Mit einer Handvoll Sorghumhirse fing alles an
12.10.2020 RheinfeldenDie Birlin-Mühle in Badisch-Rheinfelden hat eine ganz spezielle Nische gefunden
Durch einen Zufall erweiterte die Birlin-Mühle in Badisch-Rheinfelden vor 20 Jahren ihren Geschäftsbereich mit einem exotischen Nischenprodukt: Sie mahlt Getreide für Äthiopier und Eritreer in halb Europa.
Boris Burkhardt
Nur das geübte Auge erkennt sofort, dass es sich bei den geschwungenen Zeichen auf der Verpackung des Mehls aus der Birlin-Mühle um die äthiopische Schrift handelt. Diese Schrift wird in Äthiopien und Eritrea für die amharische Sprache, in Eritrea zusätzlich für die Landessprache Tigrinya verwendet. Die Birlin-Mühle steht aber weder in Addis Abeba noch in Asmara, sondern in Degerfelden, dem Stadtteil Badisch-Rheinfeldens entlang der Bundesstrasse nach Lörrach. Auf Deutsch steht auf den verschiedenen Verpackungen: Milomehl, Sorghummehl, Teffmehl oder Gerstenmehl – gemahlen aus den typischen Getreidesorten Ostafrikas.
«Ein Mitglied der eritreischen Gemeinde aus Lörrach kam vor 20 Jahren mit einer Handvoll Sorghumhirse und bat uns, sie zu mahlen», erzählt Peter Birlin, Inhaber und Geschäftsführer des Familienbetriebs. Der Mann habe nicht lockergelassen. Als dann auch der eritreische Händler Alem Araya aus Frankfurt am Main auf sie zugekommen sei, habe seine Familie schliesslich beschlossen, sich auf die Produktion des Spezialmehls für die ostafrikanische Kundschaft einzulassen.
Ein Wagnis, das sich auszahlte: Heute mahlt die Birlin-Mühle jährlich etwa 1000 Tonnen im sogenannten Ethnobereich, 600 Tonnen davon allein an Milomehl. Abnehmer sind laut Birlin 6000 Privatkunden und 100 Händler in Deutschland, der Schweiz, Österreich, den Niederlanden, Italien, Frankreich, Grossbritannien und Skandinavien. Dazu gehört neben Restaurants in Basel auch die Brauerei Nubia Brew in Opfikon bei Zürich. Auch im Fricktal hat Birlin private Kunden. Die kleine Birlin- Mühle, erwies sich, hat genau die richtige Betriebsgrösse für diese Nische.
Ein Lagerhaus im Hamburger Hafen
Das ostafrikanische Getreide lässt Birlin über Vertragspartner in der direkten Umgebung anbauen: Derzeit wächst Milo zum Beispiel auf einem Feld nördlich des Flugplatzes Herten entlang der Verbindungsstrasse zwischen Herten und Degerfelden. Erkennbar ist das exotische Getreide an den grossen, kugelförmigen Ähren, die wie eine umgekehrte Traube wachsen. Beim Milo handelt es sich um eine Hirse-Art der Gattung Sorghum; weitere Namen sind Mohrenhirse, Sorgho, Dari, Durrakorn, Besenkorn, Guineakorn, Shallu oder Jowar. Milo wird laut Wikipedia heute auch in Südeuropa angebaut und ist weltweit die fünftwichtigste Getreideart nach Weizen, Mais, Reis und Gerste. Die Hirseart Teff oder Zwerghirse ist die wichtigste Getreideart in Äthiopien und wird zu Fladenbrot und Bier verarbeitet sowie als Viehfutter verwendet.
Schon vor drei Jahrzehnten baute sich die Birlin-Mühle ein Netzwerk im internationalen Handel auf und vertreibt heute europaweit Backsaaten und Getreide sowie Haselnüsse aus der Türkei. So sei er auch an Milo und Teff gelangt, erzählt Peter Birlin. Mittlerweile importiere er auch andere eritreisch-äthiopische Produkte wie Paprikapulver, Rohkaffee, Dagussa oder Fingerhirse zum Bierbrauen, eritreischen Schnaps, Kleesamen und traditionelle Kaffeekannen. Dafür habe er sogar ein Lagerhaus im Hamburger Hafen angemietet.
Die Birlin-Mühle feiert dieses Jahr 700 Jahre Ersterwähnung. Die heutigen Gebäude beiderseits der Grenzacher Strasse in Degerfelden sind allerdings lange nicht so alt, das älteste von 1758. Seit 1913 betreibt Familie Birlin die Mühle. Mit einer Tagesproduktion von zwölf Tonnen Mehl gehört sie zu den kleinsten der noch 500 Mühlen in Deutschland und ist laut Birlin seit der Schliessung der Reiss-Mühle in Lörrach-Brombach vor einem Jahr die letzte auf der deutschen Seite des Hochrheins zwischen Grenzach-Wyhlen und Waldshut-Tiengen.