Das leise Sterben der traditionellen Friedhöfe
17.11.2020 FricktalFricktaler Ehepaar sorgt sich um ein wertvolles Dorf-Kulturgut
Der Trend weg von Erdbestattungen hin zu Urnenbeisetzungen und Gemeinschaftsgräbern verändert das Friedhofsbild. Ein Sissler Ehepaar regt an, nach Aufhebung der Ruhestätten die Grabsteine vorläufig stehen zu lassen und die Gräber einheitlich zu bepflanzen, um so geschichtslosen, leeren Rasenflächen entgegenzuwirken.
Susanne Hörth
Die schön bepf lanzten Gräber mit ihren teils sehr persönlichen Grabsteinen auf dem Wölflinswiler Friedhof sorgten kürzlich für viel Bewunderung beim Ehepaar Widmer aus Sisseln. «Diese Gräber sind wohl in einigen Jahren alle verschwunden», stellte der Mann beim Gang entlang der Grabreihen etwas wehmütig fest. Der Gedanke, dass nach der Aufhebung der Gräber – «Erdbestattungen sind aus der Mode gekommen» – sterile Rasenflächen oder gewalzte Kiesplätze folgen würden, beschäftigt die beiden sehr. Zudem würde mit dem Verschwinden der Gräber ein wertvolles Kulturgut aus der Vergangenheit eines Dorfes verlorengehen. Die Sorge um den Verlust von sehenswerten Friedhöfen in der Region veranlasste die Sissler zu einem Schreiben, welches sie unter anderem auch der Denkmalpflege Aargau zukommen liessen.
Kaum noch Erdbestattungen
«Wie vieles, ist auch die ‹Grabkultur› einem Wandel unterworfen. Erdbestattungen sind tatsächlich selten geworden. Wenn ich an den Friedhof Herznach-Ueken denke, so gibt es Jahre, in denen keine Erdbestattung stattfindet», sagt der Ueker Historiker Linus Hüsser. Ähnlich sieht es auch in anderen Gemeinden aus, so etwa in Kaisten. «Wir haben durchschnittlich noch eine Erdbestattung pro Jahr», zeigt Gemeinderat Willy Burkhalter die deutliche Zunahme der Urnenbestattungen auf. Hierzu fügt Linus Hüsser an: «Auch stark im Glauben verwurzelte Verstorbene lassen sich heute kremieren. Das hat natürlich zur Folge, dass sich das Erscheinungsbild eines Friedhofes verändert.» Nicht zu vergessen seien die immer mehr beanspruchten Gemeinschaftsgräber, so der Historiker. In Kaisten hat man im Zuge der kürzlichen Neugestaltung des Friedhofes auch das Gemeinschaftsgrab erweitern müssen. Willy Burkhalter meint zu dieser Art der Beisetzung: «Das hat vor allem damit zu tun, dass die Hinterbliebenen oft weit weg wohnen.» Eine Grabpflege würde zu umständlich. Aktuell werden in Kaisten rund 50 Prozent der Urnen im Gemeinschaftsgrab beigesetzt. Die anderen 50 Prozent erhalten eine eigene Ruhestätte mit persönlichem Grabstein und individueller Bepflanzung davor. Damit zeigt Burkhalter auf, dass das gewohnte Friedhofsbild nicht gänzlich verschwindet.
An Bedeutung verloren
Linus Hüssers Ansicht nach haben Friedhöfe nicht mehr die gleiche Bedeutung wie früher. Einst seien sie eng mit der Pfarrei, der Kirche und der Religion verbunden gewesen. «Manche Urnen werden auf Privatgelände oder im Wald beigesetzt oder die Asche wird verstreut.»
In Kaisten wurde mit der Neugestaltung des Friedhofs bewusst auch ein Ort geschaffen, der zum Kommen, Verweilen und Erinnern auffordern soll. Die schöne Umgebung am Waldrand tut das Ihrige dazu. Um Friedhöfe allgemein als geschichtsträchtiges Kulturgut des Dorfes bewahren zu können und um leere und triste Flächen nach Gräberaufhebungen zu vermeiden, schlägt das Ehepaar Widmer vor, die bisherige, individuelle Bepflanzung durch eine einheitliche, pflegeleichte zu ersetzen und die Grabsteine so lange stehen zu lassen, bis der Platz für neue Bestattungen gebraucht wird. «So könnte der langsame Tod unserer Friedhöfe verhindert werden.»