«Die Schule leistete Pionierarbeit»
24.02.2024 UekenDer Duft von frischen Backwaren und Kaffee erfüllt die Luft. Die ersten Gäste haben ihren Platz bereits gefunden und bald schon kommen die ersten Gespräche in Gang. Was in diesen keinen Platz einnimmt: im Café Cholm in Ueken wird nicht über andere Menschen ...
Der Duft von frischen Backwaren und Kaffee erfüllt die Luft. Die ersten Gäste haben ihren Platz bereits gefunden und bald schon kommen die ersten Gespräche in Gang. Was in diesen keinen Platz einnimmt: im Café Cholm in Ueken wird nicht über andere Menschen «gschwätzt», erzählen zwei regelmässige Besucher im Gespräch mit der NFZ.
Bernadette Zaniolo
Während sich draussen der Nebel langsam lichtet und die ersten Sonnenstrahlen vage durchdringen, fällt drinnen im Ueker Treffpunkt, dem Café Cholm, die behagliche Einrichtung auf. Man fühlt sich wie in einer Stube. Ich setze mich aufs Bänkli mit den Kissen. Adrian Hüsser, einer meiner Gesprächspartner, wartet bereits im Café. Kurz darauf trifft auch Regula Lutz ein und gesellt sich dazu. Der selbständige Treuhänder und die Lehrerin kennen sich. Sie sind regelmässig hier. «Manchmal nur zehn Minuten und manchmal bis zu zwei Stunden. Das kommt ganz auf die Situation an», erzählt Regula Lutz. Und lacht. «Ich wollte mehrklassig unterrichten», sagt sie angesprochen auf den Wohnortwechsel.
Im Jahr 2000 kam sie von Rothrist nach Ueken, beziehungsweise wohnt sie in Herznach. Dort hat auch Adrian Hüsser die ersten elf Lebensjahre verbracht. Seine Mutter sei eine Uekerin und sein Vater ein Herznacher gewesen. Seit 1977 wohnt Hüsser im Ortsteil Ueken, der per 1. Januar 2023 fusionierten Gemeinde Herznach-Ueken. Hüsser und Lutz sind sich einig: die Fusion merkt man im Alltag nicht; es macht keinen Unterschied. Was sie jedoch spüren, ist, dass der Verkehr in den letzten zehn Jahren «massiv» zugenommen hat. «Das ist der einzige Minuspunkt», sagen sie unisono. Das hat mit der steigenden Zahl der Autos und LKW’s zu tun. Doch im weiteren Gespräch kommt noch mehr dazu.
Während Sandra Winter, die das Café Cholm seit elf Jahren führt, die bestellten Kaffees und Gipfelis auf den Tisch stellt, nimmt am anderen Tisch Walter Plattner Platz. Schnell wird über die Tische hinweg geredet und gelacht. Plattner scheint für sein Reparier-Flair und seine Reparier-Kompetenz bekannt zu sein. Obwohl er kein scheuer Mensch ist, will er zunächst nicht aufs Bild. Stattdessen erzählt er eine Anekdote aus dem «Dreiländereck» um den Kornberg. Später setzt sich auch der Ueker Alt-Gemeindeammann Stefan Bühler an den Tisch nebenan.
Der Gesprächsf luss ist voll im Gang. «Es wird nicht über andere Menschen, geschwätzt», verrät Regula Lutz eine der nicht niedergeschriebenen, jedoch praktizierten «Regeln». Sie ergänzt: «Man kommt mit unterschiedlichen Menschen in Kontakt. Sandra ist so eine gute Gastgeberin. Hier herrscht eine vertraute Atmosphäre.» Die Gastgeberin ist sichtlich gerührt von diesem Kompliment. Im selben Moment strömt wieder ein feiner Duft von Backwaren an unseren Tisch. Sandra Winter hat kurz zuvor ein Blech aus dem Ofen der kleinen, offenen Küche genommen.
Das ehemalige Restaurant und die WM-Beiz
Die Küche, beziehungsweise die Türen des Restaurants Sonne, welches sich ein paar Meter weiter befand, sind schon seit Jahren geschlossen. Obwohl es auch schon länger her ist, erinnern sich Regula Lutz und Adrian Hüsser gut und gerne an die Zeit, als Martin Deiss und die Kulturkommission neben der ehemaligen «Sonne» in der Schmiedstube eine Bar initierte und mit der WM- und EM-Beiz sowie weiteren Veranstaltungen das Dorf leben in Schwung hielt. Man spürt es noch: es fegte.
Freundschaften und Anerkennung
Regula Lutz und Adrian Hüsser sind sich einig: «Die Schule in Ueken war innovativ.» Sie gehörte im Kanton zu den ersten, die einen Mittagstisch lancierte. «Die Schule machte auch mit bei Einführung des schulfreien Samstags. Das war ein Pilotprojekt», verrät Adrian Hüsser. Es lief sehr viel über die Schule, auch Feste. Regula Lutz, die früher in Ueken die erste bis dritte Klasse unterrichtete und heute im Schulheim Effingen tätig ist, erinnert sich aber auch daran, dass die Einführung von Tagesstrukturen nicht bei allen Uekern auf Gegenliebe stiess. Und: «Freundschaften und Anerkennung muss man sich verdienen.» Das hat die Mutter von drei Buben im Alter von 17, 15 und 7 Jahren definitiv geschafft. Sie ist, wie man so sagt, «integriert». Nicht nur in Ueken. Eine Zeit lang hat sie Volleyball bei Smash 05 Laufenburg-Kaisten sowie in Möhlin gespielt; ihre Söhne betreiben Leistungssport.
«Das ist schon der Unterschied von Herznach und Ueken», bringen es Hüsser und Lutz auf den Punkt. «Herznach hat noch alles; Postagentur, Laden, Schule und Restaurant», hält Lutz fest. Der Volg beziehungsweise der spätere «Treffpunkt»- Laden in Ueken hat vor rund drei Jahren geschlossen. Beschult werden in Ueken zurzeit die 5. und 6. Klasse; die erste und zweite Klasse sowie der Kindergarten werden in beiden Ortsteilen geführt. Es ist kurz nach 9.30 Uhr, als drei Frauen mit Kindern ins Café neben dem ehemaligen Laden kommen. Immer wieder betreten Menschen den Uekener Treffpunkt.
Apropos Treffpunkt: gibt es noch andere im Ortsteil Ueken? Adrian Hüsser winkt ab. «Die Kapelle und der danebenliegende Sitzplatz mit Brunnen sind schön, aber der Ort ist kein Treffpunkt.» Sie ist auch nur auf Anfrage offen. Es finden dort nur noch selten Anlässe statt. Wer mehr über die Besonderheiten und Sehenswürdigkeiten der Kapelle wissen möchte – so der Verweis von Adrian Hüsser – könne sich an seinen Bruder Linus, den Historiker, wenden. Und dann erzählt Adrian Hüsser plötzlich von einem Geheimnis oder viel mehr von einem Versprechen. Vor seiner Prüfung zum Buchhalter mit eidg. Fachausweis habe er spasseshalber zu David Wälchli gesagt: «Wenn ich die Prüfung bestehe, komme ich an die Hornusser Fusswallfahrt nach Todtmoos. Ein Mann, ein Wort. Ich bestand die Prüfung und habe seit 2002 – ausser dem Coronajahr 2020 – immer teilgenommen.» Er lacht. Und macht neugierig. So will nicht nur Regula Lutz wissen, wieviele Kilometer lang die Fusswallfahrt von Hornussen nach Todtmoos ist (es sind zirka 40 Kilometer) und wie das genau abläuft. 21 Mal ist Adrian Hüsser schon mitgelaufen und er marschiert jeweils frühmorgens schon von Ueken zur Kirche in Hornussen (zirka zwei Kilometer). Das Versprechen von Adrian Hüsser an David Wälchli zur Teilnahme an der traditionellen Fusswallfahrt quittiert Regula Lutz mit einem Augenzwinkern und der Bemerkung: «Seine Kinder hatte ich in der Schule.»
Als wir in Gedanken nach einem möglichen weiteren Treffpunkt in Ueken suchen, fragt Hüsser bei Alt-Gemeindeammann Bühler nach: «Wie sagst Du den Glasscheiben an der Kapelle?» «Butzenscheiben», so Bühler. Und er verrät gleichzeitig, dass es oben beim Weiher einen Holzschopf mit Feuerstelle gebe. «Im Sommer wird er oft benutzt», weiss Bühler und erzählt, dass sich dort eine Liste befindet, auf welcher man das Nutzungsdatum eintragen könne. Der Holzschopf und die Feuer stelle würden vom Forstbetrieb unterhalten.
Im Gespräch werden weitere Erinnerungen geweckt. So gab es in Ueken früher zwei Dorf läden. Bis Anfang der 1970er-Jahre bot auch ein Usego-Laden Gelegenheit zum Einkaufen. Auch die Firma Van Spyk – heute Spyk Bänder hätte eine Verkaufsstelle im ehemaligen Laden gehabt, der jeweils in der Weihnachts- und Osterzeit geöffnet war. Der «Bändeli Laden» ist, so Adrian Hüsser, im Buch «111 Orte im Aargau, die man gesehen haben muss» der Ueker Autorin Ursula Kahi erwähnt. Neben der «Sonne» gab es vor Jahren zudem einen Antiquitätenladen. Und es gibt weiter ein Tattoo-Museum. Was gibt es darin zu sehen? «Alte Nadeln und Werkzeug» erklären Adrian Hüsser und Stefan Bühler.
Sandra Winter setzt sich einen Moment an den Tisch, wo Bühler sitzt. Und sie verrät: «Ich höre gerne zu und habe immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Gäste.» «Ja, das trifft es. Sandra ist wie eine ‹Seelsorgerin›. Dies hat in einer kleinen Gemeinde einen hohen Stellenwert», betont Regula Lutz. Sie ist hier im kleinen Ueken längst angekommen. «Es ist so schön, auch im Wald. Hier auf dem Land hat es für alle noch mehr Platz», freut sich die Lehrerin und dreifache Mutter und betont zugleich: «Obwohl es ländlich ist, sind die ÖV-Verbindungen super.» Zu jeder halben Stunde, und dies bis 24 Uhr, gebe es eine Verbindung nach Aarau oder Frick/Basel. «Den habe ich mitgenommen», erwidert Lutz mit einem Lächeln, auf die Frage, ob sie wegen ihres Mannes ins Fricktal gezogen sei.
Engagiert fürs Dorf und das Fricktal
«Je älter man wird, desto weniger zieht es einem weg», so Hüsser auf die entsprechende Frage, fügt jedoch an, dass er für einen 14-wöchigen Sprachaufenthalt in Bournemouth (Südengland) weilte. Hüsser ist seit 20 Jahren im Vorstand des Fördervereins der MBF-Stiftung, in welchem er für die Kasse verantwortlich zeichnet. Er gehörte 14 Jahre der Finanzkommission Ueken an und war in den Jahren 2003/2004 Mitglied in der Baukommission des Kindergartens und des Werkhofs.
Wieder bezugnehmend auf die Fusion sind sich alle am Tisch einig, dass die beiden Ortsteile schon vorher gut zusammengearbeitet haben, so etwa über die Vereine (gemeinsame Feuerwehr/Turnverein/Musikgesellschaft oder jüngst die Schützengesellschaft). Es ist kurz nach 11.30 Uhr. Regula Lutz hat die Runde bereits verlassen. Sandra Winter entschuldigt sich ein weiteres Mal bei Adrian Hüsser und Stefan Bühler, dass sie am Abend nicht kommen können; ihr Lokal ist für eine geschlossene Gesellschaft reserviert. Für die letzten Vorbereitungen nutzt sie die Mittagspause.
Gemäss Adrian Hüsser zählte der Ortsteil Ueken im Jahr 1977 noch 363 Einwohner; vor der Fusion, per 31. Dezember 2022, waren es 979 Einwohner.