«Ich fand schon als Bub Werkzeuge aus der Steinzeit»

  11.11.2019 Möhlin

Sein Hobby wurde zur Lebensaufgabe: Auch als Pensionär treibt es Werner Brogli aus Möhlin regelmässig auf die Äcker, um dort archäologische Funde zu machen.

Boris Burkhardt

Die Landwirte werden sich nicht mehr gross wundern, wenn sie Werner Brogli auf ihren Äckern auf der Hochterrasse zwischen Wallbach, Zeiningen und Möhlin herumstapfen sehen. Ganz langsam und aufmerksam, mit etwa zwei Kilometern pro Stunde, wie er selbst sagt, ist Brogli unterwegs, den Blick immer vor sich auf den Boden gerichtet – drei- bis viermal läuft er so über dasselbe Feld. Mit einem geübten Blick kann ein Archäologe auf diese Art im Erdreich direkt unter der Oberfläche Objekte erkennen, meist Steine, die von unseren Vorfahren vor Tausenden von Jahren bearbeitet wurden, eine Pfeilspitze zum Beispiel oder einen Quarzit mit Arbeitsspuren, vermutlich ein Werkzeug zur Lederbearbeitung. Werner Brogli ist kein Profi in diesem Metier; aber er macht die Arbeit schon seit sehr vielen Jahren ehrenamtlich.

Schon als Bub interessiert
«Ich fand schon als sieben-, achtjähriger Bub die ersten Werkzeuge aus der Mittel- und Jungsteinzeit», berichtet der 72jährige Möhliner, der auf dem elterlichen Hof Widmatt zwischen Zeiningen und Wallbach aufwuchs: «Damals wurde im Ackerbau noch viel mehr mit der Hand gemacht.»

Im Gegensatz zum Handball, den er als Jugendlicher intensiv betrieb und 1975 aufgab, blieb das Interesse an der Archäologie sein Leben lang. Von sich aus traute er sich als Zwölfjähriger, die namhaften Archäologen am Hochrhein, Emil Gersbach aus Bad Säckingen und Pfarrer Hans-Rudolf Burkart aus Obermumpf anzusprechen: «Sie fanden es toll, dass sich ein Bub dafür interessiert.» Beide Männer waren Gründer der Fricktalisch-Badischen Vereinigung für Heimatkunde (FBVH), in der Brogli heute noch aktiv ist.

Zum Brotverdienst unterrichtete Brogli 20 Jahre lang in der Oberstufe einer Sek-Schule und wechselte für noch einmal 25 Jahre zur Mittelschule mit einem zusätzlichen Deputat als Dozent für Didaktik der Heimatkunde «Mensch – Natur – Mitwelt» an der FHNW, bis er 2012 in Pension ging. Seine Begeisterung versuchte er, an die jungen Menschen weiterzugeben: Mit dem Nachbau von steinzeitlichen Werkzeugen und einem Haus nur mit den damaligen technischen Möglichkeiten zusammen mit Schülern beziehungsweise Kindern aus Möhlin, habe er experimentelle Archäologie betrieben, «bevor es diesen Begriff gab».

Brogli geht fast jeden Tag aufs Feld: «Das ist unglaublich spannend: Bei jedem Schritt kann ich etwas Neues entdecken.» Ausserdem sei die Bewegung an der frischen Luft «psychohygienisch», also seelenreinigend. «Wenn es gerade geregnet hat, ist es am besten», erklärt Brogli: «Dann sind die Steine auf der Oberfläche freigewaschen.» Pro Stunde finde er drei bis fünf Werkzeuge aus der Steinzeit: «Eigentlich ist es erstaunlich, dass die Funde so gut erhalten sind, so viele Maschinen, wie heute über einen Acker fahren.» Die Zeiten, seit er selbst noch auf dem Acker arbeitete, haben sich geändert: Das merkt Brogli nicht nur täglich an den Furchen, die die Traktoren ins Erdreich drücken, sondern vor allem am Plastik auf den Feldern: «Das ist ein Riesenproblem geworden: Das Plastik wird mit dem Grünabfall zerhäckselt und mit dem Kompost auf die Äcker verteilt.»

Ein anderes Material ist dafür rar geworden: In den letzten Jahren hat Brogli kaum mehr Keramik aus prähistorischer Zeit gefunden. Auch daran ist seiner Meinung nach die moderne Landwirtschaft schuld; die Keramik sei zwischen 1975 und 1990 durch die intensive Bearbeitung des Bodens mit Pflügen, die immer tiefer ins Erdreich gegriffen hätten, zerstört worden: «In den Sechzigern und Siebzigern konnte ich auf den Äckern noch halbe Tassen finden.» Der grösste Fund in Broglis Leben war allerdings tatsächlich nicht aus der Steinzeit: Bei einem Waldwegebau fand er einen merowingischen Münzschatz, noch immer der einzige in der Schweiz, wie er sagt. Diesen Schatz verwahrte er lange Zeit in einem Safe auf der Bank.

Zehn Autoladungen voller Fundstücke
Doch Brogli darf seine Funde, weder den einzigartigen Schatz noch das einfache Gerberwerkzeug behalten; sie gehören dem Kanton als Vertreter der Allgemeinheit. Trotzdem hat Brogli seine Fundstücke jahrzehntelang im Keller aufbewahrt, von der Pfeilspitze bis zum Mühlstein, fein säuberlich beschriftet mit Angaben zu Fundjahr, Fundort und fortlaufender Nummer. Vor kurzem übergab er seine Sammlung aber der Kantonsarchäologie, vorerst gelagert in der Uni Basel: «Das waren zehn Autoladungen voll», erinnert sich Brogli. Als engagierter Laie kam er gelegentlich in Konflikt mit den Profis: «Ich wehrte mich zum Beispiel dagegen, dass Funde steuerfinanzierter Grabungen oft nicht der Öffentlichkeit präsentiert wurden.»

Immer wieder hat Brogli Texte veröffentlicht, so in der FBVH-Zeitschrift «Vom Jura bis zum Schwarzwald» oder in den Chroniken Obermumpf und Magden. Seine jüngste Mitarbeit ist die Ortsgeschichte des Rheinfelder Stadtteils Karsau, der im Oktober 750 Jahre Ersterwähnung feierte und erstmals eine Chronik herausgab. Das Burstelfeld auf dem Dinkelberg über dem Karsauer Ortsteil Beuggen kennt Brogli ebenfalls sehr gut: Es ist neben der erwähnten Hochterrasse sein zweites Forschungsgebiet mit 300 Funden. Denn ein Archäologe sollte sich auf wenige Gebiete beschränken, die er intensiv bearbeitet, erklärt Brogli.


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