Und wer schiesst nun die Tore?

  22.04.2020 Handball, Möhlin

TV Möhlin verliert seinen Topscorer: Das wirft Fragen auf

Alexander Velz, offensive Lebensversicherung, warf unglaubliche 36 Prozent aller Tore beim TV Möhlin. Nach nur einer Saison ist er wieder weg. Auf Guido Wirthlin, Mannschaftsverantwortlicher, wartet viel Arbeit.

Ronny Wittenwiler

Zwanzig Spiele, 210 (!) Tore. Noch Fragen? Falls ja, dann sei dieser Vergleich angezeigt: Hinter Alexander Velz vom TV Möhlin warf Armin Sarac von Handball Stäfa die meisten Tore in der Nationalliga B – insgesamt 141 (ebenfalls in zwanzig Spielen). Velz, dieser junge Deutsche, hat also sage und schreibe 69 Tore mehr erzielt in dieser abgebrochenen Saison als der zweitbeste Liga-Schütze. Doch nun ist er weg. Das ist eine gute Nachricht für die Gegner. Für den TV Möhlin ist es ein schwerer Schlag.

Möhlin liess nichts unversucht
Velz wechselt zum Drittligisten TV Willstätt nach Deutschland, ganz in der Nähe seines Wohnorts. Somit ist eingetroffen, was beim TV Möhlin noch vor zwei Monaten kein Thema sein sollte. Alexander Velz habe einen laufenden Vertrag bis Ende nächster Saison und er werde diesen erfüllen, hiess es. Dass es nun doch anders kam, ist gewiss kein Novum in der Welt des Leistungssports. So sehr der TV Möhlin hoffte, seinen Topscorer halten zu können, so gross schien die planerische Herausforderung für dieses Unterfangen. Velz fuhr jeweils mit Trainer Jürgen Brandstaeter aus dem südbadischen Raum zu den Trainings und den Spielen des TV Möhlin – 140 Kilometer Anfahrtsweg. Weil aber Möhlin den auslaufenden Vertrag mit Brandstaeter auf die kommende Saison nicht verlängerte (die NFZ berichtete), kam man intern nicht um die Frage umhin, wie es mit dem Topscorer weitergeht. «Acht Stunden Arbeit, eine Stunde und fünfzehn Minuten Anreise nach Möhlin und nach einem harten Training denselben Weg zurück – uns war wichtig, auf keinen Fall die Gesundheit dieses jungen Sportlers zu gefährden», sagt Möhlins Mannschaftsverantwortlicher Gu ido Wirthlin. «Wir haben das Gespräch mit ihm und seiner Familie gesucht – und nach Lösungen.» Dabei hat der TVM nichts unversucht gelassen. Man habe Velz eine Arbeitsstelle in der Schweiz offeriert. Auch stand die Idee zur Debatte, dass Velz sein Arbeitspensum in Deutschland um zwanzig Prozent reduzieren würde, wofür der TV Möhlin die finanzielle Einbusse übernommen hätte. «Sein Arbeitgeber teilte aber mit, er wolle künftig mit ihm in einer Führungsposition planen», sagt Wirthlin. Kurzum: Es hat am Ende nicht sollen sein und Möhlin liess seinen Topscorer schliesslich ziehen, statt unter allen Umständen auf die Erfüllung des Vertrags zu beharren.

«Dann müssten wir die Ambitionen zurücksetzen»
Der Abgang von Alexander Velz wirft eine ganz grosse Frage auf: Wer schiesst nun die Tore? Mit seiner Offensivkraft leistete der Deutsche einen Löwenanteil daran, dass der TV Möhlin zum Zeitpunkt des Corona bedingten Saisonabbruchs Tabellenführer war (mit einem Punkt Vorsprung auf den STV Baden, der ein Spiel weniger ausgetragen hatte). Es winkten die Aufstiegs-Playoffs für die NLA. Somit dürfte auch klar sein: Ohne auch nur halbwegs valablen Ersatz auf der Position des Rückraums ist eine ähnlich erfolgreiche Saison wie die nun vorzeitig beendete undenkbar. «Unser Spiel war stark auf Alexander Velz ausgerichtet. Die Spieler um ihn herum brachten ihn oft in Abschlussposition», lobt Guido Wirthlin in erster Linie das ganze Team. In Abrede stellt aber auch er nicht: «Können wir den Weggang von Alexander Velz nicht adäquat ersetzen, werden wir weniger Qualität im Team haben. Das ist richtig. Dann müssten wir die Ambitionen für nächste Saison leicht zurücksetzen.»

Die vielen Angebote für Guido Wirthlin
So weit will es der TV Möhlin aber nicht kampflos kommen lassen. Man halte Ausschau nach Verstärkungen. Da die Meisterschaften wegen Corona ruhen, können allerdings keine Spieler beobachtet werden. «Wir wissen zurzeit auch nicht, wann wir potenzielle ausländische Kandidaten in ein Probetraining holen können», sagt Wirthlin, dem jetzt Woche für Woche ausländische Spieler von Vermittlern angeboten werden. Davon lässt sich der NLB-Teamverantwortliche, der in der Vergangenheit immer wieder ein gutes Näschen bewiesen hatte, allerdings nicht blenden: «Da bekommst du Videos zugespielt, selbstverständlich nur mit den allerbesten Szenen des Spielers. Wir wollen aber keine Hauruck-Übungen. Wir wollen jeden Spieler zuerst sehen. Uns ist wichtig, dass ein guter Handballer auch charakterlich zu uns ins Team passt.»

Werden Spieler aus der NLA frei?
Zur aktuellen Spieler-Sondierung hinzu kommt der Umstand, dass wegen Corona derzeit vage ist, wieviel Geld kommende Saison der ersten Mannschaft zur Verfügung steht. «Wahrscheinlich wird es leicht weniger sein», schätzt Wirthlin, man stehe mit Sponsoren in engem Kontakt. Da aber alle Vereine just mit solchen Problemen zu kämpfen haben, könnte das am Ende gar – ohne zynisch zu wirken – eine Chance sein. Es sei nicht auszuschliessen, erklärt Wirthlin, dass gerade auch Vereine aus der Nationalliga A zu Budgetkürzungen gezwungen sind. Auch aus dem deutschen Raum dürften wegen Corona und den wirtschaftlichen Auswirkungen namhafte Spieler ohne neuen Vertrag dastehen. «Es sind viele kleine Dinge wie die Zuschauerzahlen oder die pünktliche Bezahlung, die in der aktuellen Situation auch für den TV Möhlin sprechen können», sagt Wirthlin. Vor diesem Hintergrund sieht sich der TV Möhlin in einer Phase des Abwartens. «Wir setzen uns nicht unter Druck bei der Kaderzusammensetzung für nächste Saison», sagt Wirthlin. «Sie kann sich bis Anfangs August hinziehen. Gestandene Spieler lassen sich auch dann noch integrieren. Die Zeit in der aktuellen Situation läuft eher für uns.»

Fakt ist: In den vergangenen Jahren gelang es dem TV Möhlin immer wieder, schlagkräftiges Offensivpersonal zu verpflichten. Marcus Hock oder Patrik Vizes gehörten etwa in diese Kategorie. Ob dem TV Möhlin nach dem Weggang von Velz erneut das Kunststück gelingt, eine offensive Lebensversicherung zu guten Konditionen abzuschliessen? Möhliner Handball ist spannend – selbst dann, wenn die Liga pausiert.


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