Als wäre es in dieser Nacht nie dunkel geworden

  04.11.2016 Frick, Kultur, Kunst, Oberes Fricktal

von Ronny Wittenwiler

Es ist Freitagnacht, 0.30 Uhr, als der NFZ-Redaktor ins Freie tritt und hinter ihm die Tür ins Schloss fällt. Der Nebel hat die Nacht fest im Griff und von drinnen her klingt noch immer Musik aus der Werkstatt. Dort, wo vor wenigen Augenblicken das Quartett von «SanySaidap» geprobt hatte, ist es soeben zu einer Szene gekommen, die vielleicht am besten erklärt, worum es in dieser Geschichte geht.

 

Eins werden mit der Musik

Am Anfang stand eine Idee. Probenbesuch einer Band, die in kein Muster so richtig passen will. «SanySaidap.» Das sind drei Männer, eine Frau. «SanySaidap», das ist akustisch vorgetragene Lebensfreude, das ist beim Zuhören aber auch ein Hin und Her zwischen Bewunderung und Ergriffenheit und manchmal, ja, manchmal könnt’ man beinahe ein bisschen neidisch werden, mit welch musikalischem Talent manche Menschen doch gesegnet sind.

Es ist 20 Uhr. Der Musikladen von Vanja Van Rooy, gleichzeitig Instrumentenwerkstatt, wird jetzt zum Probelokal. Ein paar Takte, schon öffnet sich die Tür in eine andere Welt, eine Welt, weit weg von diesem Fricker Gewerbegebiet mit Autobahnanschluss, immer wieder schliesst Alice Uehlinger ihre Augen, scheint eins zu werden mit ihrer Geige. Man hört ergriffen zu, wird eins mit dieser Art von Musik. Pascal Schwarb am Akkordeon. Simon Erhard am Kontrabass. Vanja Van Rooy mit Gitarre. Mal greift er zur Mandoline, mal zur Ukulele, wieder zur Gitarre und dann plötzlich, als wähnte man sich direkt auf einem irischen Volksfest, greift er zum gefüllten Gläschen: «Travarica!» Na dann, Prost, es wird Zeit, mal genauer über die Ingredienzen zu sprechen.

Ihre Musik ist wie edler Weinbrand, erst auserwählte Extrakte wohl dosiert machen den Unterschied. Als «Folk’n’Roll» bezeichnen sie ihre Musik. Traditionelle irische Volksmusik, amerikanischer Folk, jazzige Elemente ebenso gehören dazu, oder auch Cajun, die traditionelle Musik frankophoner Einwanderer im Bundesstaat Louisiana.

Es sind akustische Reisen, die selten geradeaus führen. «Unsere eher untypische Instrumentierung ist sicher eine Eigenheit», sagt Pascal Schwarb, «gerade auch darum sind wir nicht einfach eine Band mit einem einzig klar erkennbarem Genre. Wir sind weder eine typisch irische Band, noch sind wir eine typische Swing- oder Jazzband.» Er kippt seinen Travarica auf Ex und sagt: «Eigentlich haben wir gar keinen Stil.» Allgemeines Gelächter ob dieser Doppeldeutigkeit. Weiter im Takt, eins, zwei, drei, vier, und schon fiedeln sie wieder drauflos, ein Lied nach dem anderen, «es fägt» ziemlich, es ist mittlerweile 22 Uhr und man bekommt bestätigt, was Simon Erhard gerade zu Protokoll gegeben hatte: «Wir verbringen so viele Stunden miteinander, investieren mehr als ‹einfach ein bisschen Probezeit›. Es ist ein wenig wie Familie.» In der Tat: Wie sie sich begrüssen, diese unverblümte Vorfreude miteinander musizieren zu dürfen, dieses Strahlen im Gesicht von Vanja Van Rooy, wenn er zur Gitarre greift und die anderen anblickt, er, mit seinem Verrückter-Professor-Antlitz. Wer Musik zum Lebensgefühl deklariert, tanzt vielleicht sowieso manchmal ausserhalb der Zone, die andere als Norm bezeichnen. «Wir opfern unsere meiste freie Zeit in dieses Projekt», sagt Alice Uehlinger, und lächelt dabei: «Irgendwie sind wir halt schon ein bisschen ‹pickti Cheibe›».

 

Wie eine Erleuchtung

Es wird viel gelacht. Es wird philosophiert; darüber, was ihnen Musik bedeutet, was sie dazu bewegt, am Ende eines langen Tages anzureisen, aus Zürich, aus Bern von der Arbeit, um hier in dieser Werkstatt gemeinsam zu üben. Die Antwort liegt in der Luft, mit jedem weiteren Stück, das sie spielen.

 

Nach einem zweiten Travarica, es ist kurz vor Mitternacht, steht Simon Erhard auf, er verlässt den Raum und geht den langen Gang dieser Gewerbehalle entlang. Er hört jemanden singen, fernöstlicher Touch, auch hier wird viel gelacht. «Kommt doch zu uns rüber, wir feiern ein bisschen», wird Erhard zu den fünf jungen Frauen und Männer türkischer Herkunft sagen, die nebenan eingemietet sind. Minuten später stehen sie in Van Rooys Werkstatt, dem Kroaten mit niederländischem Namen, das Probelokal wird zum Schmelztiegel verschiedener Kulturen, die jetzt alle miteinander spontan musizieren. Diese Szene ist wie eine Erleuchtung. Wie eine Antwort auf das Weshalb. Alice Uehlinger, Pascal Schwarb, Vanja Van Rooy und Simon Erhard teilen eine Leidenschaft, die Menschen über alle Grenzen hinweg verbindet. Die Liebe zur Musik. Freitagnacht, 0.30 Uhr. Die Tür fällt hinter mir ins Schloss. Nebel hat die Nacht fest umschlungen und von drinnen klingt noch immer Musik aus der Werkstatt. Sie spielen einfach weiter. Es ist, als wäre es in dieser Nacht nie dunkel geworden. Darauf einen Travarica!

 

www.sanysaidap.ch

 

 

 

Ein grosser Moment

Vanja Van Rooy lebt seit Jahrzehnten im Fricktal, er wohnt in Gipf-Oberfrick. Pascal Schwarb ist in Kaisten aufgewachsen, Alice Uehlinger in Wittnau, die beiden leben zusammen in Zürich. Simon Erhard ist ursprünglich aus Laufenburg, er wohnt in Möhlin. Am Samstag, 5. November, ab 19 Uhr, feiert «SanySaidap» CD-Taufe im A3 Music Park (Industriestrasse 15) mit einem Konzert. Der Eintritt ist frei. Der Name des produzierten Albums trägt denselben Namen wie ein kroatischer Kräuterschnaps: Travarica…(rw)

 

 

 


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