«Die Männer sollten einfach mal zuhören»

  08.03.2018 Persönlich

Interview zum Internationalen Frauentag

Noch ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nicht erreicht – dies erklärt Brigitte Rüedin. Die ehemalige SP-Stadträtin von Rheinfelden ist Mitglied des Vereins «Frauenrechte beider Basel» und OK-Mitglied von «Frauen und Politik Fricktal».

Valentin Zumsteg

NFZ: Frau Rüedin, heute ist Internationaler Frauentag. Braucht es einen solchen Tag?
Brigitte Rüedin:
Ja, unbedingt. Im Moment sowieso. Vergangene Woche hat die Mehrheit des Ständerats jegliche Pflichten zur Bekämpfung der Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen abgelehnt. Sie hat die Revision des Gleichstellungsgesetzes an die Kommission zurückgewiesen und damit auf die lange Bank geschoben. Das macht mich wütend – und viele andere Frauen auch. Dies zeigen zahlreiche Mails, die ich zu diesem Thema erhalten habe.

Begehen Sie persönlich den Frauentag?
Ja, ich gehe an die Frauendemo in Aarau. Ich werde dort für die Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes unter anderem in Form der Fachstelle für Familie und Gleichstellung und für Lohngleichheit demonstrieren. Das ist heute leider immer noch nötig.

Braucht es denn beim Lohn eine staatliche Regelung?
Es geht nicht anders. Irgendwann muss man die Lohngleichheit einfordern können. Deshalb ist es nötig, dass man überprüfen kann, wie die Löhne in grösseren Unternehmen verteilt sind. Das wollte die Vorlage, die der Ständerat zurückgewiesen hat.

Wie steht es heute aus Ihrer Sicht mit der Gleichberechtigung?
Wir sind in gewissen Bereichen sicher vorangekommen. Aber die in der Verfassung verankerte Gleichberechtigung von Frau und Mann ist noch nicht erreicht. Frauen verdienen bei gleicher Arbeit im Durchschnitt fast zehn Prozent weniger. Frauen sind in Führungspositionen krass untervertreten. Frauen sind Opfer von sexuellen Übergriffen. Wir leben immer noch in einer patriarchalen Gesellschaft. Die Anzeigen betreffend häuslicher Gewalt sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Ich bedaure es sehr, dass der Kanton Aargau aus Spargründen das Gleichberechtigungsbüro abgeschafft hat. Das war der Sache der Frau gar nicht förderlich. Aus meiner Sicht ist das ein klarer Rückschritt.

Haben Sie selber schon Nachteile erlebt, weil Sie eine Frau sind?
Ich bin in einem Dorf im Arbeitermilieu gross geworden. Ich war eine gute Schülerin, das hat Zuhause aber nicht viel gegolten. Meine Grossmutter meinte, ich solle keinen Beruf lernen, ich würde ja sowieso heiraten. Das Haushaltlehrjahr würde für mich reichen. Nur dank einem Lehrer, der sich für mich einsetzte, konnte ich die Kantonsschule besuchen. Das ist zum Glück alles lange her. Aber auch heute noch ist es für Frauen viel schwieriger, sich beruflich und politisch durchzusetzen. Sie werden übergangen oder nicht ernst genommen. Man hört ihnen weniger zu als Männern. Das habe ich an vielen Sitzungen selber erlebt.

Es gibt aber auch junge Frauen, die sagen, dass die Gleichberechtigung umgesetzt ist; dass sie alles erreichen können.
Ja, das stimmt in der Wahrnehmung von jungen Frauen, die noch in der Ausbildung sind. Später aber holt viele von ihnen die Realität ein, wenn es um die Vereinbarung von Familie und Beruf geht. Da sind wir noch weit entfernt von einer Gleichberechtigung.

Braucht es eine Frauenquote für Führungspositionen in Firmen?
Ja. Erfahrungen zeigen, dass dies etwas bringt. Natürlich will niemand eine Quotenfrau oder ein Quotenmann sein. Doch wenn es nicht anders geht, dann ist das ein gutes Mittel.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Mann und Frau allgemein?
Es ist sicher ausgeglichener als früher. Männer und Frauen begegnen sich heute eher auf Augenhöhe. Aus meiner Tätigkeit im Sozialbereich weiss ich aber, dass dies nicht überall so ist. Gerade Migranten aus Gesellschaften mit anderen Wertvorstellungen haben noch Probleme damit. Hier braucht es Aufklärung und auch Hilfe. Entsprechende Programme gibt es, aber sie kosten etwas und müssen auch angenommen werden.

Für die Zukunft: Was wünschen Sie sich von den Männern?
Sie sollten einfach einmal in Ruhe den Frauen zuhören. So kann man Empathie entwickeln und erfährt, welche Bedürfnisse Frauen haben.

Und was wünschen Sie sich von den Frauen?
Ich wünsche mir, dass die Frauen ihre Rechte einfordern und dabei nicht aufgeben. Ich bin überzeugt, davon profitiert die Gesellschaft als Ganzes.


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