Island auf Eis

  12.06.2020 Möhlin, Wirtschaft

Umsatzeinbussen von mehreren hunderttausend Franken, Reisecars im Stillstand. Wie sich das anfühlt, wissen die Brüder Rainer und Stefan Kaufmann. Sie betreiben das Car-Reiseunternehmen Schwarb in Möhlin.

Ronny Wittenwiler

Am 1. August 2017 übernahmen Rainer und Stefan Kaufmann die Firma Schwarb in Möhlin. Alles ging gut, und seit März 2020 geht überhaupt nichts mehr. Das Frühlingsgeschäft ist dahin, die Reisecars stehen still. «Diese Krise wirft uns zwei Jahre zurück», sagt Stefan Kaufmann, der für folgenden Satz keine Glaskugel braucht: «Wir werden 2020 einen Verlust hinnehmen müssen.»

«Eine zweite Welle wäre eine Katastrophe»
In Zeiten eines boomenden Massentourismus’ mit Billigf liegerei und herumschippernden Kreuzfahrtschiffen auf den Weltmeeren einfach so mal die Türen des guten alten Reisecars zu öffnen – rückblickend war die Firmenübernahme vor drei Jahren ein mutiger Schritt. Es schien sich trotzdem zu lohnen. Nach einem erfolgreichen zweiten Jahr planten die beiden Kleinunternehmer den Ausbau ihrer Fahrzeugf lotte. Das war im März. Heute, drei Monate später, warten Rainer und Stefan Kaufmann stattdessen darauf, dass sie die bestehenden drei Reisecars wenigstens zur Hälfte besetzen können. Das soll nun in der zweiten Hälfte dieses Monats soweit sein. Mit einem halbvollen Bus wäre auch das Glas – immerhin – wieder halbvoll. Von einem Normalbetrieb wird das Unternehmen sowie die gesamte Branche aber auch in den Monaten Juli und August weit entfernt bleiben. Stefan Kaufmann sagt es so: «Wir hoffen, dass wir im Herbst die Verluste etwas abfedern können.» All das in der Hoffnung, dass eine zweite Welle ausbleibt. «Das wäre eine Katastrophe.»

Vorsichtiger Optimismus
Mit dem Wissen, was für ein enorm schwieriges Jahr dieses 2020 werden würde – hätten die Gebrüder Kaufmann auch dann am 1. August 2017 den Schritt in die Selbständigkeit gewagt? «Wenn man bedenkt, wie schnell diese Krise jetzt gekommen ist und wie sehr die Branche ihr noch ausgesetzt sein wird, ist das eine schwierige Frage», sagt Stefan Kaufmann. Er drückt es diplomatisch aus: «Wer heute entscheiden müsste, ein Car-Unternehmen aufzubauen, der dürfte sich das noch einmal gut überlegen.» Es sei nicht die Zeit der grossen Aufbruchstimmung. «Ich denke, es wird eher eine Bereinigung der Branche geben. Wir glauben aber daran, als eher kleiner Betrieb flexibel darauf reagieren zu können, damit wir gestärkt aus dieser Krise herauskommen.»

Dieser vorsichtige Optimismus zeigt sich auch daran, dass Stefan und Rainer Kaufmann am liebsten jetzt schon wieder mit ihren Gästen auf die nächste Reise gehen würden. «Wir hatten uns entschieden, die im Katalog vorgesehene Islandreise ab dem 20. Juni durchzuführen. Mit der Grenzöffnung ab 15. Juni wäre es möglich gewesen. Leider hat sich die Zahl der Teilnehmer um die Hälfte reduziert. Das hätte wirtschaftlich keinen Sinn gemacht. Wir schieben deshalb diese Reise – wie alle Frühlingsreisen – aufs nächste Jahr.» Praktisch sämtliche Teilnehmer hätten bereits zugesagt. Das macht Mut.


«Gut geschlafen? Nicht immer»

Ein Blick in den Reise-Car der neuen Normalität

Mit seinem Bruder Rainer Kaufmann führt er das Car-Unternehmen Schwarb Reisen in Möhlin: Im Interview mit der NFZ spricht Stefan Kaufmann über den schnellen Lockdown, das langsame Hochfahren und darüber, wie lange bei der Kundschaft auch die Sorge vor Covid-19 mitfährt.

Ronny Wittenwiler

NFZ: Stefan Kaufmann, Ihre Branche gehört zu den am härtesten getroffenen. Haben Sie die letzten drei Monate gut geschlafen?
Stefan Kaufmann:
Mein Bruder und ich sind im dritten Jahr seit der Firmenübernahme. Nachdem wir 2019 mit einem Gewinn abschliessen konnten, wollten wir dieses Jahr unsere Flotte vergrössern. Der neue Reise-Car war bereits bestellt. Zwei Tage vor der Vertragsunterschrift kam der Lockdown. Wir mussten sämtliche Frühlingsreisen absagen und den Betrieb auf null herunterfahren. In der Car-Halle stehen unsere Fahrzeuge ohne die eingelösten Nummernschilder. Es ist eine schwierige Zeit. Ich habe nicht immer gut geschlafen.

Wann haben Sie den letzten Franken verdient, indem Sie Menschen von A nach B und wieder zurück brachten?
Seit Mitte März kommt kein Franken mehr rein. Von einem Tag auf den anderen.

Was bedeutet das in Umsatzzahlen?
April, Mai und Juni sind erfahrungsgemäss die umsatzstärksten Monate. In diesen Monaten sind es gegen 400 000 Franken Umsatz, die fehlen.

Wie lässt sich das abfedern?
Wir erhielten einen Überbrückungskredit zugesprochen, den wir auch brauchen werden. Hinzu kommt die Kurzarbeitsentschädigung. Zuerst war vorgesehen, dass Geschäftsführer und Firmeninhaber selbst nicht davon profitieren. Das hat sich glücklicherweise geändert. Sollte diese Sonderregelung aber wie geplant wieder aufgehoben werden, wäre das für uns und für viele andere kleine und mittlere Unternehmen, wie es sie im Fricktal viele gibt, recht schlimm. Wir sind noch weit von einem Normalbetrieb entfernt.

Wie weit?
Unser Betrieb ist Stand jetzt noch auf null. Die Fahrzeuge machen nicht einen einzigen Kilometer mit einem Reisegast. Wir werden in der zweiten Junihälfte die ersten beiden Tagesfahrten anbieten. Im Juli sollen weitere folgen. Ausserdem versuchen wir, die eine oder andere Rundreise durchzuführen. Wir rechnen damit, das Geschäft langsam hochfahren zu können. Bestehende Buchungen haben wir momentan noch. Schwierig ist es mit den Neubuchungen. Die Leute sind verhalten und warten zu.

Wie muss man sich die Wiederaufnahme des Betriebs punkto Schutzkonzept vorstellen?
Wir halten uns an die Branchenrichtlinien. Grundsätzlich gilt das Einhalten eines Mindestabstands von zwei Metern. Wo das nicht möglich ist, machen wir die Kunden darauf aufmerksam, dass das Tragen einer Maske empfohlen wird. Das liegt aber in der Eigenverantwortung. Es besteht im Car genauso wie im Öffentlichen Verkehr keine Maskentragpflicht. Hinzukommen die üblichen Hygienemassnahmen. An den Eingängen stehen Desinfektionsmittel bereit. Die Handläufe werden mehrmals täglich desinfiziert.

Zwei Meter Abstand in einem Reise-Car?
Offiziell dürften wir den Car komplett besetzen. Wenn möglich, verzichten wir jedoch auf eine Vollbesetzung.

Sie verzichten aus freien Stücken auf Einnahmen?
Das macht die gesamte Carbranche so. Es wird versucht, die Reisebusse zu maximal fünfzig Prozent auszulasten. Obwohl wir den Car bloss zur Hälfte füllen, fahren wir aber zu denselben Preisen wie zuvor.

Wie gross ist die Angst, dass Menschen noch lange aufs Reisen verzichten werden?
Darüber haben wir schon viel diskutiert, auch mit unseren Reisegästen. Ich denke, es gibt jene, die sich diese Freiheit des Reisens herausnehmen wollen. Und es gibt jene, die etwas ängstlich sind. Diese Menschen werden dieses Jahr nicht reisen und auch nächstes Jahr nicht. Das ist für uns ein grosses Risiko. Und doch kann die ganze Situation eine Chance sein.

Weshalb?
Ich denke an den Massentourismus mit den grossen Flugzeugen und den riesigen Kreuzfahrtschiffen. Dieser Trend wird abflachen und die Menschen suchen sich Alternativen in kleineren Gruppen. Unsere Art des Reisens kommt dem entgegen. Nicht per sofort, aber vielleicht in mittelfristiger Zukunft. Daran glauben wir.

Carfahrten buchen aber vor allem ältere Menschen, die per Definition zur Risikogruppe gehören.
Das schon. Aber eine gewisse Öffnung ist jetzt da. Auch die älteren Leute sollen gemäss den Empfehlungen wieder nach draussen, sie sollen wieder Einkaufen gehen und ihre Enkelkinder hüten dürfen. Und so versuchen wir, mit unseren Massnahmen alles zu tun, um Vertrauen zu schaffen, mögliche Unsicherheiten zu nehmen und somit ein tolles Reisevergnügen zu bieten.


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