Wenn der Jäger nicht jagen darf

  15.04.2020 Möhlin, Sport

Das Jahr 2020 hätte in sportlicher Hinsicht kein langweiliges werden sollen. Viel hätte es zu gewinnen gegeben, auch den Titel des Gesamtweltcupsiegers versuchte er zurückzuerobern. Doch plötzlich hat Matthias Kyburz mehr freie Zeit als ihm lieb ist.

Ronny Wittenwiler

Immer wieder, so, als wolle er das niemals vergessen, redete Matthias Kyburz davon. Und er tat es erneut, nur wenige Stunden nach Bekanntwerden, dass so gut wie die komplette Saison ins Wasser fällt: Kyburz relativierte. Ja, natürlich sei es hart gewesen, als er erfahren hatte, dass die Weltmeisterschaft im Juli nicht stattfinden wird, die Europameisterschaft gar ganz abgesagt ist und der Gesamtweltcup auch entfalle. Bevor er aber dann eine Beurteilung dieser fast verlorenen Saison vorzunehmen versuchte, sagte er eben auch das: «Wegen der aktuellen Situation bricht für mich nicht gleich eine ganze Welt zusammen. Meinen Sport auf diesem Niveau ausüben zu dürfen, ist ein Privileg, ein Luxus.»

Vom Halten der Spannung
Es ist einmal mehr eine sachlichnüchterne Einschätzung dieses Weltklasse-Orientierungsläufers, der jeweils weit über die Geländekarte hinauszublicken pflegt. Doch fraglos ist es auch dem Athleten Kyburz nicht nach Luftsprüngen zumute. Bis zum Moment, als der internationale OL-Verband über die Absagen beziehungsweise Verschiebungen der Grossanlässe informierte, habe er noch ganz normal trainiert, «weil noch eine kleine Hoffnung bestand». Schlecht vorbereitet oder gar nicht, das können sich internationale Cracks wie der Fricktaler einer ist nun mal nicht leisten. «Im Moment wissen wir noch gar nicht, wie es weitergeht», sagte Kyburz vor wenigen Tagen am Telefon zur NFZ. «Sollten die Weltmeisterschaften nun im Herbst stattfinden, gilt es zu überlegen, wie man diese angehen will.» Denn bis zu diesem Moment würde zeitlich mehr als ein ganzes Wintertraining dazwischenliegen, er könne sich nicht vorstellen, die Trainingseinheiten bis dahin mit derselben Intensität weiterzuziehen.

Und tatsächlich hat sich seither etwas getan im kalendarischen Dickicht des internationalen Verbands. Nun fiel der Entscheid, die Sprint-Weltmeisterschaft im Oktober durchzuführen (statt wie ursprünglich geplant im Juli). Voraussetzung dafür sei jedoch, dass eine Mehrheit der Nationen auch teilnehmen und die Organisatoren ihre Vorbereitungen planmässig weiterführen können. Der internationale Verband und die Organisatoren würden sich vorbehalten, heisst es, erst am 1. Juli über eine definitive Durchführung der WM im Oktober zu entscheiden.

Goldener Oktober?
Dass Corona auch im weltweiten OL-Zirkus vielmehr für Eventualitäten statt für Planungssicherheit sorgt, liegt nun mal auf der Hand. Gerade hier ordnet Matthias Kyburz noch einmal nüchtern ein: «Ich habe grosses Glück, dass ich neben meinem Job als Orientierungsläufer auch sonst arbeiten darf.» Kyburz ist angestellt in einem 40-Prozent-Pensum für die SBB im Bereich Nachhaltigkeit.

Es war Mitte Februar, als er, nach einer schwierigen letzten Saison, gerade erst zu Protokoll gab: «Der Hunger ist auf jeden Fall da. Ich bin sehr motiviert in diese neue Saison gestartet. Dass ich nun in die Rolle des Jägers schlüpfen kann und nicht in jene des Gejagten, ist sicher kein Nachteil.» Jetzt, zwei Monate später, ist aus Kyburz, diesem fünfmaligen Sieger des Gesamtweltcups, ein Jäger geworden, der nicht jagen darf. Vielleicht landet er dann in Oktober dafür einen Volltreffer. Wenn die Weltmeisterschaft tatsächlich stattfindet.


«Etwas Verrücktes»: der Weltrekordversuch

Wenn er schon nicht nach Medaillen im offenen Gelände jagen kann, dann wechselt er eben mal kurz das Revier, schien sich Matthias Kyburz gedacht zu haben. Und so steigt er morgen Donnerstag, pünktlich um 17.30 Uhr, aufs Laufband für einen Weltrekordversuch. Auf seiner Webseite hält der Fricktaler fest: «Seitens Nationaltrainer kam die Idee, dass wir uns einem Projekt widmen sollen, welches uns in der sportlichen Entwicklung weiterbringen und motivieren soll. Gleichzeitig ermunterte mich ein Kollege, etwas Verrücktes zu versuchen und schlug mir die Idee von einem Weltrekordversuch auf dem Laufband vor.»

Matthias Kyburz will morgen auf dem Laufband 50 Kilometer in 2 Stunden, 57 Minuten und 25 Sekunden zurücklegen und damit den bestehenden Weltrekord unterbieten. Dafür braucht er einen Schnitt von 3 Minuten und 33 Sekunden pro Kilometer. Den Weltrekordversuch, mit dem Kyburz gleichzeitig Spenden sammelt für den Solidaritätstag der Glückskette, können Interessierte live übers Internet mitverfolgen. (rw)

blog.runningcoach.me www.matthiaskyburz.ch/news


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