Die Sage «Däschlikon und die gesegnete Eich»

  16.01.2019 Fricktal

Eine Fricktaler Sage und ihre historischen Fakten 

Werner Rothweiler

Sagen haben, im Gegensatz zu Märchen, historische Bezüge und machen Orts- und Zeitangaben. Sie erfüllen also einen hohen Realitätsanspruch. Handlung und Inhalt werden bestimmt von historischen Ereignissen, auf denen die Sage beruht. Sagen spielen an realen Schauplätzen. Sie werden von Generation zu Generation mündlich weitergegeben, bis sie schliesslich von jemandem aufgezeichnet werden. Die Überlieferung erinnert an das Spiel, bei dem sich eine Gruppe Leute im Kreis aufstellt und der Erste dem Zweiten etwas ins Ohr flüstert. Der Zweite gibt die Botschaft an den Dritten weiter, und so fort, bis sie beim Letzten anlangt, der sie mit der ursprünglichen Version des Ersten vergleicht. Meist ist sie dann sehr entstellt, je mehr Relaisstationen sie durchlaufen muss. Dies ist auch bei unserer Däschliker Sage der Fall. Unsere Sage erfüllt alle diese Kriterien. Der Ort, an dem sie spielt, ist durch Urkunden und Karten belegt. Die Siedlung Deschliken ist erstmals 1198 erwähnt, sie geht aber vermutlich auf die Zeit der alemannischen Landnahme im 6. – 8. Jahrhundert zurück. Was die Handlung betrifft, so werden zwei voneinander unabhängige Katastrophen miteinander verwoben, nämlich ein Bergsturz im Jahr 1437 und ein Unwetter anno 1748. Die beiden Ereignisse haben miteinander nichts zu tun, ausser dass sie am gleichen Ort ihren Ursprung hatten, nämlich Magdens Hochallmend, die den – noch heute gebräuchlichen – Flurnamen «Halmet» erhielt. Einerseits ging vom Halmet der Bergsturz nieder, der das Dorf Deschliken auslöschte, andererseits braute sich über der kahlgeschlagenen Hochallmend das Unwetter zusammen, von dem Magden, Nusshof, Wintersingen und Rheinfelden betroffen waren. Zwischen den beiden Ereignissen liegen 311 Jahre oder 11 Generationen und nochmals 6 – 7 Generationen bis zur schriftlichen Aufzeichnung der Sage. Genügend Relaisstationen also, die Anlass zu einer Veränderung der ursprünglichen Botschaft sein können.

Die Existenz und der Abgang Deschlikens sind mehrfach urkundlich belegt. Das Unwetter vom 6. August 1748 ist sowohl von Pfarrer Johann Jacob Meyer im Magdener Totenbuch beschrieben als auch vom Wintersinger Pfarrer Samuel Grynaeus, dessen Predigt vom 25. August 1748 dazu noch im selben Jahr von der «Basler Buchdruckerei» in zwei Auflagen gedruckt wurde «zum Andenken an diese Begebenheit».

 1. Die historischen Fakten
• Der -ikon Name deutet auf eine Besiedelung während der ersten alemannischen Ausbauphase im älteren Frühmittelalter (spätes 6. bzw. 7./8. Jh.) hin, ähnlich wie der etwas ältere -ingen Name Iglingen.
• Die in frühalemannischer Zeit entstandene Gruppensiedlung Teschlikon am linken Ufer des Talbächli (Deschliker Bach) ist ausdrücklich als Dorf nachgewiesen, das grösser gewesen sein muss als Iglingen. «Nach der Gesamtheit der urkundlichen Zeugnisse muss die Ortschaft relativ ansehnlich gewesen sein und über eine umfangreiche Feldflur verfügt haben.»
• In der Urkunde von 1383, datiert 27.8., Burgdorf [StABern, Fach Signau] ist die Rede von «den Heiligen Cosmas und Damian zu Eschlikon bei Rinvelden». Daraus kann geschlossen werden, dass Deschliken zu dieser Zeit ein den beiden Schutzheiligen der Apotheker und Ärzte geweihtes Gotteshaus hatte, was auf eine gewisse Grösse der Siedlung schliessen lasst.
• Aus einem Zinsrodel des Spitals Rheinfelden von 1390 geht hervor, dass das Spital in Deschliken Land besessen hatte.
• Der im Berein von 1518 genannte Hofacker und Bunden (Garten) weist auf einen ehemaligen Fronhof in der Siedlung Teschliken hin, der zwar nicht mehr existierte aber in den Güterverzeichnissen immer noch geführt wurde.
• Beim Bau des Zelglihofs 1893/94 fand man zwei alemannische Steinkistengräber mit Skeletten ohne jegliche Beilage. Der Grabtypus, die ausgestreckte Grablegung und das Fehlen von Grabbeilagen deuten auf eine Grablegung im 7./8. Jh. hin. Dies sowie die Nähe zu Deschliken (ca. 200 m westlich) suggerieren einen Zusammenhang zwischen den Gräbern und Deschliken, pflegten doch die Alemannen ihre Toten nahe bei den Höfen zu beerdigen. 

2. Deschliken wird 1437 durch einen Erdrutsch vom Halmet verschüttet
• Der Gelterkinder Geograf Prof. Paul Vosseler (1890–1979) nennt in seiner Habilitationsschrift «Der Aargauer Jura» (1926) das Jahr 1437 für den Abgang Deschlikens, allerdings ohne Angabe einer Quelle. Recherchen in Vosselers Nachlassen in der Universitätsbibliothek BS und im Staatsarchiv BS, ebenso wie in seinem früher vom Sohn Martin (Arzt, Friedens- und Umweltaktivist) bewohnten Haus auf dem Bruderholz, blieben leider erfolglos. Vosseler muss also eine uns unbekannte Quelle gehabt haben.
• Für Vosselers Nachfolger, den Basler Prof. Hans Annaheim (1903–1978), lieferte das Gelände für die These der Verschüttung Deschlikens (Koord. 627.9/262.2) durch einen Erdrutsch vom Halmet den Realbeweis: «Tatsächlich zeigt der im Niveau der Opalinusmergel liegende linksseitige Talhang zwischen dem Tälchen südlich Bitzleten bis über den Zelglihof talein die kuppige Modellierung der Erdbewegung. Durch die Rutschmassen wurde der Talbach an den rechten Hang gedrängt, wo er sich leicht in ihn eingekerbt hat. Das Rutschgebiet wurde im Jahre 1942 durch die grosse Drainage Bitzleten-Zelglihof entwässert; der Mobilitat des Untergrundes wegen benutzte man dazu Holzkanäle. Bei den Arbeiten kamen auf der Flur Deschliken in einer Tiefe von 2 m zahlreiche Ziegelreste zum Vorschein.»
• Dass Deschliken nach der Katastrophe nicht wieder erstand, erklärt Annaheim als «späte Korrektur der zu starken Aufteilung des Lebensraumes durch die landnahmezeitliche Ansiedlung».
• Die überlebenden Deschliker fanden nach der Zerstörung ihrer Siedlung in Magden Aufnahme und bebauten ihre Felder von hier aus.
• Auf die Eigenständigkeit der Siedlung Deschliken lasst auch die eigene Zelgordnung schliessen, die zunächst noch beibehalten wurde. Noch um 1600 sind in den Güterverzeichnissen neben den drei Magdener Zelgen «uff Ebnet», «vor Onsberg» und «im Hofacker» die drei Deschliker Zelgen «usser Deschliken», «Buechhalden» (auch innert Deschliken genannt) und «Ittenthal» aufgeführt. Erst im Verlauf des 17. Jh. sind die Deschliker Zelgen aufgelöst und den drei Magdener Zelgen einverleibt worden. Dabei hat vor allem die alte Zelg «Hofacker» eine bedeutende Erweiterung erfahren und ist in Zelg «Schönenberg» umgetauft worden, wie aus dem Berein der Pfarrkirche Magden von 1682 hervorgeht.
• In der ältesten Karte von Magden um 1602 («Grenzplan Basel-Österreich» von M.H. Graber im StABL) sind keine Häuser im Bereich Deschliken mehr abgebildet. Nur noch der «Deschliker Bach» (heute «Talbach») erinnert an den abgegangenen Ort. 

3. Das Unwetter vom 6. August 1748 und die gesegnete Eich auf dem Halmet
• Die Magdener benutzten die Hohe Allmend (Halmet) als Waldweide für ihr Vieh. Dazu wurde sie immer wieder abgeholzt. Nach einem Kahlschlag im Jahre 1728 kam es in den Folgejahren 1730–1736 zu Hagelwettern und Hochwassern, sodass Pfarrer Johann Jacob Meyer (Amtszeit 1729 –1750) den Antrag stellte, eine auf der Höhe stehen gebliebene Eiche, bisher «Donnereich» genannt, zu segnen. Dies geschah am 2. Juli 1736 und so wurde aus der Donnereiche die «Gesegnete Eiche». Sie steht heute noch und da sie alterskrank ist, hatte man um 2000 daneben eine Ersatzeiche gepflanzt.
• Am 6. August 1748 entlud sich über Magden, Maisprach, Nusshof und Wintersingen ein Jahrhundert-Unwetter. Der «grosse Wolkenbruch» liess den Bach innert wenigen Minuten um über zwölf Fuss (3.6 m) anschwellen. Er riss alles fort, was ihm im Weg stand. 83 Menschen verloren ihr Leben, 6 in Wintersingen, 44 in Magden und 33 in der Rheinfelder Vorstadt (Kunzental). Zudem sind 30 Rinder, 52 Schweine, 49 Schafe und 12 Ziegen verloren gegangen. Diese «irdische Sintflut» und ihre Folgen wurde sowohl vom Magdener Pfarrer Johann Jacob Meyer wie auch vom Wintersinger Pfarrer Samuel Grynaeus beschrieben.
• Die in der Sage überlieferte Geschichte von der im Bett liegenden kranken Frau und ihrem am Tisch sitzenden kleinen Mädchen, die mitsamt dem von den Fluten erfassten Haus fortgetragen wurden, ist wahr und hat sich am 6. August 1748 so zugetragen. Im Laufe der mehrfachen Überlieferung ist der grössere Zusammenhang mit der Sage und die Zeit des Ereignisses verloren gegangen.
• Die in der Sage erwähnte Bittprozession zur Eiche fand ab 1736 alljährlich jeweils am 2. Juli statt, dem Tag der Segnung. Später wurde die Prozession auf den 29. Juni (Peter und Paul) verschoben und endete in der Klosterkirche Olsberg. 1860 hielt man nur noch einen Bittgottesdienst in der Kirche Magden ab. Zur Zeit des Abfalls von der römisch katholischen und Hinwendung zur christkatholischen Kirche, um 1872, wurde die Prozession eingestellt, zumal dem Pfarrer in den letzten Jahren immer weniger Schäfchen gefolgt waren und die Männer in den Wirtschaften hängen blieben. Als 1880 ein starkes Hochgewitter über Magden niederging, verstanden dies manche als einen «Wink des Himmels» und es wurde beschlossen, am Sonntag nach Peter und Paul anstelle des ehemaligen Bittganges eine Betstunde in der Rheinfelder St. Martinskirche abzuhalten und den «Hagelrosenkranz» zu beten. Seit dem Bau der Magdener Marienkirche (1969) wird das Bittgebet wieder in Magden abgehalten und der alte Brauch eines Gottesdienstes bei der gesegneten Eich wurde wieder aufgenommen.

 Dieser Beitrag wurde in den Rheinfelder Neujahrblättern 2019 publiziert.


«Vor vielen hundert Jahren stand in der Nahe des Talhofes ein Dörflein, genannt Däschlikon. Zu Zeiten der Not holzten die Bewohner einmal den ganzen Halmet ab und liessen nur eine grosse Eiche übrig. Im darauffolgenden Sommer hagelte und stürmte es wie noch nie. Eines Tages schwemmte ein starker Regenguss eine mächtige Erdscholle von der Höhe herunter. Diese bedeckte das ganze Dörflein. Alle Häuser und der Grossteil der Bewohner versanken in Schutt und Wasser. Heute findet man keine Spur mehr von der Ansiedlung. Damals stand ausserhalb der alten Mühle ein kleines Haus. Dort lag eine kranke Frau im Bett, und ihr kleines Mädchen sass gerade am Tisch, als das Unglück hereinbrach. Beide verschwanden mitsamt dem Häuschen. Die Bewohner, die sich hatten retten können, siedelten sich  später dort an, wo heute Magden steht. Sie weihten die stehen gebliebene Eiche, und der Pfarrer segnete sie. In die Rinde schnitt  man drei Kreuze und eine Hostie und legte alles mit gesegneten Kräutern aus. Alle Jahre hielt man eine Prozession mit Kreuz und  Fahne hinauf zu der gesegneten Eich. Seither ist Magden von schweren Gewittern verschont geblieben. Die Eiche aber steht heute noch als mächtiges Wahrzeichen droben auf dem Halmet.»*


Die Sage wurde von Hans Rudolf Burkart (1881–1969) nach mündlichen Überlieferungen aufgezeichnet. Burkart war historisch interessierter Pfarrer der christkatholischen Kirchgemeinde Wallbach-Obermumpf und folgte einem Aufruf des Kaister Lehrers Traugott Fricker, Beiträge zur Veröffentlichung von Fricktaler Sagen zu liefern. Diese wurden im Schosse der «Fricktalisch-Badischen Vereinigung für Heimatkunde» (FBVH) in drei Heften ihrer Zeitschrift «Vom Jura zum Schwarzwald» von 1935–1938 unter dem Titel «Volkssagen aus dem Fricktal» publiziert.


Deschliken in Urkunden, Karten und Güterverzeichnissen von 1198–1828

• 1198 «Heinricus de Aschenzo»
• 1290 «von dem guote so si ze Teschelincon heint mit den huesren un mit den eignen»
• 1324 «unam schoposam sitam in banno ville Teschelikon»
• 1351 «und derselben schupossen buwet Johans Rieme von Teschlikon eine»
• 1381 «de uno agro sito in Testliken / in Testliken unum pratum»
• 1383 «Cosmas und Damian zu Eschlikon bei Rinvelden»
• 1390 «Jenni Schaler und Wernli Fuos von Testliken» Dazwischen muss der Erdrutsch passiert sein, der Deschliken verschwinden liess.
• 1449 «ein juchart acker zuo Eschliken» 1452 «in dem bann ze Testlicken baseler bistums»
• 1464 «zu teschliken zelg am breytten weg / ze gappen an teschliker bach / zu teschliken das cappitels gutt»
• 1465 «von etlicher gueter wegen zuo Teschlickein gelegen»
• 1504 «einen hag ze spergen nebend dem Acker abhin biss in boden gegen Teschliken»
• 1518 «im Hoffackher zue Teschlickhen / zue Teschlickhen oben an den Bünden»
• 1600 «matten zu Teschlickhen, einseits neben dem Haag und dem Bach so in Teschlickhen gehet / ackher und matten zue Teschlickhen in den Weiden»
• 1602* «Deschliken, Deschliker Bach»
• 1606 «ein hoffstadt zue Deschlickhen im Baumgartten / matten in D. neben dem runns an Langmatt / ackher am innern Detschlickher und Mertzen Prunnen / Doschlickhen / Toschlickhen»
• 1615 «acker z Toschlickhen / zu Deschlickhen / zu Tetschlickhen im Hoffackher / matten zu Taschlickhen / zu Tetschlickhen in den Weiden»
• 1682 «ackher im usseren Toschlickhen, uff Sellen genannt»
• 1742 «Matten auf Toschliggen»
• 1764 «Deschligen / Doschliken / Teschlicker Bachlin / Widen zu Toschligen / im usseren Toschlickhen jez im Thal genannt»
• 1785 «Taschliker Bachlein»
• 1791 «Teschlingen Bachlein / im ussern Detschliken jezt im Thal genannt»
• 1805 «Eine Jauchert im innern Deschliken, jetzt im innern Zelgle genannt / Matten zu Deschliken, jetzt im Gapp genannt; einseits neben dem Bach; andererseits die Deschliker-Strass / Matten auch zu Deschliken in der Geissmatt und lauft der Bach dadurch / zu Deschliken, im Schnekenaker genannt»
• 1823 «Matten zu Deschliken, und geht der Weg dadurch, stosst niedsich an Bach»
• 1828 «Deschliker Bächlein»


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote