Von Autobahnen und Trampelpfaden

  08.10.2020 Wallbach

Traumatisierte Kinder – eine Fachtagung

Niemand wird gerne getadelt und auf Fehler hingewiesen. Wer vorher schon in Alarmbereitschaft ist, dem bleibt nur noch Kampf oder Flucht. So wie bei traumatisierten Kindern. Eine Fachtagung zur Thematik Trauma und Marte Meo fand kürzlich in Wallbach statt.

Wer wird schon gerne auf Fehler hingewiesen. Den meisten Menschen hilft in solchen Momenten die Schaltzentrale des Hirns, adäquat damit umzugehen. Traumatisierte Kinder sind jedoch permanent in Alarmbereitschaft und sie kippen bei unvorhergesehenen Momenten ins Notfallprogramm. In diesem Zustand stehen nur noch Kampf oder Flucht zur Auswahl. Und das kann Wutanfälle und schlimmeres bedeuten, die für Aussenstehende völlig unverständlich sind und fassungslos machen.

Was ist überhaupt ein Trauma und wie kommt es zu traumatisierten Kindern? Darüber sprach die deutsche Trauma-Pädagogin Hildegard Rausch in Wallbach vor rund 40 Fachpersonen aus der ganzen Schweiz. Eine traumatische Erfahrung entsteht, wenn eine Person bei sich selbst oder als Beobachter ein oder mehrere Ereignisse erlebt, die den tatsächlichen oder drohenden Tod, ernsthafte Verletzungen oder die Gefahr der körperlichen und psychischen Unversehrtheit beinhalten.

Das bedeutet also, es besteht eine lebensbedrohliche Situation, Kampf und Flucht sind nicht mehr möglich, die Person ist total hilflos. Die Referentin nennt dies die «traumatische Zange». Als Zuhörer spürt man förmlich, wie ohnmächtig man sich dabei fühlen muss, wie gelähmt oder wie man gar zerrissen wird. Die Referierende hat nebst ihrem Fachwissen in Sachen Trauma auch alle Stufen der Marte Meo Ausbildung in Holland durchlaufen. Dort, bei der Begründerin der Methode, lernte sie Claudia Berther kennen, die Organisatorin des Anlasses.

Wie können traumatisierte Kinder und ihre Bezugspersonen im Alltag unterstützt werden?
Diese Frage zu beantworten, dafür war der zweite Teil der Tagung vorgesehen. Als Hilfe für den Alltag eigne sich die Marte Meo Methode. Sie könne keineswegs eine Therapie ersetzen, aber sehr gut ergänzen. Oder gar erst die Grundlage schaffen, dass eine Therapie möglich wird.

Marte Meo ist eine videobasierte Methode, die zum Ziel hat, die Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Das heisst, es werden Filmaufnahmen gemacht von alltäglichen Situationen und diese Filme werden dann mit geschultem Auge angeschaut und ausgewertet. Dabei werden insbesondere die positiven Momente gesucht und auf diese die Schwerpunkte gelegt. Die gute Nachricht vorneweg: Diese positiven Signale gibt es immer. Im Alltag, wenn es mal wieder drunter und drüber geht, werden diese aber nicht mehr wahrgenommen. «Wenn ich nichts Gutes erwarte, dann sehe ich es auch nicht», fasst die Referentin dieses Phänomen zusammen.

Im weiteren Verlauf präsentiert die Referentin Filmausschnitte, die zeigen, wie sie die ausgewerteten Filme gemeinsam mit den Kindern anschaut. Diese Reviews führen eindrücklich vor Augen, was es bei den Kindern auslöst. Wie es die betroffenen Kinder kaum glauben können, dass ihnen jemand etwas Gutes tun wollte. Oder zu sehen, dass sie jemandem eine Freude machen konnten. Das alles ist für diese Kinder oftmals eine ganz neue Erfahrung.

Viele der Kinder möchten die Filmausschnitte mit den wohlwollenden Momenten wieder und wieder anschauen. Und das ist gut so! Denn so können neue Spuren in ihren Gehirnen gebahnt und ausgebaut werden. Damit nebst den sechsspurigen Autobahnen mit den bisherigen Verhaltensmustern neue Wege entstehen können. Und dadurch diese «Trampelpfade», wie sie die Referentin nennt, immer breiter und sicherer werden können. (mgt)


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