Menschen zu helfen, ist seine Berufung

  06.05.2020 Persönlich, Zeiningen

Ioannis Touzlidis: der «Grieche» in Zeiningen

Der gelernte Informatiker realisierte bald, dass ihm der virtuelle Kontakt mit Menschen nicht reicht. Als medizinischer Masseur und Physiotherapeut ist Ioannis Touzlidis heute viel näher beim Menschen.

Janine Tschopp

«Sag mir doch einfach Janis», kommt er Schweizern, die schon zum vierten Mal nachfragen, wie ganz genau sein Vor- und Nachname lauten, freundlich entgegen. Getauft ist er auf den Namen Ioannis. «Ioannis heisst auf griechisch das Geschenk», erklärt er. Ioannis Touzlidis, Sohn eines Griechen und einer Innerschweizerin, tut seinem Vornamen alle Ehre und ist nach zwei Mädchen als Nachzügler auf die Welt gekommen.

Aufgewachsen ist er in einem kleinen Dorf in der Nähe von Winterthur. Nach der Schule absolvierte er eine Lehre als Informatiker. «Das war damals ein Riesen-Hype», erklärt der 34-Jährige. Anschliessend folgte die Rekrutenschule als Spitalsoldat, die eine Pflegehelferausbildung sowie je ein Praktikum in einem Pflegeheim und in einer Behindertenwerkstatt zum Inhalt hatte. Schon da wurde ihm bewusst, dass ihm der virtuelle Kontakt zu den Menschen, wie er ihn als Informatiker erlebte, nicht ausreichte. In einer «Selbstfindungsphase» absolvierte er zwei weitere Pflegepraktika. «Im Stadtspital Triemli in Zürich arbeitete ich in einer Abteilung mit acht Komapatienten. Es hat mich fasziniert zu diesen Menschen, die komplett im eigenen Körper eingeschlossen sind, einen Zugang zu finden», erzählt Ioannis Touzlidis und fährt fort: «Ein Mann war 19 Jahre alt, so alt wie ich damals. Er hatte einen zuvor nicht bekannten angeborenen Herzfehler und ist nach einem Sportunfall ins Wachkoma gefallen.»

Nach diesen praktischen Pflegeerfahrungen kannte der junge Mann seine Berufung. Er wollte für die Menschen da sein. «Als IT-Supporter habe ich den Menschen auch geholfen, aber auf anderer Ebene.»

Ausbildung zum medizinischen Masseur
Ioannis Touzlidis liess sich an der medizinischen Fachschule in St. Gallen zum eidgenössisch diplomierten Masseur ausbilden. Anschliessend arbeitete er in der Reha Chrischona und absolvierte später berufsbegleitend die Ausbildung zum Physiotherapeuten. Er spezialisierte sich auf Herzpatienten und wechselte später als Physiotherapeut in die Fachklinik Barmelweid mit Schwerpunkt kardiale Rehabilitation. In den letzten zwei Jahren arbeitete er als selbständiger Physiotherapeut in einer Gemeinschaftspraxis in Schupfart. Den Schritt zur Selbständigkeit erklärt er so: «Ich wollte mich nicht weiter dem ökonomischen Druck aussetzen, den ich in der Rehabilitation empfand, und mehr Zeit dafür einsetzen, eins zu eins mit meinen Patienten zu arbeiten.»

Vor einem Monat erfüllte er sich einen grossen Herzenswunsch und eröffnete in Zeiningen eine eigene Praxis. «Es war eine schräge Zeit, um anzufangen. Es brannte mir unter den Fingernägeln, aber ich durfte bis vor kurzem nur Behandlungen durchführen, die dringend angezeigt waren.»

In der Schweiz «der Grieche», in Griechenland «der Schweizer»
Obwohl Ioannis Touzlidis in der Schweiz aufgewachsen ist, ist er mit Griechenland, der Heimat seines Vaters, stark verbunden. Er erzählt, wie er schon als Kind alle Sommerferien und teilweise auch die Frühlingsferien im einfachen Ferienhaus seiner Eltern auf der «damals kleinsten bewohnten Insel Griechenlands» verbrachte. Nach zehn Stunden Autofahrt und 15 bis 18 Stunden auf der Fähre hatte die Familie das Ziel jeweils erreicht. «Wenn es stürmte, kamen wir nicht mehr weg. Und wenn wir ins Dorf wollten, liefen wir zehn Kilometer auf die andere Seite der Insel.» Mittlerweile durfte er das Ferienhaus von seinen Eltern übernehmen und reist jedes Jahr zweimal dorthin, um Hand anzulegen. «Es gibt immer Arbeit. Sei es die Stromversorgung über eine Solaranlage und die Wasserversorgung, die erst seit kurzem existieren, oder die Reparaturen der ständigen Schäden, die dem Inselwetter geschuldet sind.»

In seiner Brust schlagen zwei Herzen, das griechische und das Schweizer. «In Griechenland bin ich der Schweizer, und hier bin ich der Grieche», schmunzelt er. Dann erzählt er von den grossen Problemen seines südlicheren Heimatlandes. Von der schwierigen Flüchtlingssituation, von der brachliegenden Wirtschaft, vom schlechten Zustand des Bildungssystems und von der hohen Arbeitslosenquote. «In meinem Alter haben 42 Prozent keine Arbeit», berichtet er. Er findet, dass der EU-Beitritt dem Land geschadet habe. «Es wäre wichtiger, sich auf die eigenen Werte zu besinnen und als Land gemeinschaftlich zu funktionieren.»

Ioannis Touzlidis engagiert sich für den Verein Griechenlandhilfe Schweiz, bei dem sein Vater aktiv mitwirkt. Der Verein unterstützt verschiedene gemeinnützige Projekte in Griechenland mit benötigten Hilfsgütern oder finanziellen Mitteln.

In Zeiningen Wurzeln geschlagen
«Früher war ich ruhelos und hätte die ganze Zeit mit einem Hausboot unterwegs sein können», sagt Ioannis Touzlidis. Seit fünf Jahren wohnt er mit seiner Frau Nadja in Zeiningen und hat hier Wurzeln geschlagen. Er habe sich in Zeiningen eine Existenz aufgebaut und fühle sich sehr wohl hier. «Im Alter könnte ich mir aber sehr gut vorstellen, einen Teil des Jahres in Griechenland zu verbringen», ergänzt er.

Ioannis Touzlidis ist Mitglied beim Einbeiner-Plausch-Club Zeiningen und bei der Feuerwehr Möhlin. «Alles, was mit Wasser zu tun hat», beantwortet er die Frage nach seinen weiteren Hobbys. Ob er taucht, in Griechenland von Insel zu Insel segelt oder mit dem Faltboot auf dem Rhein gleitet: Er ist in seiner Freizeit leidenschaftlich gerne im oder auf dem Wasser unterwegs. Von Ruhelosigkeit ist aber nichts mehr zu spüren. Ioannis Touzlidis scheint in Zeiningen angekommen zu sein. Dort, wo er ein Zuhause gefunden und sich einen grossen Herzenswunsch erfüllt hat.

www.ifluss.ch


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