Dem Geächteten ein bisschen Würde

  24.08.2018 Möhlin

Hächler und der zum Teufel gejagte Weltverbesserer

Das Portrait über einen ehemaligen Lehrer und Revoluzzer, der so gerne Schriftsteller geworden wäre. Oder: Wie der Möhliner Arthur Hächler doch noch das Buch seines Lebens geschrieben hat.

Ronny Wittenwiler

Fussgängerzone, Stadt Grenchen. Arthur Hächler steht auf dem Zyt-Platz. Ihn schaudert die Vorstellung. Ordnungstruppen eröffnen das Feuer. Genau an diesem Ort. Es ist das Jahr 1918. Drei junge Männer sterben im Kugelhagel. Der Landesstreik eskaliert. Auf seiner Heimreise nach Möhlin ahnt Hächler nicht, dass ihm im Zuge weiterer Recherchen zu den Ereignissen von 1918 schon sehr bald eine Figur begegnen wird, die ihn nicht mehr loslässt. Hächler wird gefesselt.

Mietwohnung, dritter Stock, in einer Möhliner Überbauung. Eingepackt in die Farbe der Sozialisten, mit weissem Schriftzug, liegt das Buch von Arthur Hächler auf dem Tisch: Rüdt. Nachruf auf einen Revoluzzer. 500 Seiten. Ein biografischer Roman über den lokalen Streikführer Max Otto Rüdt. Die Menschen liessen ihn fallen; von dem Moment an, als sie ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben nicht erfüllt sahen. Rüdt stirbt 1947. Arthur Hächler ist zu diesem Zeitpunkt fünf. Er wäre gerne Schriftsteller geworden. Das Leben aber, es hielt für ihn einen anderen Plan bereit.

Zweifel
Ein Kind ist unterwegs. Hächler ist 23. Es folgt die Heirat, doch das Glücklichsein gelingt ihm nicht. Wie Blei liegt ihm die Verantwortung auf den Schultern. «All das schaffe ich nicht», denkt er oft, und auch die Freude am Beruf hält sich in Grenzen. Arthur Hächler ist Lehrer. Seine erste Klasse unterrichtet er in Unterkulm. 44 Schüler. Von morgens bis abends. «Ich wusste nicht, wie ich ihnen gerecht werden sollte.»

Wer sich mit Arthur Hächler unterhält, kann sich verweilen. Sein Auftritt ist wenig spektakulär. Die Art und Weise aber, Gedanken und Sachverhalte in Worte zu packen, sie beeindruckt. Es ist diese an den Tag gelegte Ehrlichkeit. Über vermeintliche Schwächen spricht er so unerschrocken, wie das Menschen gemeinhin über ihre Stärken zu tun pflegen. Hächler ist ein Denker. Mit Hang zum Nachdenklichen. Dass die Armee auf eigene Landsleute schiesst, traf den jungen Hächler schwer, als er zum ersten Mal davon erfahren hatte. Es musste so kommen. Das mit diesem Buch.

1967, mit 25 Jahren, kommt Arthur Hächler als Lehrer nach Möhlin. Schreiben bleibt seine Leidenschaft. Er produziert zwei Stücke fürs Lehrertheater, seine Kurzgeschichten werden regelmässig im «Beobachter» und im Feuilleton einer Tageszeitung publiziert. Auch zwei Buchpublikationen finden Aufmerksamkeit, Hächlers Werke findet im Radio Beachtung. 1989 erhält er vom Kanton Aargau den Werkpreis für die Förderung des kulturellen Lebens. Es reicht nicht zum grossen Durchbruch. Hächler bleibt bis zur seiner Pensionierung Lehrer an der Schule Möhlin.

Wie ein stiller Schrei
Jetzt sitzt er da, im dritten Stock seiner Mietwohnung in einer Möhliner Überbauung. Vor ihm dieses Buch, das ihn nach all den Jahren doch noch zu dem machte, wovon er träumte. «Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich als richtiger Schriftsteller.» Es ist, als hätte Hächler in den zweieinhalb Jahren Arbeit zu einem stillen Schrei angesetzt. Zeile für Zeile. Wortgewaltige Rehabilitation für einen mit Schimpf und Schande zum Teufel gejagten Weltverbesserer. Denn das wahre Leben sah für Streikführer Rüdt nur ganz kurz die Rolle des Helden vor.

«Ja», sagt Hächler. Auch er sei ein Revoluzzer gewesen. Später politisches Engagement in den Siebzigern. Präsident der SP Möhlin, Präsident der Bezirkspartei. Doch wisse er nicht mehr genau, wo er heute wirklich stehe. «Politisch linkslastig zwar. Doch scheint, als bin ich zunehmend orientierungslos geworden.» Es ist wieder so ein Gedanke. Junge Leute würden mit dem Kopf durch die Wand gehen. Aber je mehr man über sich und die Welt erfahre, desto komplizierter werde alles. «Ich weiss gar nicht mehr so genau, was richtig und was falsch ist. Aber mit dieser Haltung würde ich nicht mal die Organisation eines Mittagstisches hinbekommen.»

«Ich musste es einfach tun»
Ob er zufrieden und glücklich sei mit seinem Leben? «Nun», sagt Arthur Hächler und lächelt. «Das sind gleich zwei Fragen. Ich bin zufrieden. Glück aber kann man nicht erzwingen. Ab und an ist es eingetroffen.» Und es scheint, als liege ein Stück vom Glück nun vor ihm. «Ich musste es einfach tun», sagt er und schaut auf sein Buch. Zu sehr hatte ihn sein Protagonist gefesselt. Rüdt. Revoluzzer, dessen Spuren sich im Nirgendwo der Schweizer Geschichte verliefen. Hächler gab ihm eine Existenz zurück. Und damit vielleicht auch ein bisschen Würde.

 

Rüdt. Nachruf auf einen Revoluzzer.
Das Roman-Portrait bettet die kurze öffentliche Präsenz des Politikers und Sozialrevolutionärs in eine fiktive Biografie ein. Die von Fachleuten gesammelten Eckdaten zur Person Max Rüdt und zu den Ereignissen in Grenchen im Umfeld des Landesstreiks bilden das reale Gerüst. Das Buch ist erhältlich in der Papeterie Isenegger in Möhlin, ausserdem auf www.amazon.de (Hächler, Rüdt.), von dieser Plattform aus auch als eBook.


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