«Mein Herz schlägt für die Spitex»

  28.09.2020 Zuzgen

Simon Tännler ist Teamleiter für das Wegenstettertal

Als Teamleiter bei der Spitex ist Simon Tännler für alle Gemeinden zwischen Zeiningen und Schupfart zuständig. Seine Arbeit spielt sich im Spannungsfeld zwischen Kunden, Mitarbeitenden und offiziellen Vorgaben ab. Voller Energie, Ideen und Einfühlungsvermögen sucht er dabei jeweils nach dem bestmöglichen Weg.

Birke Luu

Bei der Spitex Fricktal AG gibt es in der Teamleitung fünf Frauen, aber nur einen Mann. Simon Tännler arbeitet in einem Frauenberuf. Das mache sich vor allem am Gehalt bemerkbar, ansonsten sei er aber genau dort, wo er sein wolle – nicht in einem Pflege- oder Altersheim, sondern da, wo er dazu beitragen kann, dass seine Kunden so lange wie möglich zuhause bleiben können. Die Spitex, getragen von den Gemeinden, ist für alle da, die daheim pflegerische Leistungen bräuchten.

«Ich wusste schon immer, die Pflege wäre etwas für mich», erinnert er sich. Dennoch machte er zunächst eine kaufmännische Ausbildung, arbeitete auf dem Steueramt und als Rettungssanitäter, bevor er in Zürich seine Pflegeausbildung absolvierte. Vor zehn Jahren kam er zur Spitex, erst nach Bern und Wettingen, 2018 schliesslich als Teamleiter nach Zuzgen. Im Laufe der Jahre hat er bei der Spitex von der Basis an die verschiedensten Bereiche der Pflege kennengelernt sowie diverse Zusatzausbildungen in den Bereichen Teamleitung, Coaching, Qualitäts- und Prozessmanagement gemacht. Zielorientiert und engagiert brachte er von Anfang an zahlreiche Optimierungsideen ein, um die Spitex weiterzubringen und «seine Spuren» zu hinterlassen.

Und was macht der 40-Jährige momentan ganz konkret? Als Teamleiter fürs Wegenstettertal «laufe er mit zwei Beinen» – eines für die Pflege und eines für die Büroarbeit. Er macht Dienstplanungen, kontrolliert Rapporte, führt Telefonate mit Krankenkassen und Qualifikationsgespräche mit Mitarbeitenden, er bereitet Sitzungen vor, kümmert sich um Rechnungen und in den Pausen «halte ich die Ohren in den Wind und höre, was die Mitarbeitenden beschäftigt.» Er freut sich über diesen abwechslungsreichen Beruf, bei dem die Tage nicht vorhersagbar sind und er neben den kranken Kunden auch die gesunden Mitarbeitenden auf deren beruflichem Weg begleiten kann. Doch die Prioritäten sind klar: «Wenn ein Kunde Hilfe braucht und sonst keiner da ist, schnappe auch ich meinen Rucksack und los geht’s!»

Über Herausforderungen
Herausforderungen gibt es in diesem Job genügend. Da sind zum einen die begrenzten finanziellen Ressourcen, die nicht nur bei den Löhnen eine Rolle spielen. «Mit mehr Geld könnten wir mehr Leute zu Hause pflegen, statt sie in stationären Einrichtungen betreuen zu lassen», erklärt Simon Tännler. Zum anderen fehlen ihm oft die personellen Ressourcen, um seinen Einsatzplan füllen zu können. «Unsere Kunden müssen zwingend versorgt werden, aber was mache ich, wenn Mitarbeiterinnen wegen ihrer kranken Kinder zu Hause bleiben müssen?» Im kommenden Corona-Herbst komme dies voraussichtlich noch häufiger vor als in normalen Jahren.

Eine wieder anders gelagerte Herausforderung stellt zudem das Austarieren von Kundenwünschen dar. «Die Kluft zwischen Bedürfnissen und Bedarf wird immer grösser», weiss der Teamleiter. Durch Gespräche muss er zwischen den individuellen Wünschen der Kunden und der objektiv möglichen Pflegeleistung einen guten Kompromiss finden. Beispielsweise muss eine Kundin, die geduscht werden sollte, einen Nachmittagstermin akzeptieren, da morgens zunächst die nicht verschiebbaren Diabetiker-Besuche anstehen. Wichtig ist dem gebürtigen Bündner dabei, das Gespräch zu suchen und «die Schuhe des anderen anzuziehen», also die Sichtweise des Gegenübers kennenzulernen. Oft geht es gar nicht um das konkret vorliegende Problem, sondern um unterschwellig vorhandene grössere Themen. «Schön, wenn man diese dann (auch) lösen kann!»

Von der Bedeutung der Pflege
Pflege bedeutet für Simon Tännler, in Krisen für andere da zu sein. Gerne ist er «nah bei den Menschen». Die schönsten Momente seien daher, wenn er merke, «jetzt bin ich genau am richtigen Ort, jetzt kann ich hier helfen und unterstützen.» Seine Augen leuchten, er versucht auszudrücken, wie wichtig es manchmal ist, einfach da zu sein und menschlichen Kontakt zu bieten. Und dann gebe es auch noch die Momente, in denen man im Team oder mit Kunden aus vollstem Herzen lachen könne, «Perlen», wie er diese Situationen nennt.

Schwierig wird es für ihn hingegen, wenn er merke, dass die Spitex nur noch nach Schema funktioniert und so beispielsweise am Lebensende eines Kunden zu wenig Zeit für ein Gespräch bleibt. «Pflege ist einfach mehr als uns die Krankenkassen zugestehen», gibt er zu bedenken. Ein ehrlich gemeintes «Wie geht es Ihnen heute?» kann man nicht wirklich während der Intimpflege besprechen. Und die geleistete Arbeit soll nicht nur für die Kunden, sondern auch für die Mitarbeitenden stimmen.

Vielfach verbindet man ganz allgemein Spitex mit «Pflege UND Betreuung». Letzteres sei jedoch keine Krankenkassenleistung, und dort wird leider gespart. «Gesunde Menschen nehmen uns meist nur als Kostenfaktor wahr – erst wenn man die Spitex braucht, lernt man ihre Dienste schätzen.»

Dankbarkeit und Wertschätzung der meisten Kunden und Angehörigen seien aber gross, da für viele der Besuch der Spitex-Mitarbeitenden oft den einzigen regelmässigen sozialen Kontakt darstellt. Simon Tännler kennt die allgemeine Kritik an seiner Branche, daher meint er: «Wer wissen will, wie es wirklich ist, der soll mal mitkommen und sich selbst ein Bild davon machen, wie unsere Mitarbeitenden um zwei Uhr nachts die verwinkelt gelegene Wohnung eines neuen Kunden suchen müssen oder früh am Neujahrsmorgen die Kunden versorgen gehen.»

Als Vermittler und Übersetzer unterwegs
Simon Tännler liegen die Menschen am Herzen. Er liebt gute Gespräche, interessiert sich für andere Blickwinkel und Biographien: «Das Leben ist farbig – hinter jeder Tür hat es eine Geschichte.» Als Teamleiter kümmert er sich um seine Mitarbeitenden, möchte deren Stärken sichtbar machen, ihre berufliche Weiterentwicklung coachen. Sich selbst bezeichnet er als flexibel und schnell, als Querdenker, der mit seinen zahlreichen Ideen gerne zur Optimierung der Spitex beiträgt.

Ein Anruf beendet das kurze Treffen. Eine Mitarbeiterin braucht dringend Unterstützung, worauf er zu Spitex-Kleidung und Rucksack greift, sich verabschiedet und loseilt. In solchen Situationen geht der Kunde eben vor und das Büro muss warten. Wieder ein Tag, der anders verläuft als geplant. Ja, das ist eben Spitex.


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