Der Herr der Scheiben

  24.07.2019 Ittenthal, Persönlich

Stephan Wiestner ist glühender Musik-Fan. Aber seine wirkliche Leidenschaft ist das Kino. Was also liegt näher, als sich sein eigenes «Cinema Ittenthal» einzurichten?

Matthias Reimann

Im prall gefüllten Regal stehen rund 3000 DVD- und Blue Ray Disks. Beim Buchstaben «R» findet sich eine ganze Kollektion zur legendären Rockband The Rolling Stones. Stephan Wiestner (62) lacht, wie er auf diese Musikfilme hinweist: «Ich bin ein Kind der sechziger Jahre, Rock’n Roll wurde mir in die Wiege gelegt. Was Musiker damals zustande gebracht haben, schaffen massentaugliche Casting-Stars heute nicht mehr.»

«Cinema Ittenthal» ist das Resultat einer Mischung von unbändigem Interesse und lebenslanger Leidenschaft. Bereits als Kleinkind wurde in Stephan Wiestner die Liebe zum Kino geweckt. Zum Beispiel als Dreijähriger, schlafend auf dem Schoss seiner Mutter im Freilichtkino. Besonders beeinflusste ihn aber das Union in Basel, wo er als Teenager regelmässig die wöchentliche Doppelvorstellung besuchte. An jenen Montagabenden tauchte er im Quartierkino für ein paar Stunden in eine andere Welt ein. Welche Streifen gerade liefen, spielte keine Rolle. Ihn faszinierte vor allem die magische Atmosphäre des Kinos.

Der kostspieligste Film der Sammlung
Sein erstes Video mietete sich Stephan Wiestner in den siebziger Jahren in London. Für «Rollerball» musste er damals 100 Pfund als Depot hinterlegen. Dieser Film wurde zum teuersten Streifen seiner Sammlung: «Das Video brachte ich nie mehr zurück… es war zu jener Zeit die einzige Möglichkeit, an diesen legendären Streifen zu kommen» amüsiert sich der Filmfan.

Es gibt entweder Film- oder Technikfreaks, aber Stephan Wiestner bezeichnet sich selbst als Kinofreak: «Die Technik ist Mittel zum Zweck. Und für Filmfestivals, roten Teppich oder Stars und Sternchen habe ich nicht allzu viel übrig.» Ganz besonders faszinieren ihn alte Kinos. Auf Städtereisen sucht er immer als erstes danach. Diese ehrwürdigen Lichtspieltheater sind für ihn ein Andenken an Zeiten, als Kinobesuche ein einschneidendes Erlebnis und nicht jederzeit abrufbare Unterhaltung darstellten. Obwohl der Ittenthaler mit seinem Filmarchiv die Qual der Wahl hat, geht er auch gerne ins «richtige» Kino: «Das Monti in Frick gefällt mir. Die Atmosphäre, das Programm, der Kinosaal – das ganze Paket ist sehr sympathisch.»

Dirty Dancing das Mass der Dinge
Seine beeindruckende Sammlung besteht vor allem aus amerikanischen Action- und Science-Fiction-Produktionen. «Mit Filmen will ich mir keine Probleme aufhalsen, die ich vorher nicht gehabt habe. Am liebsten sind mir ohnehin Streifen, bei denen ich ein paar Sorgenfalten im Kinosaal zurücklasse», sagt er schmunzelnd. Das könnte der Grund sein, weshalb Stephan Wiestner vermutlich der einzige Mann im Fricktal ist, der jeden Dialog, jede Bewegung und jeden Beat des Tanzfilms «Dirty Dancing» kennt. Für ihn ist es die perfekte Kombination aus unbeschwerter Handlung, schauspielerischer Leistung und cooler Musik der sechziger Jahre.

Ein anderer Streifen, der es dem Kinofan angetan hat, ist ein Werk mit Tom Hanks: «Ich bin ein absoluter Fan von ‹Forrest Gump›. Diesen Film schaue ich mir jedes Jahr bestimmt einmal an.» Den Zugang dazu musste er sich allerdings erarbeiten, denn kurz nachdem «Forrest Gump» für ihn das erste Mal über die Leinwand flackerte, sah er sich ein weiteres Werk mit Tom Hanks in der Hauptrolle an: «Apollo 13». «Dieselbe Person, die Forrest Gump spielte, konnte nicht einfach auch Kommandant Jim Lovell sein. Tom Hanks hat mir damals mit seiner Raumfahrtrolle ganz schön den Filmabend versaut», lacht der Kinofreak.

Das kleinste Kino im Fricktal
Mit seinem Cinema Ittenthal hat Stephan Wiestner in liebevoller Detailarbeit ein Kino mit allem Drum und Dran geschaffen. Neben Grossleinwand, Rundum-Soundanlage und Schwingtüren hat er im Foyer auch eine richtige Popcorn-Maschine. Aber damit nicht genug: Obwohl hier keine öffentlichen Filmvorführungen stattfinden, enthält das kulinarische Angebot für Filmpausen Kultartikel wie Vivi Kola oder Carambar Caramelstangen. Seit kurzem spielt er in seinem Kino sogar Trailer und Werbeclips ein: «Was normale Kinogänger hassen, spiele ich bewusst ab – Werbung und Vorschauen auf andere Filme gehören zu einem ordentlichen Kinoerlebnis!»

Stephan Wiestner bezeichnet sich als «Basler mit Herzblut», wohnt aber seit mehr als 25 Jahren in Kaisten/ Ittenthal. «Ich fühle mich im Fricktal sehr wohl. Ich brauche die Stadt nicht mehr in nächster Nähe zu haben. Es ist zwar angenehm, jederzeit nach Basel oder Zürich gehen zu können. Aber den Platz, den wir hier geniessen, haben Städter nie.» Bei den nächsten Gemeinderatswahlen von Kaisten wird Stephan Wiestner antreten. Sich damit in den Dienst der Öffentlichkeit zu stellen, ist für ihn auch Ausdruck seiner Verbundenheit mit dem Fricktal.

Als der Kinoliebhaber dem NFZ-Journalisten eine Kostprobe im «kleinsten Kino im Fricktal» vorschlägt, ist die Filmwahl schnell getroffen: «Shine a light» ist ein Konzertfilm des amerikanischen Kultregisseurs Martin Scorsese über die Rolling Stones. Als die bluesigen Riffs von Mick Jagger, Keith Richards und Co. über die Leinwand flimmern und die Bässe über die Rundum-Soundanlage durch den Kinosaal wummern, steht fest: Stephan Wiestner ist mitten in seiner Welt und geniesst die perfekte Kombination von Kino und Rock’n Roll in vollen Zügen.


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