Wildkatzen wieder im Mittelland beobachtet, auch im Fricktal

  15.07.2019 Fricktal

Sie galt einst als ausgestorben. In den 1860er- bis 1880er-Jahren wurde die Wildkatze im Raum Rheinfelden noch bejagt, bis sie schliesslich ganz ausgerottet war. Mittlerweile streift die Wildkatze wieder durch die Aargauer Wälder. Auch im Fricktal wurden die sehr scheuen Tiere schon beobachtet. Lebensraum der als Einzelgänger bekannten Tiere sind Laub- und Mischwälder. Grosse Herausforderungen für die Wildkatzen sind der Strassenverkehr sowie die Zersiedelung der Landschaft. (nfz)


Haargenau hingeschaut!

Die Wildkatze ist wieder im Fricktal

Einst galt sie als ausgestorben, doch erfreulicherweise streift sie heute wieder durch die Aargauer Wälder: die Wildkatze. Das scheue Tier lässt sich allerdings nur selten beobachten. Daher erfolgt der Nachweis aufgrund von genetischen Analysen. Das Sammeln des Probematerials – Wildkatzenhaare – gelingt dabei am besten mit einem Holzstock und Baldrian im Gepäck.

Christian Tesini

Ein Asthaufen neben dichtem Brombeergebüsch und einem Wildwechsel: hier könnten Wildkatzen auf ihren Streifzügen vorbeikommen. Deshalb wird hier ein Lockstock in den Waldboden geschlagen: eine mit Kerben versehene und aufgeraute Holzlatte. Zuletzt kommen noch einige Stösse Baldrian, dessen Geruch auf Katzen anziehend wirkt, aus einer kleinen Sprühflasche dazu. Danach wird der Lockstock den Waldbewohnern überlassen.

Zehn Tage später, beim erneuten Aufsuchen des Stocks, wird mithilfe einer Taschenlampe nach Haaren gesucht. Tatsächlich! In den Kerben und an der rauen Oberfläche des Stocks sind dutzende Haare hängen geblieben. Sorgfältig werden sie mit der Pinzette abgezupft und in ein beschriftetes Pergamenttütchen gesteckt. Der Stock wird zum Schluss noch mit einer Bürste gereinigt und wieder mit Baldrian besprüht. Im Anschluss geht es weiter zum nächsten Lockstock.

Die Wildkatze ist wieder zurück
Herman Fischer-Sigwart beschrieb in seinem 1911 erschienenen Aufsatz über die Säugetiere des Aargaus, dass die Wildkatze in den 1860er- bis 80er-Jahren im Raum Rheinfelden noch bejagt und schliesslich ganz ausgerottet wurde. Gemäss der heutigen Verbreitungskarte der Wildkatze in der Schweiz befindet sich die Verbreitungsgrenze im Osten ungefähr an der aargauischen Kantonsgrenze. Eigene Beobachtungen der Sektion Jagd und Fischerei im Rahmen von Fotofallenstudien, aber auch immer mehr Meldungen aus der Jägerschaft lassen jedoch schon länger vermuten, dass die Wildkatze wieder aus der Liste der im Aargau ausgestorbenen Säugetiere entfernt werden kann – zumal sie im schweizerischen und französischen Jura aktuell wieder relativ weit verbreitet ist.

189 Lockstöcke mit Baldrian
Mithilfe von insgesamt 189 Lockstöcken wurde deshalb versucht, an Haare von Wildkatzen zu kommen, die diese Vermutung bestätigen könnten. Das Untersuchungsgebiet erstreckte sich über das Gebiet zwischen der westlichen Kantonsgrenze, dem Rhein und der Aare. Dafür wurden 63 Kilometerquadrate aufgrund von Kriterien wie Waldanteil, Nähe zu Strassen, Lage in Wildtierkorridoren und Standorten mit ehemaligen Sichtungen von Wildkatzen ausgewählt. In jedem Kilometerquadrat wurden jeweils drei Lockstöcke platziert.

Über 300 Probetüten gefüllt mit Haaren kamen so zusammen. Die Haare wurden an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg genauer angeschaut. Bei einigen konnte schon mittels einer Lupe erkannt werden, ob sie von Katzen oder anderen Tieren stammen. Wo die Triage nicht eindeutig war, wurden die Haare genetisch untersucht. An neun Standorten, verteilt im ganzen Untersuchungsgebiet, liessen sich so Wildkatzenhaare identifizieren. Die Wildkatze ist also definitiv wieder zurück! Ihr Lebensraum – strukturreiche Laub- und Mischwälder – ist offenbar intakt genug, dass die einzelgängerische Wildkatze ein Streifgebiet von zwei bis acht Quadratkilometer für die Jagd nach Kleinsäugern, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Insekten vorfindet (Männchen ein bis doppelt so grosses Gebiet).

Wie viel Hauskatze steckt in den Aargauer Wildkatzen?
Werden der Sektion Jagd und Fischerei bekannte Zufallsbeobachtungen mitberücksichtigt, ergibt sich zusammenfassend ein recht flächendeckendes Bild der Verbreitung mit Potenzial für andere Gebiete wie den östlichen Jura oder gar das Mittelland. Fotound Sichtbeobachtungen sind jedoch schwer einzustufen, denn auch anhand eines Fotos ist die Bestimmung von Wildkatzen nach wie vor relativ schwierig. Auch wenn einige Merkmale wie ein verwaschenes Fell, deutliche, dunkle Streifen am Kopf und über den Rücken (Aalstrich) oder der buschige Schwanz mit wenigen, aber deutlichen und breiten Querbändern am Schwanzende zutreffen, ist der genetische Nachweis immer noch eindeutiger.

Aktuell sind für Wildkatzen der Strassenverkehr sowie die Zersiedlung der Landschaft die grössten Herausforderungen. Hinzu kommt, dass sich die Wildkatze mit der sehr nahe verwandten Hauskatze erfolgreich paaren (hybridisieren) kann, was eine Verwässerung des Wildkatzenerbguts zur Folge hat. Die Wahrscheinlichkeit einer Hybridisierung ist einerseits am Rande des Verbreitungsgebiets, andererseits in Gebieten mit vielen streunenden Hauskatzen am grössten. Beides muss im Kanton Aargau im Auge behalten werden.

Wie stark die Hybridisierung aktuell stattfindet und wie sich die Wildkatze im Mittelland ausbreitet, wird in einer vom Bundesamt für Umwelt veranlassten Studie untersucht. Bis Ende 2020 werden im Rahmen dieser schweizweiten Untersuchung unter anderem an 26 Standorten im Kanton Aargau mithilfe von Holzstöcken und Baldrian Wildkatzenhaare gesammelt und genetisch analysiert.

Quelle: Birdlife Aargau / Christian Tesini, Abteilung Wald, Sektion Jagd und Fischerei


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