Kein grünes Licht fürs gelbe Trikot

  04.06.2020 Gansingen, Sport

Olivier Senn ist der Mann für die Tour de Suisse. Eigentlich. Als Co-Geschäftsführer der populären Landesrundfahrt hat der Fricktaler aus Gansingen turbulente Tage hinter sich, am kommenden Sonntag wäre der Start zur ersten Etappe gewesen. Doch die Räder stehen still. Die NFZ hat mit Senn über die Absage der Tour de Suisse gesprochen und darüber, in welcher Ecke der Schweiz er selbst am liebsten einen persönlichen Velostopp einlegt. (rw)


«Die sehen alle relativ glücklich aus»

Olivier Senn über Stillstand und Vorwärtskommen im Radsport

Olivier Senn, Gansingen, ist Co-Geschäftsführer der Tour de Suisse; ein Mann, der für den Radsport lebt und das aktuelle Leiden der Fahrer umso besser kennt.

Ronny Wittenwiler

NFZ: Olivier Senn, anfangs April war klar: keine Tour de Suisse. Wie gross war der Schock?
Olivier Senn:
Da es sich abgezeichnet hatte, war der Schock nicht mehr so gross. Für uns als Veranstalter war klar, dass wir unter diesen Bedingungen die Tour de Suisse absagen wollten. Es geht aber nicht nur um die Tour de Suisse 2020. Wir hätten allen Partnern eine Rechnung schreiben können, so, wie es im Vertrag steht. Aber was hätte das für 2021 bedeutet? Uns war wichtig, mit allen Partnern mittel- und langfristig gute Lösungen zu finden. Es ist uns gelungen, dass alle mit einem blauen Auge davonkommen.

Der Fokus liegt bereits auf 2021?
Die Absage der Tour de Suisse rückte rasch in den Hintergrund. Aber der Blick in den Terminkalender tut schon weh. Die Tour de Suisse ist ein Grossevent, auf den man lange und intensiv hin arbeitet. Wir können an der Situation aber nichts ändern und versuchen nun, das Maximum für die Zukunft herauszuholen.

Dieses Jahr wäre kein Etappenort im Fricktal geplant gewesen. Das Fricktal kommt auch 2021 nicht zum Zug?
Wenn immer möglich, soll die abgesagte Tour eins zu eins ins nächste Jahr übertragen werden. Wir warten noch auf die Bestätigung eines Etappenorts. Selbst wenn diese Bestätigung ausbleibt, kommt das Fricktal nicht zum Zug, da sich die Tour dann in einer anderen Ecke der Schweiz befinden wird. Wir können nicht einfach rasch ins Fricktal fahren (lacht).

Wie viele Fahrer stecken den Ausfall dieser Saison weg, als wäre es kein Problem?
Der Radsport ist über Teams organisiert, in denen die Fahrer angestellt sind. Einige Teams bezahlen ihre Fahrer normal weiter, andere stellen ihre Fahrer auf Kurzarbeit und erhalten Unterstützung vom jeweiligen Staat. Es gibt auch Teams, die mit ihren Fahrern Lohnkürzungen vereinbart haben. Das tut zum Teil schon weh.

Gibt es Teams, die nicht über die Runden kommen werden?
Davon ist auszugehen. Wir wissen von einem Team, bei dem sich der Sponsor Ende Saison zurückzieht.

Ist das ein Schweizer Team?
Ein polnisches. Bei einigen anderen Teams ist die Situation noch offen. Ohne Fernsehpräsenz fehlt die Grundlage für die Sponsoringeinnahmen. Wir gehen aber davon aus, dass rund achtzig Prozent aller Teams diese Zeit überstehen werden, sofern die Probleme nächstes Jahr nicht anhalten.

Fahrer der Weltspitze gehören Teams an, die den Ausfall finanziell stemmen können.
Absolut. Wir reden in den beiden obersten Kategorien von rund fünfzig Teams. Ungefähr achtzig Prozent ihrer Fahrer dürften die normalen Saläre oder zumindest fast die normalen Saläre erhalten.

Was bedeutet Corona für die Radsportclubs, die es auch im Fricktal zuhauf gibt?
Viele Veloclubs pflegen ein starkes Vereinsleben. Das fand nicht statt. In diesen Vereinen sind Leute, die pensioniert sind und dafür leben. Für den Sport das grösste Problem ist aber, dass momentan keine Rennen stattfinden. Gerade für den Nachwuchs ist es wichtig, sich zu motivieren, sich messen zu können. Wenn dieser Zustand zu lange anhält, besteht die Gefahr, dass die jungen Radfahrer den Spass verlieren.

Radfahren dürfte aber allein mehr Spass machen, als allein Fussball oder Tennis zu spielen.
Ich sehe deutlich mehr Leute auf dem Velo; auch Vereinskameraden, die stets in der Gruppe unterwegs waren und nun allein fahren. Die sehen alle relativ glücklich aus, wenn sie auf dem Velo sind. Für das Velofahren allgemein ist es keine so schlechte Zeit: Es steigen Menschen aufs Velo, die sonst weniger fahren. Das ist eine Chance für den gesamten Radsport. Leute, die sich selbst auf dem Velo betätigen, haben vielleicht eher mal Interesse, ein Velorennen zu schauen oder gar einem Verein beizutreten.

Wann sassen Sie das letzte Mal im Sattel?
Vorgestern Montag. Da bin ich via Reusstal, Hochdorf und das Seetal eine 120 Kilometer-Runde gefahren. Trotz des Windes sehr schön.

Welches ist der schönste Ort, den Sie je mit dem Rennvelo erreicht haben?
Ich war in vielen Ecken der Schweiz. Mir gefällt der Jura enorm gut. Dort ankommen und in einem kleinen Dörfchen einen Kaffee zu trinken, ist sehr schön. Ich komme leider nicht so oft dorthin, weil es etwas weit weg von zuhause ist.

Sie sind doch ein starker Velofahrer.
Aber am Schluss muss man auch wieder zurück (lacht). Es ist eine Frage der Zeit. Man hat auch Familie und kann nicht die gesamte Freizeit auf dem Velo verbringen.

Warum eigentlich Radsport?
Als Bub in Gansingen hatte man zwei Varianten: Jugendriege oder Radsportschule. Ich habe mich für die Radsportschule entschieden und blieb hängen. Mir gefällt das Velofahren. Es gibt für mich nichts Schöneres, als Landschaften zu erkunden und mich gleichzeitig körperlich zu betätigen.

Wer war der grösste Radrennfahrer aller Zeiten?
Als Schweizer darf man schon sagen: Ferdi Kübler. Er hinterliess sicher das grösste Erbe als Radfahrer. Er war auch nach seiner Karriere ein grosses Vorbild für viele Leute.

Und im Fricktal?
Das Fricktal hatte immer wieder gute Velofahrer hervorgebracht: Viktor Schraner, Marcel Stäuble, Beat Schumacher. Das Fricktal war eine Radsport-Hochburg und ist es auch heute noch ein wenig; vor allem im Nachwuchs. Für mich persönlich war auch Sepp Vögeli eine sehr wichtige Persönlichkeit. Er machte sehr viel für den Schweizer Radsport und insbesondere für die Tour de Suisse.

Anmerkung der Redaktion: Sepp Vögeli war von 1967 bis 1991 Direktor der Tour de Suisse. Olivier Senn war von 2014 bis 2018 Generaldirektor der Tour de Suisse. Heute ist Senn Co-Geschäftsführer der «Cycling Unlimited AG», unter derer Trägerschaft mittlerweile die Tour de Suisse organisiert wird. Ausserdem ist Senn Vorstandsmitglied des nationalen Radsportverbands «Swiss Cycling».


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