Wie viel Verantwortung sollen Unternehmen übernehmen?

  05.11.2020 Abstimmungen

Zur Volksinitiative «für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt»

Pro

Keine Ausbeutung mehr

Orange Fahnen hängen in der ganzen Schweiz und rund 450 Lokalkomitees – einige auch im Fricktal – wurden gegründet: für die Konzernverantwortungsinitiative! Was ist es, was die Zivilgesellschaft so bewegt, dass man «Flagge zeigt» und sich für diese Initiative einsetzt?

Es geht um nichts Anderes und um nichts Geringeres, als dass die global anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards endlich von all unseren multinational tätigen Firmen eingehalten werden müssen. Wer das nicht zu seinem Geschäftsmodell macht, darf nicht länger in Schutz genommen werden. Punkt! Es geht also um eine Selbstverständlichkeit, die viele Menschen in unserem Land bewegt.

Da ist zum Beispiel die Unternehmerin, die bemüht ist, nachhaltig und zu fairen Bedingungen zu produzieren und nicht verstehen kann, warum grosse Konzerne sich nicht an das halten, was kleinere schon längst tun. Oder der Bauingenieur und Vater, für den ein Zusammenleben ohne Ausbeutung eine Selbstverständlichkeit ist, und der für sein Elektroauto eine Batterie möchte, die ohne Kinderarbeit und mit erfüllten Umweltauflagen hergestellt wird. Oder die Versicherungsfachfrau, die vieles schon gesehen und eines gelernt hat: oft geht es nur um die Optimierung des Gewinns. Oder die Lehrerin und Mutter, die sich am Reichtum auf Kosten von anderen stört und gerne etwas vom Wohlstand einbüssen möchte zugunsten der Gerechtigkeit. Oder der Gärtner, der klar der Meinung ist, dass Schweizer Unternehmen nicht nur hier ihre Verantwortung übernehmen müssen, sondern überall auf der Welt. Die Initiative, die auch von rund 130 Organisationen und von einem überparteilichen, einem Wirtschafts- und einem Kirchen-Komitee unterstützt wird, verlangt, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz bei ihren Geschäften im Ausland sicherstellen, dass sie selbst und ihre Tochterfirmen die Menschenrechte akzeptieren und Umweltstandards einhalten. Die Schweizer Konzerne sollen für allfällige Schäden ihrer Tochterfirmen haften. Einfache Zulieferer und Lieferanten sind davon ausgenommen.

Die Haftung ist auf Tochterfirmen beschränkt, über die ein Konzern tatsächlich die Kontrolle ausübt. Die Initiative betrifft rund 1500 Konzerne. Kleine und mittlere Unternehmen – KMU mit bis 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – sind von der Initiative ausgenommen, ausser sie sind in Hochrisikosektoren tätig (etwa Goldhandel). Viele Länder kennen bereits ähnliche Gesetze, beispielsweise gegen Kinderarbeit oder den Handel mit Mineralien aus Konfliktgebieten.

Die meisten Konzerne halten sich an die Regeln. Einige Skrupellose setzen sich jedoch über Umweltstandards hinweg und ignorieren Menschenrechte. Zum Beispiel: Glencore vergiftet Flüsse im Kongo und die Luft in Sambia; Syngenta verkauft tödliche Pestizide, die bei uns schon längst verboten sind und Schweizer Goldraffinerien beziehen Rohgold aus Kinderarbeit. Sie alle verschaffen sich Konkurrenzvorteile durch Verantwortungslosigkeit.

Darum am 29. November: ein klares und deutliches Ja zur Konzernverantwortungsinitiative!


Contra

Alle Unternehmen sind betroffen

Die Initiative gilt «für alle Unternehmen mit Sitz in der Schweiz». Das Wort «Konzern» fehlt im ganzen Initiativtext. Hier beginnt schon die Irreführung im Abstimmungskampf. Sie ist gut gemeint, trifft aber alle, und somit auch die Falschen. Wir verdanken einen wesentlichen Anteil des Wohlstands den international wettbewerbsfähigen Unternehmen: Konzerne wie KMUs. Die allermeisten Unternehmen handeln verantwortungsvoll und korrekt.

Rechtsunsicherheit droht
Das Problem der Initiative ist nicht, dass sie die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards fordert, sondern, dass man dies im Falle einer Klage lückenlos nachweisen müsste. Eine Definition, welche Umweltstandards gelten sollen, fehlt zudem. Es ist ein rechtsstaatlich höchst bedenkliches Anliegen der Initiative, dass nicht mehr der Kläger die Schuld des Beklagten beweisen muss, sondern der Beklagte muss seine Unschuld beweisen. So werden Schweizer Unternehmen angreifbar, auch wenn sie sich korrekt verhalten. Das führt zu einer Justiz wie in den USA, mit medial inszenierten Klagen, Schadenersatzforderungen und Vergleichszahlungen. Es ist naheliegend, dass ausländische Konkurrenten mit solchen Klagen versuchen werden, die Schweizer Unternehmen vom Markt zu drängen. Auch KMUs müssten Juristen und Wirtschaftsprüfer einstellen, um sich gegen Klagen zu wehren. Eine solche Rechtsunsicherheit ist Gift für jedes Unternehmen!

Die KMU’s würden hart getroffen
Der Initiativtext ist beim Thema KMU äusserst schwammig. Im Text steht: «… bei der Regelung der Sorgfaltspflicht nimmt der Gesetzgeber Rücksicht auf die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen, die geringe derartige Risiken aufweisen.» Der ganze zitierte Text ist Wort für Wort interpretierbar und somit Juristenfutter! Was bedeutet «klein und mittel», «Bedürfnisse» oder «geringe Risiken»? Ein normales KMU kann seine Lieferkette gar nicht bis zurück zur Mine überschauen. Es ist absehbar, dass bei einer Annahme eine jahrelange Debatte im Parlament droht, wie der Verfassungstext umgesetzt werden soll. Beim Thema KMU rudern deshalb die Initianten bereits zurück, weil sie die Schädlichkeit ihrer eigenen Initiative erkannt haben und machen Vorschläge für die Umsetzung auf Gesetzesebene.

Ja zum Gegenvorschlag
Der griffige Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament setzt die Anliegen der Initianten um. Die extremen Teile lehnt er ab, weil deren Umsetzung zu einem Schweizer Alleingang führt und dem Wirtschaftsstandort schadet. Die Unternehmen werden verpflichtet, über ihr Engagement für Menschenrechte und Umwelt zu berichten. Strenge Pflichten betreffend Sorgfaltsprüfungen für Kinderarbeit und Mineralien sind vorgesehen und werden bei Verstössen bestraft. Der Gegenvorschlag kann bei einem Nein zur Initiative sofort umgesetzt werden. Damit würde die Schweiz zur Vorreiterin im Bereich Unternehmensverantwortung.

Deshalb Ja zum Gegenvorschlag und Nein zur Initiative!


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