Pasta-Politik zum Zweiten
28.03.2025 LeserbriefeAuf meinen neulichen Leserbrief habe ich interessante Reaktionen erhalten. Offenbar ist das Thema so klebrig wie verkochte Spaghetti. Daher möchte ich die kulinarische Untersuchung fortsetzen. Die Demokratie sieht vor, dass Politiker das Gemeinwohl fördern, im Wettstreit der Ideen ...
Auf meinen neulichen Leserbrief habe ich interessante Reaktionen erhalten. Offenbar ist das Thema so klebrig wie verkochte Spaghetti. Daher möchte ich die kulinarische Untersuchung fortsetzen. Die Demokratie sieht vor, dass Politiker das Gemeinwohl fördern, im Wettstreit der Ideen die besten Lösungen finden und bei Interessengegensätzen Kompromisse schliessen. In der Welt der Pasta-Politik gelten hingegen andere Spielregeln: Pasta-Politiker wählen sorgfältig aus, wo sie zu Abend essen. Als Stammgäste von Restaurant A meiden sie Restaurant B konsequent und demonstrieren so ihre Haltung ohne Worte: «Hier essen die richtigen Leute, und dort – die anderen.» Pasta-Politiker fällen Entscheidungen lieber hinten im «Säli» und servieren sie denen, die Zutritt zur Küche haben.
Die Gnocchi-Getreuen, diese loyalen Anhänger – weich, formbar und leicht verdaulich – folgen den Pasta-Politikern. Sie drehen sich im Restaurant demonstrativ weg, um Begegnungen zu vermeiden. In den sozialen Medien vergeben sie Likes nur den «Eigenen», unabhängig vom Inhalt. In Wortmeldungen zielen sie auf die Person, statt sachlich zu argumentieren.
Die Gruppe der Menü-Favoriten geniesst scheinbare Vorteile – manchmal sogar finanzielle –, ohne zu erkennen, dass sie von den Pasta-Politikern lediglich als Beilage verwendet werden. Ihre Privilegien sind oft kurzlebig: Ihre Projekte riskieren zu scheitern, wenn sie auf Zusicherungen von Pasta-Politikern statt auf objektiven Voraussetzungen beruhen.
Die Salat-Gucker schauen, statt sich einzumischen, in der Ecke sitzend, lieber weg und stochern in ihren Endivie-Blättern. Sie spielen nach den vorgegebenen Regeln. «Wenn der Kellner diese Sauce serviert, muss das ja schon seinen Grund haben», flüstern sie sich zu und hoffen, dass ihr Tisch nicht umgestossen wird.
Die Kaffee-Trinker schliesslich beobachten das Geschehen, ohne sich am Hauptgericht zu beteiligen. Sie denken, dass sich die Dinge von allein regeln. Doch wie die Erfahrung zeigt, geht der Kaffee immer schneller aus, als Veränderungen eintreten.
Bei den Beschreibungen handelt es sich, wohlgemerkt, um Rollen. Jeder Mensch, der heute gemäss den Regeln der Pasta-Politik spielt, hat auch die Möglichkeit, sich anders zu verhalten – als verantwortungsbewusster Politiker, fairer Mitstreiter im Wettbewerb, als aktive Bürgerin oder einfach als empathischer Mensch. Was, wenn wir eines Tages das Rezept ändern? Wenn wir aufhören, immer dieselben Zutaten zu verdauen und stattdessen etwas Frisches ausprobieren? Vielleicht erwartet uns eine Politik, in der Vorschläge nach ihrem Inhalt und nicht nach ihrem Verfasser bewertet werden, und in der offene Diskussionen wichtiger sind als die Plätze am Tisch. Ich träume von einer Lokalpolitik, in dem das Gericht der Demokratie aus hochwertigen Zutaten zubereitet wird: Transparenz und Gerechtigkeit als Basis, gewürzt mit Respekt, Verantwortung und einer guten Prise Dialogbereitschaft. Und die Überreste der Pasta-Politik? Die gehören dahin, wo sie hingehören. Auf den Kompost.
MICHAEL DERRER, RHEINFELDEN