«Sie helfen notfalls auch der lokalen Industrie»
24.11.2025 WirtschaftIm Idealfall kommen Reservekraftwerke nicht zum Einsatz. Im Falle einer Strommangellage stabilisieren sie das Netz und verhindern den Blackout. Im Sisslerfeld laufen aufwendige Vorbereitungen für den Bau von drei der fünf neuen Schweizer Reservekraftwerke.
Simone ...
Im Idealfall kommen Reservekraftwerke nicht zum Einsatz. Im Falle einer Strommangellage stabilisieren sie das Netz und verhindern den Blackout. Im Sisslerfeld laufen aufwendige Vorbereitungen für den Bau von drei der fünf neuen Schweizer Reservekraftwerke.
Simone Rufli
Im Herbst 2022 drohte der Schweiz eine Strommangellage. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine fehlte Gas, französische AKWs produzierten weniger Strom. Die Angst vor einem Heizungsausfall schien berechtigt. Im April dieses Jahres der Blackout auf der iberischen Halbinsel, wo der Strom während Stunden ausfiel. Hinzu kommt die steigende Nachfrage. Zwar führen Effizienzgewinne (z. B. LED-Beleuchtung) zu Einsparungen, andererseits treiben Elektromobilität, Wärmepumpen, Digitalisierung und Bevölkerungswachstum den Bedarf nach oben. So geht etwa die BfE-Studie Energieperspektiven 2050+ gegenüber 2020 von einem Verbrauchszuwachs von ca. 26 % aus.
Im Austausch
Damit künftig auch in harten Wintern – mit Tagen ohne Sonne und Wind und ohne die Möglichkeit, Strom aus dem Ausland zu importieren – ausreichend Strom bereitsteht, will der Bundesrat zwischen 2027 und 2030 fünf neue Reservekraftwerke betriebsbereit machen: in Monthey VS, Stein AG, Muttenz BL und zwei in Eiken AG. «Aktuell befinden sich sämtliche Projektteilnehmer, so auch Getec, in Vertragsverhandlungen mit dem Bund und bereiten zugleich das Richtplanverfahren im Kanton Aargau vor», erklärt Martin Ph. Hug, Leiter Kommunikation bei Getec auf Anfrage der NFZ. «Dabei stehen wir in engem und konstruktivem Austausch mit den Standortgemeinden Stein und Eiken, dem Kanton und den zuständigen Bundesstellen.»
Nutzung bestehender Infrastruktur
Die Projekte durchlaufen nebst dem Richtplan- auch das Nutzungsplan- und das Baubewilligungsverfahren. Für das Areal Getec Park.Stein in Stein sind 44 MW Leistung vorgesehen, auf dem DSM-Areal in Eiken installiert Getec ein Kraftwerk mit 13 MW Leistung. Das geplante Sidewinder-Reservekraftwerk am Standort Chemiepark Sisslerfeld in Eiken hat eine Leistung von 180 MW.
«Diese Standorte ermöglichen die optimale Nutzung der bereits bestehenden Infrastruktur für die Kraftstofflogistik mit den vorhandenen Grosstanks inklusive den Gleisanschlüssen und für die Stromeinspeisung in den lokalen Unterwerken.» Damit biete die Lösung höchste Versorgungssicherheit.
Zum Zeitplan äussert sich Getec wie folgt: «Der Zeitplan sieht vor, dass die Anlagen voraussichtlich Ende 2028, beziehungsweise Anfang 2029 in Betrieb genommen werden. Die weiteren Schritte hängen vom Verlauf der laufenden Vertragsgespräche und Bewilligungsverfahren ab.»
Im Weiteren betont Getec: «Die geplanten Kraftwerke erfüllen alle gesetzlich vorgegebenen Umweltstandards und mit der Nutzung von Hydriertem Pflanzenöl (HVO) setzen sie einen wichtigen Akzent für Nachhaltigkeit und Klimaschutz.» HVO stammt aus biogenen Reststoffen (altes Frittieröl, pflanzliches Fett) und soll ganz aus europäischer Produktion stammen, wie Urs Zimmerli, CEO von Getec Schweiz bereits im Juli erklärte.
Bedarf von 10 bis 14 Tagen
Die Betreiber würden angehalten, so viel Fett in Tanks zu lagern, dass der Bedarf von 10 bis 14 Tagen gedeckt werden könne, so Adrian Fahrni gegenüber der NFZ. Fahrni ist Leiter Abteilung Energie im Kanton Aargau und koordiniert das Prozedere. «Die konkreten Bauprojekte aber sind Sache der Privaten.» Getec und Sidewinder müssten Unterlagen einreichen, die später dem Grossen Rat zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Fahrni spricht von einem «grossen Katalog», der Abklärungen zu Lärm, Luft, Abwasser, Wasserverbrauch, Emissionen, bis hin zum Verkehr umfasst.
Sind die Unterlagen bei der Gemeinde eingereicht, reicht die Gemeinde diese zur Prüfung an den Kanton weiter. Ist wie im Fall von Eiken eine Anpassung der Bauund Nutzungsordnung nötig, muss auch die Gemeindeversammlung zustimmen. In so einem Fall könne es passieren, dass die Bevölkerung Nein sage, so Fahrni, der betont: «Darum ist es wichtig, dass die Bevölkerung transparent und umfassend informiert wird.»
Anspruch auf Entschädigung
Standortgemeinden haben gemäss kantonalem Energiegesetz Anspruch auf Entschädigung, wobei die Höhe der Entschädigung nicht vordefiniert sei. «Sie muss ausgehandelt werden», so Fahrni. «An dieser Versicherung für die ganze Schweiz soll sich aber niemand bereichern.»
Dass die Reservekraftwerke die Entwicklung im Sisslerfeld beeinträchtigen könnten, glaubt Fahrni nicht. Zum einen, weil die Ansiedelung neuer Firmen auch nicht von heute auf morgen vonstattengehe. «Zudem ist die Betriebsbewilligung auf 15 Jahre befristet.»
Nicht zu vergessen: «Die Reservekraftwerke, die von 1. Dezember bis Ende Mai verfügbar sein müssen, helfen notfalls auch der lokalen Industrie, indem sich der Netzbezug entsprechend reduziert.»
Deutschland zapft Reserve immer häufiger an
In Deutschland, so konnte man Ende Oktober in der «BILD» lesen, wird der Strom immer öfter knapp. «Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen, dass Reserve-Kraftwerke viel häufiger angezapft werden müssen als früher.» Seit dem Ausstieg aus der Kernkraft importiere Deutschland immer mehr Strom aus dem Ausland und der Abruf der Reservekraftwerke nehme deutlich zu. Im Dezember 2023 seien 51 Gigawattstunden (GWh) abgerufen worden, im Dezember 2024 schon 341 GWh. «Laut Reserve-Kraftwerksbetreiber Steag nimmt die Zahl von 2025 bis 2027 weiter zu – erst recht, wenn der Kohleausstieg kommt», hiess es in der «BILD» weiter.
Bestehende Verträge verlängert
Der Bund kann die bestehenden Verträge mit Reservekraftwerken bis 2030 weiterführen. Zu diesem Zweck hat der Bundesrat die Winterreserve-Verordnung verlängert. Ohne diese Verlängerung wäre die Verordnung Ende 2026 ausgelaufen, wie die Landesregierung am 29. Oktober mitteilte. Der Entscheid des Bundesrats bedeutet, dass die Verträge der bestehenden Reservekraftwerke in Monthey VS und Cornaux NE über Ende April 2026 hinaus verlängert werden. Bestehen bleiben auch die Notstromgruppen. Das Reservekraftwerk bei General Electric (GE) in Birr AG wird dagegen wie geplant ab April 2026 zurückgebaut, wie eine Sprecherin des Bundesamts für Energie auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA ausführte.
Im Gegenzug werde ab Februar 2027 der Gasturbinen-Prüfstand des Unternehmens Ansaldo Energia als Übergangs-Reservekraftwerk bereitstehen. Auch diese Anlage befindet sich in Birr.


