Es wird schwieriger, Lehrlinge zu finden

  16.06.2018 Rheinfelden

Analyse der Lehrstellensituation im Fricktal

Auch im August 2018 wird es hierzulande viele unbesetzte Lehrstellen geben. Gründe dafür sind die Demografie, der Trend hin zum Gymnasium und die fehlenden jungen Frauen in technisch-industriellen und gewerblichen Berufen.

Clara Rohr-Willers

Es sind immer noch geburtenschwache Jahrgänge, die im Sommer 2018 die obligatorische Schule abschliessen. Von den weniger werdenden Jugendlichen machen immer weniger eine Lehre. 2014 ist der Wert erstmals unter 70 Prozent gefallen. Nebst der Demografie ist der Trend hin zum Gymnasium ein Grund für unbesetzte Lehrstellen. Als dritter Grund kommt ein geschlechtsspezifscher Aspekt dazu. Mädchen konzentrieren sich auf deutlich weniger Branchen als Jungs. Gerade in technisch-industriellen und gewerblichen Berufen wären sie dringend gefragt.

«Ausbildungsbetriebe und Lernende finden sich früher»
«Wie in den vergangenen Jahren auch sind im Kanton Aargau kurz vor den Sommerferien noch etliche Lehrstellen in allen Berufsgruppen frei. Per Ende Mai 2018 wurden im Vergleich zum Vorjahr jedoch bereits gut 500 Lehrverträge mehr bewilligt», sagt Simone Strub Larcher, Leiterin Kommunikation des Aargauer Departements Bildung, Kultur und Sport, und wertet dies positiv. «Daraus lässt sich schliessen, dass Jugendliche sich frühzeitig mit der Thematik auseinandersetzen und im letzten Volksschuljahr in diesem Prozess gut unterstützt und begleitet werden. Ausbildungsbetriebe und Lernende finden sich so tendenziell früher», so Simone Strub Larcher.

Die Entwicklung im Fricktal weiche vom kantonalen und nationalen Trend nicht ab. So würden beispielsweise Lehrstellen im Detailhandel oder in der Baubranche erfahrungsgemäss eher später vergeben als in der Gesundheitsbranche oder im kaufmännischen Bereich. Und der Lehrbetrieb müsse mehr Aufwand treiben, um geeignete Lernende zu gewinnen.

«Die Berufswahl erfolgt geschlechtsspezifisch»
«Aktuell sind 83 Lehrstellen in den Bezirken Laufenburg und Rheinfelden unbesetzt», sagt Yolanda Métrailler von den «ask! – Beratungsdiensten für Ausbildung und Beruf» in Rheinfelden. «Davon sind die meisten, nämlich 21 Lehrstellen, in den Branchen Verkauf, 9 Lehrstellen in der Gebäudetechnik und 9 in der Baubranche angesiedelt. Auch im Fahrzeugbereich gibt es noch 8 unbesetzte Lehrstellen. Dies entspricht dem Stand, wie er sich zu diesem Zeitpunkt in den letzten Jahren ebenfalls präsentiert hat.»

26 offene Lehrstellen also im technischen und gewerblichen Bereich, den weibliche Schülerinnen gar nicht erst fokussieren. «Die Berufswahl erfolgt nach wie vor sehr geschlechtsspezifisch», schildert die diplomierte Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin Yolanda Métrailler. «Schülerinnen konzentrieren sich vor allem auf Lehrstellen im kaufmännischen Bereich, im Gesundheits- und Sozialwesen, im Verkauf, im Gastgewerbe sowie in kreativen Berufen wie Coiffeuse oder Floristin. Gewerblich-industrielle Berufe kommen für die meisten von ihnen nicht in Frage, weshalb die Palette an Berufslehren, welche jungen Männern offen stehen, wesentlich breiter ist.»

Diese Aussage bestätigt sich im Gespräch mit Miriam Crespo Rodrigo, Leiterin Unternehmenskommunikation des Gesundheitszentrums Fricktal AG in Rheinfelden, wo im Sommer 25 neue Lernende und Studierende ihre Ausbildung beginnen werden. 23 Lernende und Studierende werden in Gesundheitsberufen anfangen, zwei im kaufmännischen Bereich. Von Mangel an Lehrlingen keine Spur.

Auch die 34-jährige Nicole Forster mit Wurzeln in Obermumpf strebte zuerst eine KV-Lehre an. «Ich erlebte damals, dass Lehrer und Berufsberater bei der Beratung von Mädchen eher typische Frauenberufe fokussierten», so die Gesamtprojektleiterin heute. Obwohl ihre Lieblingsfächer in der Schule Deutsch, Biologie, Physik und Geometrie waren, sei sie selber nicht auf die Idee gekommen, einen technischen Beruf ins Auge zu fassen. «Die KV-Lehre wählte ich, weil es mir gefallen hat, auf der Gemeinde zu arbeiten und weil ich mir das Gymnasium nicht zutraute.»

Nach der Lehre auf der Gemeindeverwaltung in Stein arbeitete sie zwei Jahre lang als Projektassistentin beim Unternehmen Willers Engineering AG in Rheinfelden und wurde ermutigt, eine dreijährige Ausbildung zur Haustechnikplanerin, Fachrichtung Lüftung, zu absolvieren. Nach einer Weiterbildung zur Brandschutzfachfrau SWISSI, einer Ausbildung zur Berufsbildnerin und einer weiteren Weiterbildung ist sie heute Projektleiterin Gebäudetechnik mit eidgenössischem Fachausweis, STFW. «Im Leben zählt es, das zu tun, was Freude macht. Egal, was andere sagen», rät Nicole Forster den Jugendlichen. «In unserer Gesellschaft gelten technische Berufe als abstrakt, unkreativ und eher für Männer geschaffen», schildert Nicole Forster. «Dabei sind sie durchaus kreativ und sehr abwechslungsreich, was den Arbeitsalltag betrifft. Man muss sie nur kennenlernen.» Die Ausbildung zur Gesamtprojektleiterin habe ihr vielfältige Berufsaussichten, sprich Aufstiegsmöglichkeiten ermöglicht.

Neugier und Offenheit bringen weiter
Wie die Ingenieure leidet auch die Baubranche unter weit verbreiteten Vorurteilen. «Es ist leider so, dass Bauberufe oft mit negativen Vorurteilen behaftet sind, obwohl die Zukunftsperspektiven höchst attraktiv sind», schildert Yvonne Gredig, Leiterin Marketing und Kommunikation der Laufenburger Erne AG. «Wir planen gezielte Massnahmen, um Jugendliche auf die Lehrstellen aufmerksam zu machen und setzen auf Förderung und Weiterbildung. Wir arbeiten mit einem modernen Maschinenpark. Neue Maschinen und technische Möglichkeiten verändern die Berufe und erleichtern die körperlich anstrengende Arbeit. Zudem können sich Maurer und Strassenbauer später auch weiterbilden und als Vorarbeiter oder Poliere arbeiten oder eine Karriere als Bauführer anstreben. Die Lehrstellensituation zeigt sich ähnlich wie in den Vorjahren. Wir konnten die meisten Lehrstellen besetzen. Zur Zeit ist noch eine Maurer-Lehrstelle in Laufenburg offen. Bewerbungen nehmen wir gerne entgegen», sagt Yvonne Gredig.

Was sollte in der Schule gefördert werden, um mehr junge Menschen für gewerbliche und technisch-industrielle Berufe zu interessieren? «Der Umgang mit den neuen digitalen Medien ist sicher etwas, was gelernt werden sollte», so Gredig. «Es ist aber sehr wichtig, dass das handwerkliche Geschick ebenso gefördert wird, da es Jugendliche gibt, die lieber draussen eine praktische Arbeit verrichten und später vielleicht einen handwerklichen Beruf ausüben.»

Gabriela Gerber, Leiterin Unternehmenskommunikation und Mitglied der Geschäftsleitung der Feldschlösschen Getränke AG, stellt fest, dass es grosse Unterschiede bei der Nachfrage nach Lehrstellen gibt. «Wir bilden 24 Lernende in verschiedenen Berufen aus. Bei Lehrstellen für kaufmännische Angestellte kommen oft schon Bewerbungen, bevor wir die Stelle ausschreiben und insgesamt bewerben sich sehr viele Jugendliche auf diese Stellen. Auch beliebt sind neue Berufsbilder wie Mediamatiker. Die Zahl der Bewerbungen ist ebenfalls hoch und unter anderem aber auch deshalb, weil es noch wenig Ausbildungsplätze gibt. Ein leicht anderes Bild zeigt sich bei den Lebensmitteltechnologen mit Fachrichtung Bier, also den angehenden Brauern. Es ist nach wie vor ein Nischenberuf, der immer noch nicht sehr bekannt ist. Zudem gibt es gewisse Anforderungen im Bereich der naturwissenschaftlichen Fächer.»

Schulleistungen und Benehmen in der Oberstufe
Yolanda Métrailler beobachtet, dass sich manche Schülerinnen und Schüler in der 7. und 8. Klasse noch zu wenig bewusst sind, wie entscheidend ihre schulischen Leistungen für eine Anschlusslösung nach der Schule sind. «Sie realisieren dann erst in der 9. Klasse, wenn sie Absagen erhalten oder den Schnitt für eine weiterführende Schule nicht haben, dass sie besser mehr gelernt hätten oder sich in der Schule hätten besser benehmen sollen.»

Für Alexandra Hämmerle, Leiterin Personalwesen der Schützen Rheinfelden AG, sind Anstandsregeln überhaupt ein wichtiger Faktor. «Wir merken während der Schnupperlehren sehr gut, wer aus einem guten Umfeld kommt und wer nicht», schildert sie. Im Moment sei noch eine Lehrstelle als Hotelfachfrau per Sommer 2018 zu vergeben. Diese sei im LENA ausgeschrieben.

Laut Simone Strub Larcher hat man mit der Lehrstellensuche noch Zeit. «Lehrverträge werden seitens des Kantons noch bis im August bewilligt und es ist zu erwarten, dass in den kommenden Wochen zahlreiche offene Lehrstellen noch besetzt werden können.»


Chancen einer Berufslehre

Nach der Analyse der Zürcher Soziologieprofessorin Dr. Katja Rost, erschienen in der «NZZ am Sonntag» vom 13. Mai 2018, hängt eine Topkarriere nicht nur von einem Studium an einer renommierten Universität ab. «Entgegen der verbreiteten Meinung hat nur jeder fünfte Schweizer Topmanager in St. Gallen, an den ETH oder in Zürich studiert», so Katja Rost. Ausschlaggebend sei vielmehr der Zugang zu den gesellschaftlichen Kreisen, in denen die Chefetagen der Schweiz verkehren. Dabei müsse man den verlangten Umgangston und die Umgangsformen kennen. Der Uniabschluss allein garantiert also keine Karriere.

Roger Erdin, Stadtschreiber von Rheinfelden hält die Arbeit und den Einfluss der Eltern und Lehrpersonen für zentral. «Eltern und Lehrpersonen sollten den Kindern mit auf den Weg geben, dass der Besuch eines Gymnasiums nicht der einzige Weg zum beruflichen Erfolg ist. Wer eine Berufslehre wählt, kann während oder nach der Lehre die Berufsmaturität absolvieren, die einen prüfungsfreien Zugang zur Fachhochschule erlaubt. Oder wer eine Berufslehre abgeschlossen hat, kann sich später ohne Matur berufsbegleitend in der Höheren Berufsbildung spezialisieren. Das duale Bildungssystem mit Ausbildungsort auf der einen Seite und der Berufsschule auf der anderen Seite ist vermutlich einer der grossen Erfolgsfaktoren der Schweiz, um den uns viele andere Länder beneiden. Dazu kommt, dass sich unser Aus- und Weiterbildungssystem durch seine hohe Durchlässigkeit auszeichnet. Es gibt verschiedene Wege in eine Ausbildung oder Schule ein- oder überzutreten oder eine Ausbildung nachzuholen», schildert Roger Erdin. (crw)


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