Streit um den Schnellzughalt
05.05.2020 FricktalPratteln missgönnt Möhlin und Stein den Flugzug
Seit Pratteln 2008 den Halt des sogenannten Flugzugs an Rheinfelden abgeben musste, will ihn die Baselbieter Gemeinde zurück. Doch die SBB lehnen ab. Nun stösst Pratteln sauer auf, dass der IR36 ab spätestens 2035 auch in Möhlin und Stein halten soll.
Boris Burkhardt
Für den FDP-Einwohnerrat Stephan Bregy in der Baselbieter Gemeinde Pratteln platzte 2018 «eine Bombe»: Damals wurde publik, dass die SBB bereit seien, das Perron im Prattler Bahnhof für das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (ESAF) 2022 provisorisch mit einer Holzkonstruktion zu verlängern, um 35 000 Besuchern in kürzester Zeit die Ankunft zu ermöglichen. Das ärgert Bregy sehr: Die Tatsache, dass die Perrons in Pratteln mit 220 Metern zu kurz für die neuen Doppeldeckerzüge sind, sei 2008 genau die Begründung der SBB gewesen, den Halt des IR36, des sogenannten Flugzugs zwischen Basel und Kloten, von Pratteln nach Rheinfelden zu verlegen. «Das ist faktisch und logisch nicht nachvollziehbar», findet Bregy und legte das auch so in der Resolution im Oktober 2018 dar, die vom gesamten Einwohner- und Gemeinderat unterzeichnet wurde. Doch im Schreiben von Anfang Jahr erteilten die SBB den Wünschen der Prattler erneut eine Absage.
Mehr Pendler ab Pratteln als ab Möhlin oder Stein
Die Verlegung des Schnellzughalts nach Rheinfelden haben die Prattler nie überwunden. Jahr für Jahr forderten sie in den Vernehmlassungen ihren Schnellzug zurück. Bregy hat deshalb auch kein Verständnis, dass der IR36 ab spätestens 2035 statt in Pratteln neu in Möhlin und Stein halten soll. Keine dieser Gemeinden habe eine ähnliche Entwicklung wie Pratteln aufzuweisen, sagt er: Mit rund 13 500 Beschäftigten sei Pratteln im Baselbiet der grösste Arbeitgeber nach Liestal; allein von 2012 bis 2018 sei die Einwohnerzahl um knapp neun Prozent auf 16 700 angewachsen. Die Neubaugebiete Salina Raurica und Pratteln Mitte brächten insgesamt weitere 5 000 Menschen in die Gemeinde. 9 500 Menschen nutzten laut SBB-Statistik von 2016 jeden Werktag den Bahnhof Pratteln; in Möhlin seien es gerade einmal 4 200, in Stein nur 3 800 Menschen.
Dabei kämpft Möhlin ebenfalls seit 2006 um eine bessere ÖV-Anbindung an Zürich, wie Gemeindeschreiber Marius Fricker auf Nachfrage der NFZ erinnert: Die Verbindungen hätten sich mit dem Flugzug-Halt in Rheinfelden sogar noch verschlechtert. Fricker zählt zum Einzugsgebiet des Möhliner Bahnhofs die Gemeinden Zeiningen, Zuzgen, Hellikon und Wegenstetten. Möhlin erfahre seit Jahren ein starkes Bevölkerungswachstum; die ganze Region um Möhlin und Rheinfelden sei vom Kanton als Entwicklungsschwerpunkt für Arbeit und Wohnen ausgewiesen worden. Ausserdem verweist Fricker auf das Entwicklungspotential des Areals nördlich des Möhliner Bahnhofs für regionale Zentrumsfunktionen – die Planungen dort sind allerdings weit weniger fortgeschritten als in Pratteln.
Sisslerfeld spricht für den Bedarf eines Halts in Stein
Auch Steins Gemeindeschreiber Sascha Roth rechnet mit einem grossen Einzugsgebiet, das das Mittlere Fricktal, die Region Laufenburg sowie die deutschen Städte Bad Säckingen und Laufenburg einschliesst – alleine letztere mit rund 26 000 Einwohnern. Für den Bedarf Steins spreche das Sisslerfeld, laut Roth ebenfalls ein kantonaler Entwicklungsschwerpunkt und zugleich die grösste Reserve an Industrieland im Aargau. Zudem seien der Bahnhof und das Umfeld mit dem Busbahnhof in den vergangenen Jahren umfassend saniert und an die modernen Anforderungen angepasst worden; erst im Februar hätten die SBB ein neues Parkhaus mit 250 Plätzen eingeweiht. Den Halt in Rheinfelden selbst greift Bregy nicht an: Laut SBB stiegen hier 2016 täglich 9 800 Menschen ein und aus. Diesen Halt nutzen auch viele Pendler aus Badisch-Rheinfelden mit rund 30 000 Einwohnern; für das gesamte Einzugsgebiet in Deutschland, im Unteren Fricktal und im angrenzenden Baselbiet nennt Stadtschreiber Roger Erdin 70 000 Einwohner.
Die SBB beharren im jüngsten Schreiben vom Januar darauf, dass für einen Schnellzughalt in Pratteln «kein Bedarf» bestehe. Der IR36 habe auch die Funktion, die S1 nach Frick und Laufenburg zu entlasten, deren Frequenz wegen fehlender Gleiskapazität nicht ausgebaut werden könne. Ein Halt in Pratteln statt Möhlin oder Stein trage zu dieser Entlastung nichts bei. Ein zusätzlicher Halt in Pratteln hingegen würde die Fahrtzeit des Zugs um zwei Minuten verlängern und zu Konflikten im Gesamtfahrplan im Basel SBB und im Fricktal führen. Bregy will sich mit diesen Argumenten nicht abfinden: «Das Konzept der SBB ist zu starr. Sie könnten die Möglichkeiten aktiver angehen, wenn sie wollten.» So sei zum Beispiel ein alternierender Halt zwischen Pratteln einerseits, Möhlin und Stein anderseits gar nicht geprüft worden.
Während sich Roth in Stein zu diesem Vorschlag nicht äussern will und auf die SBB verweist, kündigt Fricker in Möhlin – «in Anlehnungen an den jahrzehntelangen ‹Kampf› für den Halt» – Widerstand gegen einen solchen Kompromiss an. Nur Erdin in Rheinfelden zeigt Verständnis für die Prattler Forderungen: «Eine schnelle und direkte Verbindung nach Zürich hat eine grosse Bedeutung. Allerdings hat Pratteln im Unterschied zu Rheinfelden eine zusätzliche direkte Anbindung an die Linie Basel–Liestal–Zürich sowie Liestal–Olten–Bern.»