Der Mann, den Harley-Davidson kopierte

  02.09.2017 Densbüren, Persönlich, Oberes Fricktal, Porträt

Von Remo Welte

Es ist sein Lebenswerk: Die Moto Senn AG in Densbüren. Dort, wo er beinahe 40 Jahre Geschäftsführer war. Dort, wo er vor wenigen Tagen seinen letzten offiziellen Arbeitstag hatte. Und doch trifft man ihn auch heute noch genau dort an. Logischerweise. «Nach so vielen Jahren kann man nicht einfach aufhören», sagt Walter Senn, 64, in seinem Büro, von welchem man in die Lagerhalle sehen kann. Ein Dutzend Harleys stehen dort.

Mit Zwölf der erste Chopper

Sein Erfolg zeichnete sich früh ab: «Mit Zwölf habe ich meinen ersten Chopper zusammengebaut», erinnert sich Senn. Ein Freund seines Vaters sei jeweils mit dem Harley und einem Seitenwagen bei ihnen zu Hause vorbeigekommen: «Da bestanden wir Kinder oftmals drauf, dass wir eine Runde auf dem Hausplatz mitfahren dürfen». Dort sieht Senn den Ursprung für seine Begeisterung für Harleys. Aufgewachsen ist Senn bis zur 1. Klasse in Hunzenschwil. Danach folgte der Umzug nach Densbüren. Gelernt hat der Motorradfan Werkzeugmacher, währenddem er in seiner Freizeit stets an Zweirädern getüftelt hat. Direkt nach der Lehre arbeitete er bei seinem Bruder im Werkzeugbau. Sie bauten aus dem Elternhaus eine Werkstatt. Für seine Choppers konnte er so die nötigen Einzelteile gleich selbst herstellen.

Ästhetik einen Wert geben

Nach kurzer Zeit beim Bruder spaltete sich die Motorrad-Garage vom Werkzeugbau ab. Zu Beginn vertrat Moto Senn diverse Marken. Die Vertretung übernahm ein Freund von Senn, der sich mit anderen Motorrädern besser auskannte. Während dieser Zeit legte Senn den ersten grossen Meilenstein: Er hatte eine erste Serie von typengeprüften Choppers hergestellt. Zehn Stück der Senn-Choppers «S75C» waren erhältlich. Speziell bei Senn war, dass er nicht nur auf den Nutzen der Motorräder Acht gab, sondern vor allem auch auf das Ästhetische. «Etwas am Motorrad zu machen, damit es schöner aussieht, das gab es früher nicht. Es musste immer einen Nutzen haben», erklärt Senn. Mit seinem Angebot von einzelangefertigten Choppers hatte Senn eine Marktlücke gefunden.

Schicksalsjahr 1981

1978 wurde Moto Senn offizieller Harley-Davidson-Vertreter. «Es war naheliegend, Harley-Vertreter zu werden.  Wir brauchten viel von ihnen, zudem war ich selbst schon immer Harley-Davidson-Fan.» Das wohl turbulenteste und wichtigste Jahr sollte aber noch kommen: 1981 hatte Moto-Senn seine ersten Choppers mit Harley-Motoren typengeprüft, ausserdem waren diese in Deutschland TÜV-geprüft, womit ein neuer Markt entstand. Ein Fehler der Behörden hätte trotzdem beinahe zur Schliessung der gesamten Motorrad-Abteilung geführt. Denn der Harley-Chopper, der mit einer sogenannten Mischbereifung gebaut war – also hinten ein Autoreifen, vorne ein Motorradreifen – sorgte für Diskussionen. Jemand baute mit einer solchen Bereifung einen Unfall, da kam die Polizei rasch auf Senn zu. «Ich sagte der Polizei, dass alles typengeprüft sei und bisher keine Probleme auftauchten», erzählt Senn. In Bern hiess es, ein Fehler sei unterlaufen. Die Behörden baten Senn um ein erneutes Gesuch, um alles klarzustellen. Dieses wurde, entgegen den Vereinbarungen, aber abgelehnt. «Ich habe das aus Leichtsinn gemacht, prompt wurde es abgelehnt. Unglaublich», enerviert sich Senn noch heute. Die Behörden verhängten eine Sperrkarte, womit er per sofort keine Motorräder mehr verkaufen durften. «Das wäre der Todesstoss gewesen». So nahm sich Senn einen Anwalt, welcher die Behörden in Millionenhöhe verklagte. Nach diversen Tests kam das heraus, was Senn den Behörden schon lange klar machen wollte: «Alles war in Ordnung, die Sperrkarte wurde aufgehoben».

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Sprunghafte Wandlung

Während in den folgenden Jahren diverse amerikanische und englische Motorrad- wie auch Automarken zu Grunde gingen, schaffte es Harley-Davidson, mit den Innovationen der japanischen Marken mitzuziehen. «Ich hätte damals alles dagegen gewettet, dass Harley mal so gross wird», sagt Senn. «Sie hatten ein Monopol, bis die Japaner kamen und es besser machten», fügt er an. All diese Schwankungen hatten auf seine Einzelanfertigungen aber keine Auswirkungen: «Meine Choppers waren ohne Konkurrenz. Grossen Harley-Fans war es das über all die Jahre immer wert.»

Harley-Davidson kopierte bei Senn

«Harleys werden zu 80 Prozent wegen der Optik gekauft, der Rest wegen dem Namen. Das Ziel der meisten Motorradfahrer ist es, mal eine Harley zu besitzen», so Senn. So kam es auch schon mal vor, dass jemand 30 000 Franken für ein solches Motorrad ausgab, um dieses gleich von Senn umbauen zu lassen. «Ein grosser Umbau konnte dann durchaus nochmal 40 000 Franken kosten», erklärt Senn das Erfolgsmodell. Spezielles spielte sich 1990 ab: Harley bringt den «Fat Boy» raus. «Wir hatten Jahre zuvor ein identisches Modell entwickelt», erinnert sich Senn. «1988 mussten wir die Produktion aufgrund erhöhter Abgas- und Lärmvorschriften einstellen», erzählt er weiter. «Wir waren damals öfter in Zeitschriften, wahrscheinlich hatten sie ihn von dort».

Pseudo-Pension

Die Geschäftsleitung hat Senn 2012 an Piit Volgger abgegeben. Seit 2015 heisst die Moto Senn AG «Harley-Davidson Aargau». Nun, seit drei Wochen, ist Walter «Wädi» Senn offiziell pensioniert. Er wird aber weiterhin im Geschäft anzutreffen sein. Zudem wird er ab nächstem Jahr wieder bei den Oldtimer-Motocross-Meisterschaften dabei sein. Er hat bereits zwei Europameisterschaften in verschiedenen Altersklassen gewonnen. «Mein Ziel ist es, in jeder Altersklasse Europameister zu werden», blickt Senn in die Zukunft. Und seinem ganz grossen Hobby kann er auch von zu Hause aus weiterhin nachgehen. Er hat sich in Asp eine Werkstatt gekauft und restauriert dort alte Autos und Motorräder. Gleich nebenan war noch ein altes Wohnhaus: «Wir wollten es zu Beginn nicht, haben uns dann aber anders entschieden und das Wohnhaus umgebaut», erzählt Senn mit strahlenden Augen. In dem Haus wohnt er gemeinsam mit seiner Frau, seine drei Kinder sind bereits von zu Hause ausgezogen. Zum Schluss erzählt Senn von seinen Plänen mit den vielen Oldtimers: «Ich möchte gerne noch ein Museum eröffnen». Er habe um die 30 Motorräder, dazu kommen diverse Autos und viel zu lesen: Artikel oder ganze Zeitschriften über ihn und seine Werke oder gar der Bericht der Behörden von 1981. Es wäre eine passende Ergänzung zu seinem Lebenswerk. Denn eines ist klar: Das, was Senn erlebt und geleistet hat, ist mit Worten alleine nicht zu beschreiben.


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