normalen Grippe zu tun. Seine Ärzte hätten ihm gesagt, dass er Covid-19 aus drei Gründen besiegt habe: Er habe während der letzten 40 Jahre nicht geraucht, er habe ein gesundes Herz. Und: «Ich wollte leben.»

Es wäre noch viel zu früh gewesen, einen Menschen gehen zu lassen, der so viel Lebensfreude versprüht und damit und mit seiner Musik schon unzählige Gesellschaften stundenlang unterhalten hatte und dies hoffentlich auch in Zukunft wieder tun wird. Marcus Hasler schmunzelt: «Ich bin bald wieder der Alte.»


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