«Medikamente» aus dem Garten

  13.07.2019 Magden

«Oft sagen mir Menschen, sie hätten manche Pflanzen bis anhin als reines Unkraut angeschaut.» Dieser Satz stammt von Christine Bühler-Vuille. Die Botanikerin unterhält den Arznei- und Lerngarten beim Magdener Dorfmuseum. Hier ist vielleicht alles ein wenig wilder, doch für Personen, die sich für Pflanzen und deren Heilkräfte interessierten, ist dieses Fleckchen Erde geradezu ein Garten Eden. Die NFZ war zu Besuch. (rw)


«Alte Gärten sind ein kostbares Gut»

Faszinierend und oft heilsam: die einheimische Pflanzenwelt

Die Botanikerin Christine Bühler-Vuille stösst mit ihren Führungen durch den Arznei- und Lerngarten beim Magdener Dorfmuseum auf hohe Resonanz.

Clara Rohr-Willers

«Ein Kompliment und eine Freude ist es, wenn die Besucherinnen und Besucher im Anschluss an meine Führungen die Natur mit offeneren Augen betrachten», erklärt Christine Bühler-Vuille auf einem Rundgang durch den Arznei- und Lerngarten hinter dem Magdener Dorfmuseum, dem «Leopolds Karls Haus». «Oft sagen mir Menschen, sie hätten manche Pflanzen bis anhin als reines Unkraut angeschaut. Nach meiner Einführung in Geschichte und Botanik der Pflanzen würden sie deren oft Jahrhunderte und Jahrtausende alten Nutzen kennen und schätzen.»

«Leopolds Karl war Pflanzenliebhaber und -kenner»
Leopolds Karl, wie man den Kleinbauern und Besitzer des Hauses nannte, schätzte seinen Garten. Der Tauner Karl Schneider lebte bis 1990 die meiste Zeit seines fast hundertjährigen Lebens im Haus gegenüber der Magdener Post. Im ganzen Dorf war er als Pflanzenkenner, Pflanzenliebhaber und leidenschaftlicher Gärtner bekannt. Seit der feierlichen Eröffnung des originalgetreu sanierten Taunerhauses und Magdener Dorfmuseums vor drei Jahren, wurde auch der dazugehörende Garten wieder gepflegt. Zunächst vom erfahrenen Gärtner und Vorstandsmitglied des Vereins «Magidunum», Roger Bretscher.

«Um den privaten Kunden, aber auch Schülerinnen und Schülern die Welt der Arznei- und Nutzpflanzen näher zu bringen, versuche ich, immer wieder neue Ansätze zu finden» erklärt Christine Bühler-Vuille. «Am meisten schätze ich die Vielfältigkeit des Gartens beim Dorfmuseum. Die Schattenplätze und Lagen, die der Sonne ausgesetzt sind, ermöglichen es, Pflanzen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu kultivieren. Während Baldrian den Halbschatten mag, schätzen die Königskerze und das Johanniskraut die direkte Sonnenbestrahlung.» Das Johanniskraut, die Heilpflanze des Jahres 2019, wuchs schon zu Lebzeiten von Karl Schneider hier. Auch die beiden markanten Kastanienbäume, eine Rosskastanie und eine Esskastanie, erinnern an den Magdener Tauner. Auf dem Weg zu einem kleinen Teich begleiten uns viele Christrosen, die wohl schon seit Jahrhunderten hier gedeihen. Karl Schneiders kleiner Teich, der auf Regenwasser angewiesen ist, beheimatet auch heute Bachbummel, Frösche, Bergmolche und viele Insekten.

«Jahrhunderte und Jahrtausende altes Wissen über Pflanzen»
«Alte Gärten sind ein kostbares Gut», betont die Botanikerin und ehemalige Dozentin an der École supérieure de droguerie in Neuenburg. Pflanzen und Bäume überdauern die Menschen und spenden dadurch Trost und Geborgenheit. Durch ihre Führungen habe sie in den letzten Jahren ein stets steigendes Interesse am oft Jahrhunderte und Jahrtausende alten Wissen über die einheimische Pflanzenwelt festgestellt. «Das heilende Öl des Echten Johanniskrauts kannten schon die Ägypter», schildert die Wahl-Magdenerin mit Wurzeln in La-Chaux-de-Fonds. Auch Paracelsus im 16. Jahrhundert kannte die positiven Wirkstoffe des «Hypericum perforatum». Es sei nicht möglich, dass eine bessere Arznei für Wunden in allen Ländern gefunden werde, habe er gesagt. Das Johanniskraut fehlte in Form von Rotöl in keiner Schmiede und wurde bei Verbrennungen aufgetragen.

Wie Christine Bühler-Vuille, die man oft zu Fuss in Magden und Umgebung antrifft, mochte auch Leopolds Karl unsere Region, kannte jeden Winkel des Magdener Gemeindebanns und wusste viele alte Flurnamen zu nennen. Einen Eindruck vom Leben von Leopolds Karl gewinnt man durch den Besuch des Dorfmuseums. In der 1961 erschienenen Ausgabe «100 Jahre Volksstimme aus dem Fricktal» wurden zum Beispiel Notizen gedruckt, die der ledige Kleinbauer über Flora und Fauna der Magdener Rebbergen verfasst hatte und die in den Räumlichkeiten nachgelesen werden können. Oft in Versform schrieb Karl Schneider Geschichten aus dem Dorf auf, notierte Begegnungen und Beobachtungen in Wald und Flur.

Man kann das Dorfmuseum und/oder den Arznei- und Lerngarten inklusive anschliessendem Wildkräuter-Aperitif besuchen. Eine Führung durch den Garten mit Christine Bühler-Vuille kostet 50 Franken pro halbe Stunde und kann über die Adresse dorfmuseum@magden.ch oder die Telefonnummer 061 845 89 10 gebucht werden.


Leopolds Karls Haus

Das «Leopolds Karls Haus» ist ein typisches Fricktaler Taunerhaus und von regionaler Bedeutung. Heutzutage sind nur noch wenige solcher Häuser zu finden. Die Tauner waren Schweizer Kleinbauern, die sich bei Grossbauern verdingen und im Taglohn arbeiten mussten. Die Herkunft des Wortes Taglohn stammt aus dem Mittelhochdeutschen tagewan, tagewen oder tagewon. Neben ein paar kleinen Feldern hielten sie unter anderem Kleinvieh, häufig auch Ziegen, die sie auf der Allmend weiden liessen.

Rechtlich waren die Tauner den Bauern im Dorf gleichgestellt. Die Grossbauern waren aber auf die Arbeitskräfte der Tauner angewiesen und nutzten den eigenen Besitz, um ihre Vormachtstellung durchzusetzen. Die Tauner erhielten selten Geld, sondern Naturalien und Zugdienste beim Ernten und Heuen.


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