«Die Partei hat gewisse Probleme»

  27.11.2019 Politik, Rheinfelden

Seit 2005 gehört Daniel Vulliamy aus Rheinfelden dem Grossen Rat des Kantons Aargau an. Auf Ende Jahr tritt der 63-Jährige zurück. Im Interview erklärt der SVP-Politiker, wie sich die politische Arbeit und seine Partei verändert haben.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Vulliamy, am 10. Dezember verabschieden Sie sich aus dem Grossen Rat in Aarau. Freuen Sie sich auf den Tag?
Daniel Vulliamy
: Ja, ich freue mich darauf. Es geht für mich ein Lebensabschnitt zu Ende. Fast auf den Tag genau 14 Jahre werde ich dann im Kantonsparlament gewesen sein. Ich glaube, es ist ein guter Moment, um aufzuhören. Die Zeit ist gekommen. Ich fühle mich aber im Parlament und in der Fraktion immer noch wohl.

Was werden Sie vermissen?
Die Arbeit im Grossen Rat hat mir den Horizont stark erweitert. Man lernt viele interessante und tolle Leute kennen, auch über die Parteigrenzen hinweg. Sie werden mir fehlen. Das Politisieren macht mir Freude. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich das erste Mal im Grossen Rat ans Rednerpult trat. Ich hatte anfangs zittrige Knie. Doch schon bald gehörte dies zum grossrätlichen Alltag. Ich lernte, Geschäfte verständlich zu präsentieren und meine Meinung persönlich oder im Namen der SVP-Fraktion dezidiert einzubringen; manchmal etwas emotional, aber das gehört zu meinem Naturell. Die Politik ist eine gute Lebensschule. Dazu gehört auch, anderen Rednern aufmerksam zuzuhören.

Auf was können Sie auf der anderen Seite gut verzichten?
Höchstens auf das frühe Aufstehen. Der Grossrats-Tag beginnt ja nicht mit der Plenarsitzung, sondern schon deutlich früher. Meistens stehe ich deshalb jeweils um 4.30 oder 5 Uhr auf, wenn ich mit dem Auto über die Staffelegg nach Aarau fahre. Aber sonst: Es ist eigentlich nie vorgekommen, dass ich mit Widerwillen ins Parlament gegangen wäre. Am Dienstag bin ich immer gerne vom Arbeitsalltag bei der Stadt buchstäblich in eine «andere Welt» getaucht.

Wie hat sich in den vergangenen 14 Jahren die Politik im Aargau verändert?
Im Grossen Rat wird sehr stark entlang der Parteilinie politisiert, die Sache steht leider nicht immer im Vordergrund. Das hat in den vergangenen Jahren eher noch zugenommen. Positiv ist hingegen, dass wir Fricktaler Grossräte und Grossrätinnen bei regionalen Fragen eng zusammenarbeiten. Da gibt es keinen Bezirk Laufenburg und Bezirk Rheinfelden, sondern nur das Fricktal. Das ist eine positive und zielführende Entwicklung.

Wie steht denn heute das Fricktal im Kanton da?
Ich bin überzeugt, die Stellung des Fricktals hat sich wesentlich verbessert. Das Fricktal wird heute als starker Wirtschaftsstandort wahrgenommen, der auch über ein deutliches Bevölkerungswachstum verfügt. Wir sind nicht mehr nur ein Anhängsel im Kanton. Der sogenannte «Speckgürtel» hat im Kanton mit dem Fricktal echte Konkurrenz erhalten.

Aber das Berufsbildungszentrum wird trotzdem halbiert und verliert die Gewerbe- und Industrieberufe.
Ja, das ist so. Ich hatte aber Angst, dass die Schule ganz geschlossen wird. Unter dem Strich steht das Fricktal heute insgesamt besser da als noch vor ein paar Jahren.

Was verbuchen Sie als persönlichen politischen Erfolg?
Ich war zusammen mit Beat Unternährer im Abstimmungskampf gegen das so genannte Bildungskleeblatt ganz stark engagiert. Diese völlig überrissene Vorlage hätte unser Bildungssystem völlig auf den Kopf gestellt. Wir haben die Vorlage versenkt. Das war sicher positiv. Etwas Kleineres: Als der Kanton die Blumensträusse zum Geburtstag der 100-Jährigen im Aargau einsparen wollte, habe ich mich erfolgreich dagegen gewehrt. Ich glaube, das ist bestes Bevölkerungsmarketing. Die Senioren schätzen diese Geste des Kantons sehr. Und das Dritte: Ich habe mich dafür eingesetzt, dass der Begriff «Gemeindeammann» erhalten bleibt. Der Kanton wollte einheitlich den «Gemeindepräsidenten» einführen. Heute können die Gemeinden wählen. Aber persönliche Erfolge stehen nicht im Mittelpunkt der grossrätlichen Tätigkeit. Die SVP als Partei gilt es zu unterstützen und im Parlament Mehrheiten für ein positives Ergebnis zu finden. Keine einfache Ausgabe.

Welches sind Ihre politischen Niederlagen?
Da kann ich mich an nichts erinnern. Eine schmerzliche Niederlage wäre sicher gewesen, wenn das Berufsbildungszentrum Fricktal ganz geschlossen worden wäre. Auch um das Gesundheitszentrum Fricktal und den Tarifverbund Nordwestschweiz mussten wir kämpfen.

Mal ehrlich: Waren Sie immer in der richtigen Partei?
Ich glaube, die SVP hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Sie ist deutlich härter geworden. Im Moment hat die Partei gewisse Probleme, das haben die Nationalratswahlen gezeigt. Ich finde zum Beispiel, dass wir das Thema Klimawandel nicht völlig ignorieren sollten. Das beschäftigt die Leute, und wir sind doch eine Volkspartei. Das hat mich enttäuscht. Auf der anderen Seite bin ich ein traditionell denkender Mensch, der am Brauchtum hängt. Die Schweiz und der Aargau liegen mir am Herzen. Wir müssen vehement für unsere Eigenständigkeit auf dem Planeten Erde und in Europa kämpfen und einstehen. Ja, ich bin in der richtigen Partei. Die SVP Schweiz sollte bei ihren Themen aber über die Bücher gehen und nicht nur auf Bestehendem verharren.

Bei den letzten Grossratswahlen im Jahr 2016 lag die Wahlbeteiligung im Bezirk Rheinfelden bei 25,5 Prozent, im Bezirk Laufenburg bei 34,5 Prozent. Eine grosse Mehrheit der Fricktalerinnen und Fricktaler interessiert sich gar nicht für das Kantonsparlament. Wie sehen Sie das?
Ich muss zugeben, bevor ich selber gewählt wurde, hat mich das Kantonsparlament auch nicht sonderlich interessiert. Ich glaube nicht, dass der Grosse Rat ein Imageproblem hat, aber es fehlt wahrscheinlich an der Wahrnehmung. Viele Leute haben keine Ahnung, was wir machen. Ich werde eigentlich nicht oft auf die Arbeit im Parlament angesprochen. Es sei denn, es geht um konkrete Sachen wie die Regionalspitäler, die Schulen oder zum Beispiel der Tarifverbund.

Zum Schluss: Welchen Tipp haben Sie für Ihren Nachfolger Andy Steinacher aus Schupfart?
Ich rate ihm, sich Zeit zu lassen, «Carpe diem». Es braucht wohl ein halbes Jahr, bis man genau weiss, wie das Parlament arbeitet und wie die Abläufe sind. Positiv ist, wenn man möglichst schnell in einer Kommission dabei ist. Dort wird die konkrete Arbeit geleistet und dort kann man sich einbringen und mitgestalten. Politarbeit ist oft «Knochenarbeit», aber spannend und gewinnbringend.


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