«Trotz Online-Handel gehen die Leute gerne in die Geschäfte»

  27.12.2017 Gewerbe, Frick

Ein Detailhandelsfachmann über das veränderte Konsumverhalten

Thomas Bretscher ist Detailhandelsexperte. Er berät derzeit die Rheinfelder Detaillistenorganisation «Pro Altstadt». Im Interview erklärt er, was wichtig ist, um am Markt bestehen zu können.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Bretscher, wo haben Sie in diesem Jahr Ihre Weihnachtsgeschenke eingekauft?

Thomas Bretscher: Ich habe alle Geschenke im Laden gekauft, kein einziges online. Das heisst aber nicht, dass ich nie etwas online bestelle.

Was ist Ihnen beim Einkaufen wichtig?
Ich gehe gezielt in einen Laden und weiss, was ich brauche. Wichtig sind mir das Produkt, die Bedienung und das Umfeld. Das heisst, der Laden muss gut erreichbar sein. Ich möchte keine Zeit verschwenden und ich freue mich, wenn der Verkäufer nach dem zweiten Mal meinen Namen kennt.

Wie hat sich das Konsumverhalten der Bürger in den letzten Jahren verändert?
Das Internet und die Smartphones haben das Konsumverhalten grundlegend verändert. Die meisten Leute informieren sich vor einer grösseren Anschaffung im Netz über die Produkte und die Preise. Es kann passieren, dass der Käufer mehr über ein Produkt weiss als der Verkäufer. Auf der anderen Seite spricht der stationäre Handel die Sinne an. Das ist wichtiger geworden. Ich finde es schön, wenn man im Lebensmittelladen ein Stück Käse probieren kann. Die Geschäfte müssen das ausbauen. Das Internet kann das heute noch nicht bieten.

Welche Bedeutung hat das Weihnachtsgeschäft für den Handel?

Eine riesige. Das Geld wird mit dem Weihnachtsgeschäft verdient. Die letzten drei Monate des Jahres sind entscheidend. Wobei es natürlich Unterschiede je nach Branche gibt. Spielwarengeschäfte machen im November und Dezember rund 60 bis 70 Prozent des Jahresumsatzes. An Weihnachten geben die Menschen mehr Geld aus.

Und wie wichtig sind die Tage nach Weihnachten?
Genau gleich wichtig, aber sie haben eine andere Bedeutung. Obwohl der Ausverkauf häufig schon früher beginnt, sind nach Weihnachten sehr viele Leute in den Geschäften.

Wie ist aktuell die Konsumentenstimmung?
Ich glaube, die Stimmung ist positiv. Das ist jetzt aber auch nötig. Ich höre, dass die Umsätze gut sind und es viele Leute in den Läden hat. Trotz Online-Handel gehen die Leute also noch gerne in die Geschäfte. Das ist ja auch ein soziales Erlebnis.


Wie kaufen wir in zehn Jahren ein? Der Detailhandelsfachmann Thomas Bretscher über Amazon, die Macht der Kunden und die kleinen Geschäfte im Fricktal.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Bretscher, der Detailhandel im Fricktal ist unter Druck. Der Einkaufstourismus und das Internet machen sich bemerkbar. Haben kleine Geschäfte an der Grenze überhaupt eine Überlebenschance?
Thomas Bretscher:
Ja, sie haben eine Chance. Und das ist auch wichtig. Man stelle sich zum Beispiel das Rheinfelder Städtchen ohne Geschäfte vor. Das wäre furchtbar. Die Läden und die Restaurants bringen die Frequenz. Um als Ladenbesitzer erfolgreich zu sein, muss man eine Verbindung schaffen zwischen rationalem Einkaufen und den Emotionen. Es braucht dazu Ideen, Innovation und Zusammenarbeit. Es geht nicht, dass die Läden in einem Städtchen oder einer Gemeinde unterschiedliche Öffnungszeiten haben. Das verstehen die Konsumenten wirklich nicht.

Rheinfelden hat sich dieses Jahr unter dem Motto «Wiehnachtsstädtli» präsentiert und ein Weihnachtsmagazin herausgegeben. Hat das aus Ihrer Sicht funktioniert?
Ja, das ist vorbildlich. Es hat aber nur funktioniert, weil man gemeinsam etwas auf die Beine gestellt hat und sich alle anstrengten. Das Feedback ist sehr positiv. Ich höre, dass auch mehr Leute kommen. Man muss Rheinfelden als Erlebnis verkaufen.

Welche nächsten Schritte planen Sie in Rheinfelden zusammen mit «Pro Altstadt» für das Jahr 2018?
Wir haben kürzlich ein Strategiepapier mit über 20 Massnahmen verabschiedet. Genaueres darf ich heute noch nicht verraten. Ich kann aber sagen, dass es hervorragend gelaufen ist. Wir werden unsere Pläne nächstes Jahr bekannt geben. Wir können darauf stolz sein. Es wird Rheinfelden voranbringen, davon bin ich überzeugt.

Sie haben nicht nur in Rheinfelden ein Mandat, sondern auch in Liestal. Gibt es da keine Konkurrenz?
Nein, ich sehe da keine Konkurrenz. Die beiden Städte haben eine unterschiedliche Geschichte und DNA, aber die gleiche Situation. Es wäre doch toll, wenn man sogar zusammenarbeiten und sich über gemachte Erfahrungen austauschen würde.

Reden wir noch von einer anderen Fricktaler Gemeinde: In Laufenburg gibt es kaum mehr Geschäfte in der Altstadt. Was könnte man tun, um dieses Städtchen zu beleben?
Es gibt sicher Städte, die es weniger einfach haben. Laufenburg gehört wohl dazu. Ich möchte aber betonen, dass es immer eine Chance gibt. Aufgeben gilt nicht. Die Verantwortlichen müssen sich überlegen, für was Laufenburg stehen könnte. Was macht das Städtchen einmalig? Vielleicht könnte es eine Kunststadt werden oder ein anderes Thema kann die Stadt begleiten. Man muss aber dafür etwas unternehmen. In Laufenburg muss etwas laufen.

Die Gemeinde Laufenburg will sanierungsbedürftige Altstadtliegenschaften kaufen und renovieren. Was halten Sie davon?
Die Frage ist immer, ob die Gemeinde Besitzerin von Liegenschaften werden soll. Das ist aber ein politischer Entscheid. Wichtig ist, dass das Stadtbild gepflegt und entwickelt wird. Wenn dies sonst nicht geschieht, ist es vielleicht nicht falsch, wenn die Stadt hier aktiv wird.

Anderes Thema: Muss heute jedes kleine Geschäft einen Online-Shop anbieten?

Nein, das wäre ein falscher Ansatz. Damit ein Online-Shop rentiert, braucht es relativ viel Umsatz. Zwingend ist aber, dass jedes Geschäft und jedes Restaurant eine Webseite hat. Ohne geht es heute nicht mehr. Und eine solche Seite muss aktuell sein. Sie ist wie eine Visitenkarte für das Geschäft. Man soll sie nutzen, um mit den Kunden und potentiellen Kunden zu kommunizieren.

Hat sich die Rolle des Kunden verändert?
Ja, das hat sie auf jeden Fall. Der Kunde hat heute eine riesige Auswahl, weltweit. Dadurch ist er mächtiger geworden und ungeduldiger. Er braucht seine Zeit für anderes. Der Konsument ist der, der bestimmt. Deshalb ist es für die Ladeninhaber zwingend, dass sie auf ihre Kunden hören.

Welche Chance hat der lokale Detailhandel gegen grosse Internet-Anbieter wie Amazon & Co.?
Amazon und Alibaba sind Tatsachen. Man kann sie nicht negieren. Ich bin überzeugt, dass der Online-Handel erst am Anfang steht. Heute hat er in der Schweiz einen Marktanteil von rund sechs Prozent. In anderen Ländern liegt er bereits bei 15 Prozent. Es wird also noch vieles auf uns zukommen. Die junge Generation bestellt fast nur online. Der stationäre Handel hat aber seine Chance. Ein Erlebnis kann der Internet-Handel nicht bieten. Dazu braucht es Gastfreundschaft, die Leute müssen sich willkommen fühlen. Sie müssen Parkplätze finden und vom ersten bis zum letzten Laden Freundlichkeit spüren. Wir müssen uns bewusst sein, dass Gastfreundschaft zentral ist. Produkte und Dienstleistungen können kopiert werden, Gastfreundschaft aber nicht. Das muss gelebt werden. Bedienen kommt auch von dienen – anderen etwas Gutes tun. Das sollte auch gesellschaftlich besser gewürdigt werden.

Kürzlich war zu lesen, dass der Internethändler Amazon in Deutschland Läden eröffnen will. Rechnen Sie damit, dass dieser US-Handelsgigant auch mit eigenen Geschäften in die Schweiz kommt?
Ja, der kommt sicher. In deutschen Grossstädten gibt es heute bereits Amazon Fresh. Der liefert Lebensmittel nach Hause. Aber nicht nur das, er hat bereits Lösungen, wie er die Lebensmittel in den Kühlschrank bringt. Er nimmt uns also alles ab. Der nächste Schritt wird ein Laden sein, in dem die Leute reingehen und die Waren nehmen und wieder rauslaufen. Bezahlt wird automatisch über das Smartphone. Man muss also nicht mehr an einer Kasse anstehen oder selber scannen. Das übernimmt alles die Technik. Ich glaube, das wird einen grossen Einfluss haben auf den Beruf des Verkäufers und andere Berufsfelder. Heute gibt es in der Schweiz 370 000 Stellen im Verkauf, jeder achte Lehrling wird in dieser Branche ausgebildet. Das darf man nicht unterschätzen.

Der Handel ist in einem stetigen Wandel, das ist nichts Neues. Stehen wir jetzt mit dem Online-Geschäft vor einem grundsätzlichen Umbruch?
Wir wissen noch gar nicht, was alles auf uns zukommen wird. Vor ein paar Jahren dachten wir, dass man Möbel nicht online bestellen kann. Heute ist das gang und gäbe. Am 11. November war in China der Single Day. Der chinesische Online-Händler Alibaba hat an diesem einen Tag einen Umsatz von 25 Milliarden Franken erwirtschaftet. Über 60 Millionen Päckchen wurden verschickt. In Deutschland hat Amazon für das Weihnachtsgeschäft 15 000 Aushilfskräfte gesucht. Es gibt riesige Umwälzungen und sie kommen schnell.

Wie kaufen wir in zehn Jahren ein?
Vor allem online – aber weiterhin auch stationär. Es reicht aber nicht mehr, dass man in seinem Laden die Produkte anbietet. Es braucht deutlich mehr. Gewisse Läden wird es nicht mehr geben, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Beim CD- und DVD-Handel ist es sehr schnell gegangen. Es wird sicher nicht mehr so sein wie heute. Auch die Mobilität dürfte sich grundlegend verändern. Brauchen wir noch Benzin- und Diesel-Tankstellen? Ich weiss es nicht. Vielleicht gibt es auch keine Smartphones mehr, sondern andere Geräte oder nur noch Chips unter der Haut.

So gesehen leben wir also in sehr spannenden Zeiten. Wie sehen Sie das?
Genau, wir haben heute so viele Möglichkeiten wie kaum je zuvor. Es hängt immer davon ab, wie wir damit umgehen. Ich bin dafür, dass wir die positiven Seiten sehen und die Chancen nutzen. Wer sich vor der Zukunft ängstigt, hat Probleme und wird verlieren. Man kann sich dem Wandel nicht entziehen. Entweder man macht ihn mit oder man wird überrollt. Dies gilt besonders im Detailhandel. Für Unternehmer ist heute Agilität und «Changefähigkeit» wichtiger als Produktekenntnis. Wer erfolgreich sein und bleiben will, muss sich schon heute mit dem Morgen beschäftigen. Abwarten ist keine gute Taktik.

Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Gibt es eigentlich das Januarloch tatsächlich?
Aus dem Loch ist ein Löchlein geworden. Der Januar ist kein schlechter Monat für den Handel. Der Ausverkauf bringt viele Leute und viel Umsatz. Der Februar ist viel schwächer als der Januar.


Den Handel im Blut
Thomas Bretscher ist seit über 30 Jahren im Handel tätig. Er ist heute Inhaber der Firma «Retail Impulse», die Unternehmen und Organisationen begleitet und berät. In Rheinfelden hat er derzeit ein Mandat bei der Detaillistenorganisation «Pro Altstadt». Ziel ist eine weitere Belebung des Städtchens. Der 53-Jährige lebt mit seiner Familie in Oberwil (BL). (vzu)


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