Jugend zwischen «Zukunft» und «störend»
13.09.2023 Herznach, JugendEin Plädoyer für mehr Engagement in der Jugendarbeit
«Chillen bis die Polizei kommt» – am Donnerstag trafen sich Personen aus Schulleitungen, Lehrberufen, Schulsozialarbeit, schulischer Heilpädagogik, Gemeinderäten und Beratungsstellen im ...
Ein Plädoyer für mehr Engagement in der Jugendarbeit
«Chillen bis die Polizei kommt» – am Donnerstag trafen sich Personen aus Schulleitungen, Lehrberufen, Schulsozialarbeit, schulischer Heilpädagogik, Gemeinderäten und Beratungsstellen im Gemeindesaal in Herznach zu Fachreferaten und Erfahrungsaustausch im Rahmen der fünften Netzwerk-Veranstaltung Kindesschutz im Bezirk Laufenburg.
Simone Rufli
Die Schulsozialarbeit werde rege genutzt, doch nicht alle wollten ihre Probleme innerhalb der Schule diskutieren. «Oft hat die Jugendarbeit als einzige flächendeckende Kontakte, zudem kann sie vermittelnd wirken und die Jungen dort ansprechen, wo sie sich im öffentlichen Raum versammeln», so Christoph Rohrer, Co-Präsident des kantonalen Dachverbands Kinder und Jugendarbeit Aargau (AGJA) und langjähriger Jugendarbeiter in der Stadt Aarau. Er prangerte die Gesellschaft an, die die Jungen zwar gerne als ihre Zukunft bezeichne, sie gleichzeitig aber als störend und nervig empfinde und zeigte absolut kein Verständnis dafür, dass Jugendarbeit in der Schweiz immer noch ein freiwilliges Angebot darstellt. Auch ländliche Gemeinden mit funktionierendem Vereinswesen täten gut daran, sich professionell um die Jungen zu kümmern. Zum einen würden nicht alle Jugendlichen die Verbindlichkeit eines Vereins schätzen, und wenn doch, so könne der Verein immer nur spezifische Bedürfnisse abdecken. «Und fragen Sie mal in der Stadt Aarau nach, ob die Freude haben, dass umliegende Gemeinden keine Jugendarbeit machen.» Rohrer warnte aber auch vor übereilten Aktionen: «Fragt die Jugendlichen, bevor Ihr für viel Geld ein Angebot schafft, das nachher nicht genutzt wird, weil es an den Bedürfnissen der Jungen vorbeizielt.»
Chillen ist wichtig
Gemäss Simon Hohler, Geschäftsführer der Jugendseelsorge (Juseso) Fricktal, fehlt es auch auf dem Gebiet der Jugendarbeit an Fachkräften. Als Geschäftsführer koordiniert er die kirchliche Jugendarbeit im Fricktal und vernetzt sie mit der kommunalen Jugendarbeit. Auch Hohler forderte ein f lächendeckendes Netz von Jugend-Treffpunkten. Ganz schlecht sei die Angebotslücke, die sich aktuell im Raum Laufenburg und Mettauertal auftue. «Je ländlicher desto mehr hinken die Gemeinde hinterher», so Hohler. Er brach eine Lanze für die Jugendlichen: «Chillen, abhängen, nichts tun erfüllt eine wichtige Funktion im durchstrukturierten Alltag der Jugendlichen, in ihrer Lebensbewältigung und Identitätsfindung.» Von Studien belegt, gelte chillen als Gegenmittel zum oft von den Jugendlichen beklagten, aber akzeptierten, Anpassungs- und Leistungsdruck im Bildungs- und Arbeitssystem.
Deutliche Worte sprach auch Jugendarbeiter Angelo Zurlino von der offenen Jugendarbeit Frick, Gipf-Oberfrick und Wittnau. «Es ist eine Tatsache, dass Drogen und Alkohol heute zur Welt der Jugendlichen gehören. Und es ist wichtig, dass endlich alle Gemeinden Verantwortung für die Jungen übernehmen. Es kann aber nicht sein, dass die Eltern die ganze Verantwortung an die Jugendarbeit abgeben.»
Repol baut neue Fachstelle auf
Prävention und Zusammenarbeit werde auch der Regionalpolizei Oberes Fricktal immer wichtiger, so Rafael Müller. Der Leiter der Verkehrsinstruktion im Polizeikorps ist aktuell mit einem Team daran, eine Fachstelle Prävention aufzubauen. Schüler sollen nicht nur vom Kindergarten bis zur Veloprüfung begleitet werden, sondern künftig lückenlos bis zum Ende der Oberstufe. Ziel sei es, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um Probleme frühzeitig erkennen zu können. Zentral sei dabei die Vernetzung mit Schulen, Gemeinden und anderen Organisationen im Bereich Kinder- und Jugendhilfe. Polizisten sollten von den Jugendlichen nicht länger nur als Männer in blauer Uniform wahrgenommen werden, die Ruhe und Ordnung einforderten. «Die Jungen sollen uns als Menschen kennen.» Wie der Spagat zwischen freundschaftlichem Verhältnis und der Durchsetzung von Sanktionen gelingen kann, das werde sich in der Praxis zeigen.
Die Fachstelle Prävention will den Betrieb im Jahr 2024 aufnehmen, das Angebot soll schrittweise erweitert werden. Angedacht sei auch eine Onlineplattform «für die, die sich nicht trauen, auf den Polizisten zuzugehen», sowie eine Anlaufstelle für besorgte Eltern.
Organisiert wurde die Netzwerkveranstaltung von Flurina Deragisch, Standortleiterin des schulpsychologischen Diensts (SPD) in Frick, Katharina Hundeck-Boudali, stellvertretende Leiterin Schulsozialdienst und Sandra Wey, Stellenleiterin Jugendund Familienberatung Bezirk Laufenburg.