tierisch mitgehört(h)

  04.08.2020 Kolumne

So menschlich

Susanne Hörth

«Ich bin nicht verschlagen», nervt sich der Fuchs. Die Schlange zischt: «Und ich nicht falsch.» Einem rostigen Scharnier gleich tönt das «Wer mich als störrisch bezeichnet, der lügt» des Esels. Mit kämpferischem Gackern fügt das Huhn an: «Dumm sind andere, aber sicher nicht ich.» Eine Elster flattert auf und schüttelt ihre Federn: «Diebisch, dass ich nicht lache!» Aus dem Unterholz grunzt es: «Sauerei ist mehr als nur ein Schimpfwort. Es ist äusserst beleidigend.» Aus dem immer lauter werdenden Stimmengewirr sind weitere Wortbrocken wie «Stur wie eine Geiss», «Schneckentempo» bis hin zu «Scheisshase» und «affig» zu vernehmen

Eine Eule lässt sich oberhalb der aufgewühlten Menge nieder. «Worüber regt ihr euch denn so vehement auf», will sie wissen. «Du hast gut reden. Von Dir sagen die Menschen ja nur Gutes. Mit Dir verbinden sie Weisheit und Klugheit. Aber wir, wir müssen für alles Negative herhalten, was sie sich gegenseitig an Beleidigungen an den Kopf werfen», wehklagt es von allen Seiten. Die Eule zieht die Augenbrauen nach oben, nickt dann bedächtig. «Das ist wirklich nicht schön. Aber mal ganz ehrlich. Findet ihr nicht, dass Ihr Euch in Eurem gegenseitigen Anstacheln zum Jammern gerade ziemlich menschlich verhaltet?». Ein alter Eber, der bisher in dem Wortgemenge nicht zu Wort gekommen war, gab der Eule Recht. Mit Blick auf die grosse Waldlichtung grunzte er mehr für sich als die anderen: «Die herumliegenden Aludosen, leeren Verpackungen, Toilettenpapier, Glasflaschen und sonstiger Müll sind leider auch so menschlich.»


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