In der Erde liegen vielleicht noch Wachsleichen
15.10.2025 Badisch RheinfeldenVerschlossen ist der alte Friedhof in Warmbach, einem Stadtteil von Badisch Rheinfelden, nicht. Es bleibt aber ein geheimnisvoller Ort: Seit 50 Jahren wurde hier niemand mehr begraben; nur einige Grabsteine stehen noch. Der Boden birgt manches, das man nicht sieht.
Boris Burkhardt
...Verschlossen ist der alte Friedhof in Warmbach, einem Stadtteil von Badisch Rheinfelden, nicht. Es bleibt aber ein geheimnisvoller Ort: Seit 50 Jahren wurde hier niemand mehr begraben; nur einige Grabsteine stehen noch. Der Boden birgt manches, das man nicht sieht.
Boris Burkhardt
Abgeschlossen ist das Tor derzeit nicht mehr. Nachdem die überalterten Bäume entfernt wurden, sieht Patrick Pauli, Abteilungsleiter Stadtgrün und Umwelt sowie Leiter der Friedhofsverwaltung in Badisch Rheinfelden, keinen Grund mehr, den Menschen den Zugang zum alten Friedhof im Stadtteil Warmbach zu verwehren. Dennoch bleibt der 500 Quadratmeter grosse, von einer Mauer umgebene Bereich ein verborgener Ort, von dem man wissen muss, um ihn wahrzunehmen. Der alte Friedhof Warmbach liegt an der Mouscronallee zwischen dem Festplatz am Tutti Kiesi und dem Freibad beziehungsweise Europastadion. Am 30. Dezember 1974 fand hier die letzte Urnenbestattung statt; am 1. April 1975 wurde der Friedhof ausser Dienst gestellt. Nach 20 Jahren Ruhezeit wurde das letzte Grab entsprechend zum Jahresende 1994 aufgelöst. Der Friedhof wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts angelegt; 1962 dachte die Stadt noch über eine Erweiterung nach.
Keine Wege mehr zu erkennen
Der Ort ist heute problemlos begehbar, auch wenn die Sträucher grossgewachsen sind und die Brombeeren von überall her über die Mauer wuchern. Thuja und Eibe wachsen vor allem; «typisches Friedhofsgehölz, sagt Pauli. Der ganze Bereich ist von Gras bedeckt, das ein paarmal im Jahr gemäht wird; Wege sind keine mehr zu erkennen. Das grosse Kruzifix aus Sandstein am anderen Ende gegenüber dem Eingang erinnert noch deutlich an die einstige Funktion dieses Ortes; ein halbplatter Fussball unter einem Strauch zeugt von zwischenzeitlichen Besuchern. Pauli und seine Mitarbeiter haben aber noch nie jemanden hier angetroffen.
Ein knappes Dutzend Grabsteine stehen noch überall verteilt herum, der älteste vom 8. Januar 1930. Pauli erklärt, dass es sich um Verstorbene handle, deren Angehörige nicht hätten ermittelt werden können oder die es ablehnten, für die Entsorgung der Grabsteine aufzukommen. Keine Spuren sieht man mehr von den Gräbern von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. 20 von ihnen gab es hier in Warmbach, laut Pauli so viele wie sonst nirgends in Badisch Rheinfelden. Wiederentdeckt hat sie der Rheinfelder Geschichtsforscher Artur Spengler, der Pauli bei diesem Besuch auf dem Friedhof begleitet. Im Stadtarchiv stiess er auf einen Originalplan des Friedhofs aus dem Frühjahr 1945. Dort ist die Lage allen Gräber eingezeichnet.
Gräber von Kriegsgefangenen
Es handelt sich zum einen um zehn
Kriegsgefangene aus der Sowjetunion, die in acht Gräbern parallel zur südlichen Mauer, im sogenannten Parkett, beerdigt wurden. Spengler vermutet, dass sie möglichst weit weg von öffentlicher Aufmerksamkeit vergraben werden sollten; ihre Gräber hätten auch keine Grabsteine erhalten. Die deutschen Herrenmenschen zeigten damit ihre Verachtung für die «Untermenschen»; die deutsche Gründlichkeit zwang sie aber offensichtlich dennoch, die Lage der Gräber genau zu vermerken. Man kennt sogar einige der Namen: Die Alliierten liessen die Badisch Rheinfelder Betriebe, in denen sie arbeiten mussten, nach Kriegsende Listen erstellen. Die Sowjetunion sammelte alle ihre Gefallenen in Südbaden auf einem Zentralfriedhof in Donaueschingen: Auch die Rheinfelder Leichen wurden umgebettet.
Einen ganz anderen Umgang pflegten die Nazis mit den Zwangsarbeitern aus Belgien, Italien und Bulgarien: Sie wurden ordentlich neben den Einheimischen begraben. Von zweien konnten keine Angehörigen ermittelt werden; sie liegen noch immer in der Erde, der 21-jährige Belgier Jean-Baptiste van Loog und der 25-jährige Bulgare, der nach verschiedenen Quellen Boris Christov oder Boris Stoitchkov hiess. Beide waren auf der Flucht im Rhein erschossen worden; nach Erlebnisberichten schossen die Deutschen noch bis ans Schweizer Ufer hin. Pauli hält es gut für möglich, dass die beiden in dem lehmigen Boden noch als unverweste Wachsleichen liegen.
Ein kleiner Park soll entstehen
Im Februar dieses Jahres wurde der Friedhof vom Gemeinderat entwidmet. Drei Seiten der Mauer stehen unter Denkmalschutz; die Mauerseite mit dem Eingang wurde in den Siebzigern neu gebaut, der Friedhof dadurch verkleinert. Innerhalb dieser Mauern soll ein sogenannter «Pocket Park» entstehen: Wie Pauli erklärt, soll er sich in der Gestaltung an der ursprünglichen Kreuzform der Wege orientieren, sodass vier abgetrennte Bereiche entstünden. Für deren Gestaltung gibt es schon Ideen, aber noch nichts Konkretes: «Der Geist des Ortes soll weiterhin spürbar sein. Das ist ganz wichtig.»
Die Erinnerung an die beiden Zwangsarbeiter soll in angemessener Form, etwa eine Stele oder Plakette, erhalten bleiben. Laut Gesetz geniessen alle Kriegsopfer in Deutschland ewiges Ruherecht, wie Pauli erklärt. Er rechnet mit einer Umsetzung frühestens 2027. Noch ist also Zeit, diesen «Lost Place» auf eigene Faust zu erkunden.
Unter dem Titel «Verborgenes» blickt die NFZ in einer losen Folge hinter verschlossene Türen und in versteckte Winkel. (nfz)