Wie ein Neuseelandaufenthalt das Leben von Stefan Essig veränderte

  17.07.2019 Persönlich

Vom Bäcker-Konditor zum Domherr des Standes Aargau

Die prächtige Pfarrkirche von Leuggern und das Pfarrhaus stehen an einem wunderbaren Ort mit Blick über das sich darunter ausbreitende Untere Aaretal. Hier ist Stefan Essig, Pfarrer von Leuggern und Domherr im Bistum Basel, zuhause.

Dieter Deiss

LEUGGERN. Freilich ist Stefan Essig nicht der Dorfpfarrer, so wie man sich dies früher gewohnt war. Die Pfarrei Leuggern ist nämlich eingebunden in den Pastoralraum Aare-Rhein. In dem von Gemeindeleiter Daniel Kyburz-Erne aus Döttingen geführten Pastoralraum übt Stefan Essig die Funktion des leitenden Priesters und Strategieverantwortlichen für den Bereich Liturgie aus. Für Leuggern ist er der zuständige Seelsorger und damit erste Ansprechperson für die Bevölkerung. Die Aufgabe des Pastoralleiters mochte er seinerzeit nicht übernehmen, dies wäre ihm zu viel gewesen und hätte ihn nicht zuletzt wegen der grossen Verantwortung zu stark belastet. In Zeiten des Priestermangels stelle sich zudem die Frage, ob der Pastoralraumleiter unbedingt Theologe sein müsse. Primär verlangt diese Aufgabe ja Managementkenntnisse.

Was ist ein Domherr?
Stefan Essig ist nicht nur leitender Priester im Pastoralraum Aare-Rhein, sondern auch Domherr des Standes Aargau. Dazu wurde er von Bischof Felix Gmür auf Beginn des laufenden Jahres ernannt. Am Donnerstag vor Palmsonntag fand in Solothurn die offizielle Installation in das neue Amt statt. Als Domherr sei er eines von 18 Mitgliedern des Domkapitels. Die Domherren sind die politischen Bindeglieder zwischen den Kantonen und dem Bistum. Die Verteilung auf die Kantone erfolgt entsprechend deren Grösse. So verfügt der Kanton Aargau über drei Domherren.

Das Domkapitel sei in erster Linie ein beratendes Organ des Bischofs. Die bedeutendste Aufgabe sei wohl die Wahl eines Bischofs. Dieses Wahlrecht kenne die katholische Kirche sonst nirgends, werden doch alle übrigen Bischöfe durch den Papst ernannt. Beim Bischof von Solothurn falle dem Papst dann lediglich noch die Bestätigung zu. Eine bedeutende Aufgabe der einzelnen Domherren ist die Firmspendung. Da müsse man halt schauen, dass man mit den Terminen in der eigenen Pfarrei und im Pastoralraum nicht in Konflikt gerät.

Neue Gottesdienstformen
Natürlich bereitet dem Pfarrer von Leuggern die Situation der Kirche Kopfzerbrechen. Grosse Hoffnungen setzt er diesbezüglich in die neu geschaffenen Pastoralräume: «Die neuen Strukturen zwingen uns zu vermehrter Zusammenarbeit. Es bewegt sich auch bereits einiges. So sehen wir vermehrt, wo wir einander ergänzen können.» Er gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass dank Synergien namhafte Verbesserungen erreicht werden können. «Die grosse Volkskirche von einst wird es aber nie mehr geben. Wir schaffen es jedoch, dass das grosse Pfarreigefühl wieder bei mehr Leuten entsteht», meint er zuversichtlich. Wohl sei auch inskünftig der Sonntagsgottesdienst wichtig, aber nicht das allein Entscheidende. Es bringe nichts, wenn man am Sonntag den Gottesdienst besuche und während der Woche alles andere als ein christliches Leben führe. «Für den Gottesdienst müssen wir alternative Modelle entwickeln mit Musik, Theater, Lesungen, also Schwerpunktgottesdienste, so wie es heute vereinzelt schon entsprechende Ansätze gibt», wagt Essig einen Blick in die Zukunft.

Wurzeln im Fricktal
1986 kündigte Stefan Essig seine Anstellung in der Bäckerei in Leuggern und besuchte seinen Bruder in Neuseeland. Während eines halben Jahres arbeitete er dort als Bäcker-Konditor in einem Hotel. Zwischendurch machte sich aber auch etwas Heimweh bemerkbar. «Hier spürte ich erstmals, wie mich der Glaube an Gott trägt», führt er dazu aus. Diese Erfahrungen in Neuseeland sollten fortan seinen Lebensweg bestimmen. Zurück in der Heimat machte ihn die Gemeindeschwester auf eine von einem Pfarrer geführte Jugendwallfahrt aufmerksam. «Weshalb nicht einmal so etwas versuchen?» habe er sich gesagt und nahm daran teil. Hier traf er auf einen Mann, der über eine kaufmännische Ausbildung verfügte und jetzt in Österreich Theologie studierte. «Diesen Weg fand ich äusserst interessant», erzählt er. Ein Besuch beim Informationsdienst Kirchliche Berufe führte ihn mit dem damaligen Zirkuspfarrer Ernst Heller zusammen. Nach einer weiteren Teilnahme an einer Jugendwallfahrt sagte er sich: «Ich habe nichts zu verlieren» und besuchte am Kloster Einsiedeln das Einführungsjahr für das Theologiestudium. «Ich überstand dieses Jahr derart erfolgreich, dass ich das fünfjährige Theologiestudium in Einsiedeln aufnehmen konnte» erzählt er. Es folgte ein Jahr am Priesterseminar Luzern und 1995 bis 1997 die Zeit der Berufseinführung auf dem Mutschellen. Am 25. Mai 1997 war es dann soweit: Mit der Priesterweihe hatte Stefan Essig sein grosses Ziel erreicht. 2001 schloss sich dann sein vorläufiger Lebenskreis mit der Rückkehr nach Leuggern, diesmal aber als Pfarrer.

Als er die Pfarrei Leuggern übernahm, war dies für Stefan Essig eigentlich eine Rückkehr an einen Ort, den er bestens kannte. Dies allerdings nicht aus der Warte des Pfarrers, sondern aus der Sicht des Bäcker-Konditors. Noch viel früher, vor rund 54 Jahren erblickte er zudem im Spital Leuggern das Licht der Welt. Aufgewachsen ist er in Wil im Mettauertal in einer gut katholischen Familie, wo das tägliche Gebet noch selbstverständlich war. In Leuggern fand er eine Lehrstelle als Bäcker-Konditor. Im Gegensatz zur Volksschule vermochte die Gewerbeschule sein Interesse zu wecken. Sein Beruf bereitete ihm viel Freude und Befriedigung. So backt er heute noch hie da Brot. Beim letzten Pfarreifest habe er zudem einen Teil des Desserts zubereitet. Leuggern ist für ihn längst zur zweiten Heimat geworden. Hier fühlt er sich zuhause.

Baustellen in der katholischen Kirche
Keine Mühe hat der Theologe für sich selbst mit dem Zölibat: «Für mich war dies nie ein Opfer, vielmehr ist in mir das Bild gewachsen, dass ich möglichst frei verfügbar sein möchte für Gott und die Pfarrei. Ich sehe immer wieder, wie bei verheirateten reformierten Kollegen die Familie und das grosse Engagement als Pfarrer zu Problemen führen kann», meint er dazu. Allerdings sollte die Heirat kein Hinderungsgrund mehr sein für die Weihe als Priester, sagt er und fügt an: «Ich bin dafür, dass der Zölibat aufgehoben wird. Wir hätten heute bestimmt mehr Priester.» Stefan Essig ist denn auch sehr zuversichtlich, dass sich in dieser Beziehung mittelfristig einiges ändern wird.

Eine klare Meinung vertritt Essig auch zum Ausschluss der Frauen von der Priesterweihe. Wenn wir in dieser Frage noch lange warten, werde es zunehmend zu Protesten von Frauenseite kommen. «Die Begründung, weshalb Frauen nicht für das Priesteramt geweiht werden dürfen, ist überhaupt nicht stichhaltig», erklärt er und fügt an, dass in allen vier Evangelien Jesus zuerst Frauen erschienen seien und diese damit beauftragt habe, die Botschaft von seiner Auferstehung weiter zu tragen. Die Frauen standen also an erster Stelle. Bei einem eigenmächtigen Vorgehen einzelner Bistümer oder Länder in der Frage der Frauenordination drohe letztlich eine Kirchenspaltung, was auch nicht im Interesse der Gesamtkirche liege.


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