Fintenreiches Ballett auf zwei Rädern

  27.03.2020 Möhlin

Die Radballer des VCR Möhlin hebeln ihre Konkurrenz aus

Seit 100 Jahren pflegt der Verein mit Begeisterung den schnellen und kraftvollen Hallenradsport.

Matthias Reimann

Auf dem Spielfeld dirigiert ein Spieler den Ball zentimetergenau auf das Vorderrad seines Kollegen. Während der eine nach vorne prescht, pedalt der andere rückwärts und bringt sich in Position. Plötzlich erfolgt ein Hüpfer seitwärts, um einen weiten Pass zu übernehmen und schon taucht sekundenschnell der zweite Spieler neben dem gegnerischen Tor auf. Ein harter Steilpass von der Seitenlinie und der Ball zischt zielsicher in die linke obere Torecke.Für ein Gespräch mit dieser Zeitung unterbrechen die auf Elite-Niveau spielenden Teams Luc Graf/ Simon Fischler (beide 1997); Stefan Lützelschwab (1977)/Nick Metzger (1995) sowie Tom Graf (2003)/Dino Wirth (2004) ihr Training. Dem Schreibenden sitzen nicht nur sechs Athleten des Veloclubs Rheinstern Ryburg-Möhlin gegenüber, es sind gleichzeitig ganze Sammlungen von Medaillen und Auszeichnungen, die an diesem verregneten Abend zusammengekommen sind. Mehrfach rangierten diese Athleten nämlich über die vergangenen drei Jahrzehnte an Schweizer Meisterschaften in den Top drei. Der Aufwand für die kraftvolle Sportart ist hoch, wie Stefan Lützelschwab sagt: «Ich trainiere zwei Mal die Woche, dazu kommt Konditionstraining mit dem Mountainbike oder Rennrad.» Sein Partner Nick Metzger legt wöchentlich bis drei Krafttrainings neben den Radballeinheiten ein. Als wichtige Voraussetzungen für den Radballsport sieht Simon Fischler Ausdauer und Geschicklichkeit. «Auch Koordination und Schnellkraft sind erforderlich», ergänzt sein Teamkollege Luc Graf.

Für junge Sportler attraktiv
Freddy Soder ist Vorstandsmitglied im VCR Möhlin und selbst ehemaliger Elite-Radballer. Für ihn ist der Sport – auf hohem Niveau gespielt wie eine akrobatische Vorstellung: schnell, fintenreich, humorvoll und artistisch. «Dass überwiegend ohne Fouls gespielt wird, unterscheidet Radball von vielen anderen Ballsportarten. Das macht den Sport gerade auch für junge Sportler attraktiv» ist der J+S Coach und Leiter überzeugt.

Der VCR Möhlin trainiert am Dienstag- und Donnerstagabend von 18 bis 20 Uhr in der Turnhalle Fuchsrain. Dem Verein gehören mehrere Generationen an: von achtjährigen Sportlern bis zu Trainern und Fachpersonen, die ihre Grosseltern sein könnten, stecken 129 Mitglieder ihr Herzblut in den Traditionsverein.

Kostspielige Arbeitsgeräte
Eine Radball-Partie dauert zwei Mal sieben Minuten und wird durch Teams mit je zwei Spielern gespielt. Das Spielfeld ist vierzehn Mal elf Meter gross, der mit Rosshaar gefüllte und von dickem Stoff umschlossene Spielball wiegt 600 Gramm. Die Disziplin besteht aus Antritt und Sprints, Torschüssen, Verharren und Abwehren, Austricksen, Ballschlagen und zwischendurch aus Veloreparaturen. Die speziell für den Sport gefertigten Velos sind kleine Kapitalanlagen, kosten sie doch knapp viertausend Franken. Sie haben weder Schaltung noch Bremsen, ein ‘Starrlauf’ ermöglicht das Vorwärtswie auch Rückwärtsfahren. Der einem Geweih ähnliche Lenker ragt senkrecht hoch und erlaubt den Sportlern guten Griff und millimetergenaue Kontrolle des Vorderrades, das 360 Grad drehbar ist. Die Qualität der Velos wird in Trainings und während Meisterschaftsspielen hart auf die Probe gestellt: der Umgang mit den Maschinen ist alles andere als zimperlich. Passiert aber einmal ein Malheur, ist dieses in der vereinseigenen Reparaturwerkstatt schnell behoben.

Torhüter und Angreifer in Personalunion
In der Regel sind die Rollen Torhüter und Feldspieler fix und werden dementsprechend trainiert. Im Spiel kann aber je nach Situation auch gewechselt werden. «Wir sprechen uns während einer Partie ab» erklärt Tom Graf und fügt an: «Je länger man mit einem Partner spielt, desto mehr kommt die Erfahrung zum Zug, man weiss allmählich, wie der andere tickt.» Es sind eingespielte Strategien, die eine Mannschaft prägen und sie erfolgreich machen.

Die Meisterschaft ist je nach Spielklasse auf sechs bis acht Spieltage aufgeteilt. In Gruppen von einigen Teams spielen alle gegen alle, meist werden pro Spieltag fünf Partien ausgetragen. Aus der Vorrunde qualifizieren sich fünf Mannschaften, die letztlich um den Schweizermeistertitel spielen.

100 Jahre junger VCR
Am 1. August feiert der VCR Möhlin sein 100-Jahr-Jubiläum. Beschenkt hatte sich der Club aber bereits Anfang Jahr: im Januar trug er das Weltcupfinale vor einem frenetischen Heimpublikum aus. Der Grossanlass war ein unvergesslicher Höhepunkt der Vereinsgeschichte. Als drittes Schweizer Team landete das Duo Lützelschwab/Metzger auf dem hervorragenden neunten Platz. Eine kurzfristig erteilte Wildcard erlaubte den Beiden die Teilnahme am Weltcupfinale. Ihr Achtungserfolg ist umso erstaunlicher, als dass Lützelschwabs vorgesehener Teamkollege verletzungsbedingt nicht antreten konnte und Nick Metzger kurzfristig zum Team stiess. Innert kurzer Zeit entwickelten die Beiden ein beinahe blindes Spielverständnis. Dies bewiesen sie dem Schreibenden nach dem Gespräch in einem Trainingsspiel. Mit chirurgischer Präzision spielten sie einander unmöglich scheinende Pässe zu und fetzten Bälle scheinbar mühelos in unhaltbare Ecken des Tors.


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